Offener Brief

Bebauung Mühlenfeld

Die Bebauung des Mühlenfelds sorgt in Oberneuland für reichlich Gesprächsstoff. Die Redaktion erreichte ein offener Brief, der als Ergebnis nach der letzten Podiumsdiskussion im Lür-Kropp-Hof von den Absendern verfasst und den zuständigen Stellen zugeschickt wurde. Wir drucken hier den offenen Brief im originären Wortlaut ab.

Bremen, 24.10.2021
Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau
Senatsbaudirektorin Frau Prof. Reuther
Contrescarpe 72
28195 Bremen


Offener Brief – Bebauungsplanung Mühlenfeld
Oberneuland nicht akzeptabel

Sehr geehrte Frau Professor Reuther,
wir haben an der Podiumsdiskussion am 06.09.2021 im Lür-Kropp-Hof teilgenommen, wo Sie und Herr Kaal uns die Situation der geplanten Bebauung des Oberneulander Mühlenfeldes aus Ihrer Sicht geschildert haben. Die Diskussion zeigte, dass der maximale Profit bei der Bebauung im Vordergrund steht.
Der Schutz der Mühle als Wahrzeichen des Ortsteils Oberneuland (seit 1953 unter Denkmalschutz) und damit wesentlichen Identifikations-Immobilie für das urbane Leben in Oberneuland ist nur ein Teilaspekt. Aber bleiben wir kurz dabei: Natürlich wird die Mühle nicht abgerissen! Die Bebauung, so wie sie momentan geplant ist, lässt allerdings den typischen Charakter dieses Bereiches und damit auch für den Stadtteil verschwinden.
Wie von Ihnen im o.g. Termin vorgetragen, ist es das Ziel des Senats, „eine unterschiedliche Bebauung in allen Bremer Stadtteilen zu verwirklichen“. Die Absurdität wird deutlich, wenn man dieses Ziel z.B. für Findorff umsetzt und nun plant, dort Bauernhöfe zu bauen. Die Vielfalt einer Stadt liegt in den unterschiedlichen Stadtteilen, die jeweils ihren eigenen Charakter haben. Die neuen Immobilien würden diesen Charakter absolut nicht widerspiegeln, aber zum Verkauf sicherlich mit dem Slogan beworben „Willkommen im ländlichen Bremen“. Wir würden hiermit einen erheblichen Teil des ländlichen Charakters von Oberneuland zerstören, nutzen aber die bekannten Adjektive, um den bestmöglichen Kaufpreis zu erzielen.

Hinzu kommen weitere Teilaspekte:
1) fehlendes Konzept zur Anbindung an die Kanalisation
2) fehlendes Konzept zur Ermöglichung des zusätzlichen Verkehrs
3) fehlendes Konzept zur Entlastung für versiegelte Flächen
4) fehlendes Konzept für Freizeit
5) fehlendes Konzept für Kindergärten und Schulen

Zu 1:
Momentan sind 168 Wohneinheiten vorgesehen! Dies allein ist schon erstaunlich, da der Wohnbauflächenbericht Bremen bis 2020 noch 70 Wohneinheiten auf demselben Gelände vorsieht (Quelle: http://pro-muehlenfeld.de). Wie ist es möglich, die Anzahl der Wohneinheiten um fast das 2,5-Fache zu erhöhen?
Unter der Annahme von durchschnittlich drei Personen pro Wohneinheit kämen 504 neue Bewohner dazu. Der Nachweis für die Leistbarkeit der bestehenden Kanalisation fehlt bisher genauso wie das Aufzeigen entsprechender Kompensationsmaßnahmen.

Zu 2:
In der Podiumsdiskussion wurde mitgeteilt, dass die Planung von 0,7 PKW pro Wohneinheit ausgeht (=118 zusätzliche PKW bei 168 WE). Realistischer sind 250 zusätzliche PKW, also mehr als das Doppelte Ihrer Annahme plus Fahrradfahrer und Fußgänger. Wir raten den Entscheidungsträgern, sich zu den Stoßzeiten mit dem Auto auf der Rockwinkeler Landstraße zu bewegen. Darüber hinaus auch mal die Oberneulander Landstraße mit Busverkehr und zahlreichen Fahrradfahrern vom oder zum ÖG zu prüfen bzw. den Lindenweg bzw. die Apfelallee, die jeweils Nadelöhre sind, aber für manche Wegstrecken unvermeidlich. Wir sagen dazu ganz deutlich, dass mit dieser Planung sich auch die Gefahr für Leib und Leben im Straßenverkehr von Oberneuland erhöhen würde. Anmerkung: Die Fleete können nicht für Fahrradwege zugeschüttet werden! Es blieben letztlich nur Grundstücksenteignungen oder zusätzliche Hochstraßen, um dem Risiko entgegenzuwirken. Das Risiko herunterzuspielen oder zu ignorieren, würde lediglich von fehlender politischer Verantwortung zeugen!

Zu 3:
Die durch die Bebauung versiegelte Fläche unterbindet eine natürliche Versickerung von Regenwasser. Hier kommen wir wieder zu Punkt 1, gepaart mit dem zunehmenden Risiko von Extremwetterlagen. Eine Lösung dazu konnten Sie in der Podiumsdiskussion nicht anbieten.
Darüber hinaus fehlt es an Ideen, wie ein solches Bauvorhaben mit Umweltschutzbedürfnissen zu vereinen ist. Soll es den privaten Haushalten vorbehalten bleiben, in den eigenen Gärten für ein bienenfreundliches Umfeld zu sorgen? Ist über Dachbegrünung nachgedacht worden, wenn ja: mit welchem Ergebnis?

Zu 4:
Bereits bei der Neueröffnung des Edeka nahe des Grand Central wurde es versäumt, dafür zu sorgen, dass sich dort Menschen gerne in ihrer Freizeit aufhalten. Es gibt keine Bäume und Sitzbänke, die ein Verweilen zum Gespräch dort unterstützen. Die Atmosphäre ist eher kalt und steril. So schafft man kein Dorfleben! Es steht zu befürchten, dass derlei Gedanken auch in der Bebauung des Mühlenviertels keine Rolle spielen. Sollen die Einwohner ihre Freizeit ausschließlich in ihren Wohneinheiten verbringen?

Zu 5:
Bei der Erweiterung von Kapazitäten für städtische Kindergärten und Schulen wird erst abgewartet, wie stark der Leidensdruck von Erziehern, Lehrern und letztlich auch Eltern und Kindern durch die Mehrbelastung zunimmt und dann ggf. über Maßnahmen entschieden. Für den Anstieg der PKWs haben Sie eine kalkulatorische Größe (0,7 pro WE) festgelegt, für Kindergärten und Schulen sind Sie dies bis jetzt schuldig geblieben.

Fazit: Die gesamte Bebauungsplanung des Mühlenviertels ist somit nur auf das Ziel des maximalen Wohnraums und maximalen Profits reduziert. Die o.g. Punkte zeigen auf, dass eine ganzheitliche und politisch verantwortungsvolle Planung nicht stattgefunden hat. Sie darf so nicht umgesetzt werden!
Dieser Bebauungsplan hat noch ein zusätzliches K.o.-Kriterium: Die günstigeren Wohneinheiten (sozialer Wohnungsbau) werden so ausgerichtet, dass sie gleichzeitig als Schallschutz zur Eisenbahn für die übrigen Wohneinheiten dienen.
Von Frau Dr. Schaefer, Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau, ist dazu keine Handschrift ihrer Partei erkennbar. Aus dem letzten Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen 2019 in Bremen:

„… Dass ein tiefgreifender Wechsel notwendig ist, wenn wir unseren Planeten vor einer Klimakatastrophe bewahren wollen, und dass wir vor Ort dazu beitragen müssen: Das ist unsere GRÜNE Grundüberzeugung, und hier machen die GRÜNEN den Unterschied in einer Regierung …“

bzw.

„… Wir sind gegen eine Bebauung von Kleingartengebieten. Wir wollen sie als Grün erhalten, so können sie auch als Kompensationsflächen dienen …“

Zu dem o.g. Fazit kommt demnach zusätzlich das Über-Bord-Werfen politischer Überzeugungen der Grünen hinzu!

Die zahlreichen Teilnehmer der Podiumsdiskussion haben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: Oberneuland will die von Ihnen geplante Bebauung nicht!

Wir fordern Sie daher auf, eine neue Planung zu erstellen, zurückgeführt auf max. 70 Wohneinheiten!

Mit freundlichen Grüßen
Dr.-Ing. Christian Soehner
Peter Kölle

Kopien an:
Frau Senatorin Dr. Maike Schaefer, Die Baudeputation, Presse,
Initiative Pro Mühlenfeld e.V.

Foto: Johannes Bieniek