Als Harje Döhle den Meierbrief bekam

Teil 2

Der in der letzten Ausgabe beschriebene Meierbrief erzählt uns dank der Kenntnisse des Historikers Dr. Hans Hermann Meyer viel mehr aus der Zeit Ende des 18. Jahrhunderts, als man oberflächlich vermuten mag – sowohl über die Familie Döhle als auch über das Johannis-Kloster in Bremen. Hier nun die Fortsetzung.

Brün Döhle wurde am 8. Juni 1685 als ältestes Kind seiner Eltern geboren und heiratete am 17. Januar 1715. Das war gut drei Monate nach dem Tode seines Vaters Marten, der am 6. Oktober 1714 beerdigt worden war und dem er als Meier nachfolgte. Brün Döhles Eheschließung, zumindest aber deren Zeitpunkt, so darf man schließen, war also eine Auswirkung des Todes seines Vaters. Denn dessen Nachfolge war dringlich, und ohne eine Ehefrau hätte Brün sie nicht antreten können. Gestorben ist Brün Döhle mit 76 Jahren 1761 (beerdigt am 27. Oktober), also ein knappes Jahr nach Ausstellung des Meierbriefs, um den es uns geht. Ob seine Frau damals noch lebte, ist unbekannt. Jedenfalls wundert man sich darüber, dass Brün Döhle sich erst mit 75 Jahren aufs Altenteil begeben haben soll, wie dies der Meierbrief nahelegt.
Wann Harje Döhle geboren ist, lässt sich nur aus dem Kirchenbucheintrag bei Gelegenheit seiner Beerdigung am 15. Februar 1806 erschließen. Sein Alter zum Zeitpunkt des Todes wird dort mit „81 Jahr“ angegeben. Demnach wurde er 1724 oder 1725 geboren, zu einer Zeit, wo die Oberneulander Kirchenbücher große Lücken aufweisen. Seine Frau, deren Name auf dem Meierbrief mit Beke Meiers (zu verstehen als Beke Döhle geb. Meiers) angegeben ist, starb 1790 (beerdigt am 8. Februar) mit 70 Jahren, war also wohl fünf Jahre älter als er.
Die Einsetzung eines neuen Meiers ging für gewöhnlich mit dessen Verheiratung Hand in Hand, so wie das bei Brün Döhle der Fall gewesen war. Für das richtige Verständnis des Meierbriefs wäre es daher wichtig festzustellen, wann Harje Döhle und Beke Meiers die Ehe miteinander eingingen. In den Oberneulander Kirchenbüchern findet sich darüber nichts, wohl aber einiges über die Taufen von Kindern des Paares, nämlich:
1752 April 23 Tochter Gebke
1754 April 13 Sohn Brünje
1756 April 11 Tochter Wubke
1758 Mai 04 Tochter Beke
1760 April 07 Tochter Almate

Hieraus ergibt sich, dass Harje Döhle und Beke Meiers schon vor dem 23. April 1752 geheiratet hatten und nicht etwa erst, was man zunächst vermuten sollte, unmittelbar vor der Ausstellung des Meierbriefs vom 24. November 1760. Der Vater des Täuflings ist in allen fünf Fällen mit „Harje Döhlen zum RW. [= Rockwinkel]“ angegeben. Das Ehepaar war also schon 1752 in Rockwinkel zu Hause. Dieser Umstand macht es sehr wahrscheinlich, dass die beiden schon damals im Elternhaus von Harje Döhle wohnten und dass diesem der Hof von seinem Vater bereits vor dem 23. April 1752 übertragen worden war. Das kann aber frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 1750 geschehen sein, denn am 1. Juli 1750 wurde Brün Döhle noch in der damals neu aufgestellten Kontributionsbeschreibung der Vier Gohe als „gantzer Baumann“ mit all seinem Landbesitz verzeichnet. Ein paar Tage vorher, am 25. Juni, hatte er bei der Armenkasse der Oberneulander Kirche ein Darlehen in Höhe von 150 Reichstalern aufgenommen, das er mit jährlich 5 Prozent verzinsen musste. 50 Reichstaler von der Darlehenssumme zahlte er bereits nach acht Monaten, am 20. Februar 1751, zurück, das Übrige am 16. Juli 1751. Vom 13. November 1751 ab war er der Armenkasse auch keine Zinsen mehr schuldig. Die überaus schnelle Tilgung ist sehr auffällig. Man gewinnt den Eindruck, dass der Kreditaufnahme durch den damals immerhin schon 66-jährigen Brün Döhle die Furcht vor einer Liquiditätsbeengung zugrunde lag, die dann doch nicht eintrat. Sehr gut könnte man sich vorstellen, dass Brün Döhle die 150 geliehenen Reichstaler als zusätzliche Verfügungsmasse im Rücken haben wollte, wenn er mit seinem Sohn Harje als Anerben und dessen Geschwistern als weichenden Erben die den Letzteren zu gewährenden Abfindungen aushandelte. Hierbei könnte sich herausgestellt haben, dass die geliehene Summe nicht benötigt wurde. Das Ergebnis dieser Verhandlungen muss sich der Sitte gemäß in einem Ehe- und Altenteilsvertrag niedergeschlagen haben, der uns in diesem Fall leider nicht vorliegt. Schon deshalb ist das soeben Vorgetragene vorerst reine Spekulation. Jedenfalls aber ist nunmehr sehr wahrscheinlich, dass Harje Döhle und Beke Meiers zwischen dem 1. Juli 1750 und dem 16. Juli 1751 heirateten und zugleich den Hof Brün Döhles übernahmen. Dass die Vermählung in den Oberneulander Kirchenbüchern nicht verzeichnet ist, kann nicht auf ein Versäumnis oder lückenhafte Überlieferung zurückgeführt werden. Man muss vielmehr annehmen, dass Beke Meiers aus einem anderen Kirchspiel stammte und die Trauung dort stattgefunden hat.
Warum aber hat das sog. St.-Johannis-Kloster dem Harje Döhle den Meierbrief über das Land in Ellen erst etwa zehn Jahre später ausgestellt? Oder vielleicht ist die Frage auch so zu stellen: Warum hat Harje Döhlen erst etwa zehn Jahre später das sog. St.-Johannis-Kloster um Ausstellung des Meierbriefs gebeten, wie aus den Worten „auf Ansuchen deßen Sohns Harje Döhle“ am Ende des ersten Absatzes hervorgeht?
Die Antworten auf diese Fragen folgen in der nächsten Ausgabe.

Text Dr. Hans Hermann Meyer/Eberhard Matzke, Repro: Thomas Rosema, Quelle: Oberneuland-Sammlung