Ein Flügelhorn für Oberneuland

Aus der Werkstatt von Andreas Sczuka bis zu Andreas Wokurka nach Oberneuland

Begleiten Sie das Oberneuland Magazin in die Werkstatt des gelernten Metallblasinstrumentenmachers Andreas Sczuka. Schauen Sie dabei zu, wie es ihm in liebevoller Handarbeit gelingt, ein Flügelhorn zu bauen, welches der Küster der Evangelischen Kirchengemeinde Oberneuland, Andreas Wokurka, in Auftrag gegeben hat und wie es seinen Weg nach Oberneuland findet.

Mitten im Teufelsmoor liegt der Ortsteil Verlüßmoor, also verlassenes Moor. Der Ort besteht aus einer langen Straße, auf der einen Seite befinden sich in größeren Abständen mehrere Resthöfe. Auf der anderen Seite erstreckt sich die weite Moorlandschaft. Regelmäßig im Frühjahr und Herbst rasten hier unzählige Gänse und Kraniche, deren heiseres Rufen man bis spät in die Nacht hören kann. Es heißt, Kraniche schnattern nicht wie Gänse, ihr Ruf klingt mehr wie ein Trompetenton. Dabei entsteht ein wunderbares Zusammenspiel von Mensch und Natur.

Auf einem Hof aus dem Jahr 1869 entstand der Blechblasinstrumentenbauernhof „Deelenwind“. Ein sehr passender Name, umschreibt er zum einen den Wind, der durch die Diele des alten Bauernhauses fegt und zum anderen die Töne der Blasinstrumente, welche sich in der Diele befinden. Damit erfüllte sich Andreas Sczuka den lang gehegten Wunsch, Leben, Freizeit und Arbeit an einem Ort zu vereinen. Der gebürtige Grasberger lernte beim Bremer Instrumentenbauer Lätzsch im Viertel, arbeitete und lebte dann fast 20 Jahre in der Schweiz, wo er Einblicke in verschiedene Werkstätten der Eidgenossen bekam. Im Frühjahr 2019 kehrte Sczuka zu seinen Wurzeln zurück.
Andreas Wokurka und der gelernte Metallblasinstrumentenmacher – so die offizielle Berufsbezeichnung der Handwerkskammer – Andreas Sczuka sind schon sehr lange befreundet und haben während Sczukas Bremer Zeit zusammen in einer Bigband Trompete gespielt. So war es für Wokurka von vornherein klar, von wem er das Horn bauen lassen möchte. Er erfüllt sich damit einen großen Wunsch und konnte während der Bauzeit individuelle Vorstellungen und Wünsche einbringen. Ein Flügelhorn besteht aus ca. 130 Einzelteilen, so ist es kaum vorstellbar, dass aus diesem „Haufen Blech“ ein wunderschönes, wohlklingendes Blasinstrument entstehen kann. Wohldurchdachte Handgriffe sind nötig, denn auch Metall möchte hier behutsam angefasst werden. „In der sehr raren und oft alten Literatur für Instrumentenbauer finde ich bestimmte Vorgaben, welche sich jedoch für moderne Blasinstrumente verändert haben“, erklärt Sczuka. „So passt nicht immer alles, was geschrieben steht. Längen und Rohrverläufe muss ich dann individuell festlegen. Hinzu kommen mathematische und physikalische Kenntnisse sowie künstlerisches und handwerkliches Geschick.

Im Gegensatz zu konventionellen Werkstätten ist auch die Werkzeugausstattung der Instrumentenbauerwerkstatt speziell, da nicht auf Standards zurückgegriffen werden kann.“ Mit Blick in die Werkstatt sagt Sczuka: „Originalmaschinen und Werkzeuge sind oft sehr teuer und so habe ich mir einiges selber gebaut oder gut gebraucht erstanden.“ Das 75 cm lange Schallstück in gerader Form lässt er sich vom Schallstückmacher liefern. Dabei hat er sich für Goldmessing entschieden, da dieses Metall durch seinen Kupfergehalt einen weicheren, dunkleren Klang als z.B. Messing hat, welches heller und brillanter klingt. Durch das Material und den konischen Rohrverlauf werden die Obertöne reduziert, wodurch der klassische Hornklang entsteht.

Um zu verstehen, wie der Bogen in das Schallstück kommt, muss Sczuka etwas Physik erklären: „Messing ist ein Metallgemisch, bestehend aus Zink- und Kupferkörnern. Da diese schon beim Bau des Schallstücks gestreckt sind, steht das Material unter Spannung, ist sehr hart und lässt sich nicht weiter verformen. Durch Glühen bei ca. 700 °C wird die Struktur der Körner verändert, dabei bekommen sie ihre ursprünglich runde Form zurück, werden geschmeidiger und beweglicher. Das Material ist nun gut bearbeitbar, lässt sich biegen, glätten, reiben und dehnen. Um mit dem Biegevorgang zu beginnen, muss einige Vorarbeit geleistet werden. Die Innenseiten des Schallstücks werden zunächst mit einem Trennmittel überzogen. Sczuka erklärt: „Grundsätzlich ist Schlämmkreide geeigneter als Öl, da sich besser kontrollieren lässt, ob der Innenbereich des Rohres komplett ausgekleidet ist. Würde die ohnehin schon sehr dünne Ölschicht zu stark erhitzt, kann es schneller zu Legierungen zwischen Füll- und Schallstückmaterial kommen. Somit ist die Schutzschicht aus Schlämmkreide sicherer.“

Während Sczuka diese, im Inneren des Bechers, durch Erhitzen von außen trocknet, steht bereits das Zinn im Tiegel auf der Flamme. Ist das Zinn flüssig, wird es in das vorbereitete Schallstück gefüllt, um anschließend wieder auszukühlen. „Ich habe mich für Zinn statt dem traditionellen Blei entschieden, es hält die Form besser und macht die Nachbearbeitung leichter“, weiß Sczuka. Ist das mit Zinn gefüllte Schallstück ausgekühlt, kommt die selbst gebaute Biegevorrichtung zum Einsatz.
Das Schallstück wird eingespannt. Stahlrohre mit unterschiedlichem Durchmesser, Längen und Formen verlängern den Hebel, um den Bogen Stück für Stück zu formen. Das Material wird durch Biegen und Hämmern wieder hart, bekommt eine andere Resonanz und einen besseren Ton. Am inneren Bogen entstehen durch Stauchen Falten, wodurch das Material hier dicker wird. Diese Falten werden immer von innen nach außen verhämmert. Damit das nicht nur punktuell, sondern auf einer möglichst großen Fläche geschieht, haben die Hämmer verschieden große Radien, wobei größer hier besser ist. „Je sorgfältiger die Falten beim Biegen ausgearbeitet werden, umso weniger Arbeit habe ich später“, sagt Sczuka. Durch Dehnung am äußeren Bogen wird das Material hingegen dünner und kann schneller reißen. Das leise Knistern, welches beim Biegen zu hören ist, wird der Zinnschrei genannt. Um den Zinnkern wieder auszuschmelzen, wird das Schallstück in den auf
250 °C vorgeheizten Backofen gestellt.

Das flüssige Zinn kann nun ausgegossen werden. Damit der Bogen beim Glätten des Metalls seine Form behält, wird eine Absicherung angelötet. Wie er das Metall mithilfe verschieden großer Bolzen rundhämmert und aufweitet, erklärt Sczuka so: „Damit die Bolzen sich nicht verkannten, lasse ich sie mit einer Drehbewegung in den Trichter fallen. Die Stelle, an welcher der Bolzen liegen bleibt, wird von außen rund gehämmert. Die Körner im Metall werden erneut verformt, wodurch der charakteristische Klang dieses Instruments entsteht.“ Mit Waschbenzin wird die Oberfläche von Fett befreit, um sie anschließend mit Seife einzureiben, da sich diese hervorragend eignet, um entstandene Übergänge, Unebenheiten und Rillen zu glätten. Der Einsatz des Locheisens ist besonders hilfreich für das Runden der Rohre von außen. Die beim Erwärmen des Metalls entstandene Oxid- und Zunderschicht lässt sich nur durch Schleifen und Feilen entfernen. Als wichtiges technisches Element ist die Maschine mit den Pumpventilen unerlässlich. Ohne diese könnten nur die Naturtöne erklingen. Allein mit seiner Lippenspannung kann der Bläser sieben bis acht dieser Naturtöne erzeugen. Das Spiel umfassender Melodien wird jedoch erst durch den Einsatz von Ventilen ermöglicht.

Dieses Bauteil stellt Sczuka nicht selber her, sondern bezieht es vom Hersteller Meinlschmidt, welcher die patentierten MAW-Ventile produziert. Da sie keine Verengungen in den Luftdurchgängen haben, wird der Strömungsverlauf der Luft nicht gestört, wodurch sich auch der Blaswiderstand nicht erhöht. Die Außenzüge wurden aus dem härteren Neusilber, einer Legierung aus Kupfer, Zink und Nickel gefertigt. „Das Mundrohr ist der bevorzugte Teil für Veränderungen in Klang und Intonation. Deshalb sollten Materialien für Mundrohre beste Klangeigenschaften haben“, sagt Sczuka. Bevor er das Instrument nach und nach zusammensetzt, wird die Maschine im Ultraschallbad gereinigt. Trotz vieler Feinarbeiten, die noch anstehen, kann Andreas Wokurka einen ersten Test mit dem bereits erkennbaren Flügelhorn durchführen. Welch ein tolles Erlebnis.
Gemeinsam bestimmen die beiden die richtige Position der unteren Wasserklappe, welche von Sczuka direkt angelötet wird. In diesem Winkel werden zwei weitere Wasserklappen an den beiden Außenbögen angebracht. Über die Wasserklappen wird das beim Spielen entstandene Kondenswasser aus dem Instrument abgelassen. Wie künstlerisch und filigran bei der Herstellung eines Instruments gearbeitet wird, zeigt Sczuka besonders anschaulich mit der Anfertigung des Bocks für den Trigger. Ein Trigger ist die gesamte Stimmmechanik an einem beweglichen Bogen. Bei dessen Betätigung wird ein bestimmter Zug des Blechblasinstrumentes verlängert, wodurch der entsprechende Ton tiefer wird. Der Bläser bestimmt über die variable Auszugslänge die Tiefe des Tones. Beim Drehen und Fräsen, Schleifen, Bohren und Sägen müssen handwerkliche Fähigkeiten unter Beweis gestellt werden. Die Maschinen brauchen verschiedene Einstellungen, dürfen sich nicht zu schnell und nicht zu langsam drehen.

Ein 1,6 mm-Bohrer kommt zum Einsatz und der Messschieber ist immer in Reichweite. Doch ohne Mundstück geht gar nichts, es ist das Bindeglied zwischen Bläser und Instrument. Bei allen Blechblasinstrumenten entsteht der Ton durch zwei entscheidende Faktoren, Atmung und Lippenspannung. Während die Atemluft durch die gespannten Lippen strömt, fangen diese an zu vibrieren. Diese Impulse überträgt das angesetzte Mundstück und bringt die Luftsäule im Instrument zum Schwingen, es erklingt ein Ton. Die Töne werden höher, je schneller die Lippen vibrieren. Viele Faktoren bestimmen die Mundstückwahl, welche es in verschiedensten Formen, Größen und Materialien gibt.

Ein Blechbläser braucht oft viele Versuche, um die richtige Wahl für sein Mundstück zu treffen, da es individuell zu ihm passen muss. Klanglich kann sich das Flügelhorn bereits hören lassen, doch für das Aussehen hat Wokurka noch einen besonderen Wunsch. Indem Sczuka Schleifwolle mit 320er Körnung gleichmäßig über jedes einzelne Teil des Flügelhorns zieht, erhalten diese die gebürstete Oberfläche, jede Einkerbung muss extra angeschliffen werden. „Eine sehr anstrengende Arbeit, ich muss mich mit einer Atemmaske schützen, denn es entstehen ganz feine Schleifpartikel“, sagt Sczuka. Die gebürsteten Teile dürfen bis zum Lackieren nur noch mit Handschuhen angefasst werden, um ein Oxidieren durch Feuchtigkeit zu verhindern, dunkle Flecken wären sofort sichtbar.
Doch vor dem Finish bekommt das Flügelhorn einen Namen. Für die Gravur hat sich Sczuka mit dem Schallstück zu einem Graveur nach Lüneburg auf den Weg gemacht. Dass er etwas angespannt war, erzählt uns Sczuka später. „Ich habe natürlich gehofft, dass alles gut geht. Nach Hunderten gebauten Instrumenten in abhängigen Arbeitsverhältnissen ist es das erste Instrument, was ich in meiner Selbstständigkeit bauen durfte.“ Das Flügelhorn-Modell heißt: Wokurka darkoak, ein sehr schöner Name.

Mit dunklen Elementen aus Mooreiche wollte Sczuka einen Bezug zum Moor herstellen, was ihm überaus gut gelungen und mit Sicherheit ein ganz besonderes Alleinstellungsmerkmal ist. Das gravierte Schallstück und alle gebürsteten Teile werden, in kleinen Beuteln verpackt, zum Lackieren eingeschickt. Das Finish ist ein Goldmattlack, also Lack mit einem Tropfen roter Farbe. Dabei wird ein dunklerer Goldton erzeugt, welcher sehr gut mit den unterschiedlichen Farben der Metallelemente und der Mooreiche harmoniert.

Die Chance, das Flügelhorn im Original zu hören und zu sehen, besteht immer dann, wenn sich die Bläser der Evangelischen Kirchengemeinde Oberneuland treffen, um gemeinsam zu musizieren.
Vielleicht haben Sie wieder Lust bekommen, Ihr Holzblasinstrument hervorzuholen? Denn diese machen den anderen Teil von Sczukas Werkstatt aus. In der Schweiz hat er seine Ausbildung erweitert, um Holzblasinstrumente reparieren zu können. Musizieren Sie regelmäßig und sind der Ansicht, Ihr Instrument könnte mal eine Überholung gebrauchen? Oder wartet das verbeulte Instrument auf dem Dachboden schon lange darauf, mal wieder gespielt zu werden? Dann hält Andreas Sczuka einen umfangreichen Reparaturservice für Sie bereit. Rasten Sie bei einem Ausflug ins Moor doch einfach einmal so wie die Kraniche. Und wenn auch Sie sich oder einem lieben Menschen einen lang gehegten Wunsch erfüllen möchten, indem Sie ein Instrument in Auftrag geben, dann besuchen Sie gerne den Blechblasinstrumentenbauernhof „Deelenwind“ oder stöbern einfach ein bisschen auf der Homepage: deelenwind.de.

Text und Foto: Susanne Wokurka