Erster Firmensitz in Oberneuland

50 Jahre Girzig & Gottschalk

Ob der Oberneulander Klaus Girzig seine Erinnerungen vielleicht einmal in gedruckter Form als Buch herausbringen wird? Bereits seit einigen Jahren arbeitet der gebürtige Ostpreuße an einem Manuskript seiner Lebensgeschichte. Eines dürfte feststehen: Jedes Kapitel enthält durchaus überraschende und sehr unterhaltsame Episoden. Insbesondere der Start in die berufliche Selbstständigkeit und Gründung der eigenen Druckerei, den er 1971 gemeinsam mit seinem damaligen Kompagnon Gerhard Gottschalk in Oberneuland wagte.

Nach der Lehre zum Schriftsetzer bei der Zevener Zeitung in den 1950er Jahren und ersten Erfahrungen u.a. beim Weser-Kurier zieht es Klaus Girzig 1961 gemeinsam mit seiner Frau Renate für über acht Jahre in die Schweiz. Zwischendurch wandern die beiden für über ein Jahr in die USA – nach New York – regelrecht aus, um dort in ihren Berufen arbeiten zu können. In seinen Erinnerungen beschreibt er diese Zeit als „wertvolle berufliche und persönliche Erfahrung“, dennoch kehrt Girzig 1969 nach Deutschland zurück und zieht mit seiner jungen Familie nach Achim, um dort in einer kleinen, reinen Buchdruckerei als „rechte Hand“ des Inhabers zu agieren. Zunächst ist eine spätere Betriebsübernahme angedacht, die sich allerdings im Laufe der Zeit zerschlägt. Hier lernt Klaus Girzig den zehn Jahre älteren Gerhard Gottschalk kennen und kann ihn dazu überreden, gemeinsam in die Selbstständigkeit zu starten. „Wir begannen in Bremen nach Möglichkeiten der Übernahme oder Pachtung einer Druckerei zu suchen. In Oberneuland, Auf der Heide, bei einer kleinen Hausdruckerei des Versandhändlers‚ Honig-Fischer‘ wurden wir fündig“, so Klaus Girzig.
„Die Druckerei war zwar nicht mehr in Betrieb, aber das Equipment zur Erstellung seiner Prospekte, Postkarten und Etiketten noch vorhanden.“
Die Pacht für die Räumlichkeiten können Girzig und Gottschalk über die Herstellung der Drucksachen für ‚Honig-Fischer‘ teilweise ablösen. Das scheint den jungen Unternehmern machbar und so werden die letzten Wochen des Jahres 1970 genutzt, um die eigene Druckerei in Oberneuland für den offiziellen Gründungstag am 1.1.1971 einzurichten. Voller Energie für die eigene Firma beginnt danach der Aufbau der kleinen GbR Girzig und Gottschalk und die Anschaffung weiterer Maschinen, insbesondere für den Offsetdruck.
Doch aller Anfang ist schwer – und so geht es in den ersten Monaten vor allem darum, mit viel Engagement neue Kunden zu akquirieren – und auch so manchen Rückschlag zu verkraften.
Den Durchbruch bringt u.a. ein Auftrag für die Firma Vitakraft. Eine Gesetzesänderung führte dazu, dass bereits bedruckte Tierfutterkartons mit einem zusätzlichen Vermerk zu Inhalt, Gewicht etc. ergänzt werden müssen. Girzig und Gottschalk übernehmen den Auftrag gern. „Vitakraft wollte die Verpackungen nicht einstampfen, und so bedruckten wir praktisch in Tag-und-Nacht-Schichten die Schachteln mit den zusätzlichen Angaben. Als Zwei-Mann-Unternehmen blieb uns bei den Mengen nichts anderes übrig, als unsere Ehefrauen mit einzuspannen“, erinnert sich Klaus Girzig. „Wir hatten Glück, dass wir einen alten Schuppen von ‚Honig-Fischer‘ für die Lagerung dieser enormen Mengen nutzen durften.“
Es folgen Aufträge u.a. für die Unternehmen Eduscho und Kaffee Hag, später für die Bremer Lagerhaus Gesellschaft, was schon im ersten Jahr nach Firmengründung zur Einstellung von zusätzlichen Mitarbeitern führt. Inzwischen von Achim nach Bremen Osterholz umgesiedelt, belegt Klaus Girzig auch noch einen Meisterlehrgang und erhält im Juli 1972 seinen Meisterbrief. Im folgenden Jahr eröffnet ‚Honig-Fischer‘ Girzig und Gottschalk, dass er das Grundstück verkaufen wolle und ein neuer Standort für die Druckerei gesucht werden muss. Nach einigen Besichtigungen entscheidet sich Girzig für ein Objekt in Hemelingen. Mitte 1974 erfolgt der Umzug von Oberneuland in die Hannoversche Straße 64 – auch heute noch der Firmensitz der Druckerei. Den Umzug ins neue Domizil erlebt Gerhard Gottschalk zwar noch, verstirbt aber wenig später an den Folgen einer Krebserkrankung.
Danach geht es in rasantem Tempo an den Ausbau der Firma, nicht nur hinsichtlich der baulichen Erweiterung auf dem Firmengelände, sondern auch bei der Aufstockung des Maschinenparks und der Suche nach Fachkräften. 1977 kommt so auch Siegfried von der Wehl als Drucker in die Firma Girzig und Gottschalk, die er nach ein paar Jahren wieder verlässt, um sich selbstständig zu machen. Fast zehn
Jahre später revidiert er seinen Entschluss und wird 1986 zum Teilhaber der inzwischen gegründeten GmbH.
„Siegfried von der Wehl war über 30 Jahre ein treuer Partner, bevor er sich 2017 aus der Unternehmensleitung zurückzog“, erzählt Klaus Girzig. Sowohl von der Wehl als auch Girzig Senior schauen aber regelmäßig in der Hannoverschen Straße vorbei – das Interesse am Unternehmen ist geblieben.
Denn inzwischen führt Klaus Girzigs Sohn Alexander das Unternehmen. Nach seinem Abitur an der Waldorfschule Bremen beginnt er seinen Werdegang in einer berufsbildenden Einrichtung in Hildesheim. „Dort habe ich auch noch den guten alten Bleisatz kennengelernt“, erinnert sich Alexander Girzig. 2004 beginnt er eine Ausbildung zum Medienberater/Print bei einer Rollendruckerei in Hameln und sammelt im Weiteren Erfahrungen in einem größeren Betrieb in Neubrandenburg. Genauso wie den Vater zieht es auch den Sohn ebenfalls ins Ausland, u.a. nach Südafrika, allerdings nicht für berufliche Aufgaben, sondern aus privaten Gründen, bevor er 2011 bei Girzig und Gottschalk einsteigt.
Zur Jahrtausendwende erleben Vater und Sohn allerdings auch eine ganz besondere gemeinsame Auslandserfahrung. 1998 startet der begeisterte Segler Klaus Girzig mit einer öfter wechselnden Crew, darunter die gesamte Familie, zu einer Weltumseglung im eigenen Segelboot – der „Millennium Odyssey“, die erst im Jahr 2000 endet. Später werden mit dem bekannten Segler Jimmy Cornell verschiedene Projekte verwirklicht, unter anderem ein Weltatlas über die unterschiedlichen Winde auf den Weltmeeren, von dem es im kommenden Jahr eine weitere aktualisierte Auflage geben soll. „Bereits kurz nach der Firmengründung hatten Gerhard Gottschalk und ich den Motorboot-Führerschein gemacht und ein kleines Motorboot gekauft, das in der Saison in der Marina Oberweser lag und im Winter auf dem Gelände von ‚Honig-Fischer‘ stand“, erinnert sich Klaus Girzig. „Die Begeisterung für den Wassersport ist geblieben und hat über die Jahre den Ausgleich zu beruflichen Herausforderungen gebildet.“
Seit seinem Einstieg in die väterliche Firma hat Alexander Girzig das Aus vieler Bremer Druckereien beobachtet, blickt aber zuversichtlich auf die Auftragslage des eigenen Unternehmens. „Wir können nach wie vor auf unsere Stammkundschaft zählen. Aber immer wieder kommen auch neue Unternehmen auf uns zu, die nicht auf das gedruckte Medium in Form von Broschüren, Flyern oder Büchern verzichten mögen, bzw. Kalender oder Verpackungen drucken lassen, und unsere Kompetenz sowie die damit verbundene Qualität schätzen“, weiß Alexander Girzig zu berichten.
Was den Druckereien allerdings zunehmend Sorge bereitet, ist die aktuelle Papierknappheit. „Es gibt nur noch wenige große Hersteller und die haben in den zurückliegenden Jahren zunehmend auf Karton und Pappe umgestellt, weil die Nachfrage durch den Versandhandel hier gestiegen ist, während sie bei grafischen Papieren, die bedruckt oder beschrieben werden, seit Jahren abnimmt“, so Girzig. „Und knapp sind nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die Kapazitäten beim Transport.“
Und so geht es mehr als fünf Jahrzehnte nach Firmengründung bei den Angeboten für die Kunden vor allem darum, ob genügend Papier in der gewünschten Qualität verfügbar ist bzw. welche Alternativen zur Verfügung stehen. „Zu unseren absoluten Stärken zählt die Flexibilität, die wir nun seit mehr als 50 Jahren unter Beweis stellen“, sind sich Vater und Sohn Girzig einig.

Text: Meike Müller, Foto: Meike Müller/Girzig & Gottschalk (8)