Großes Innenleben im kleinen Haus …

Tiny House

Im Jahr 2018 begannen die beiden Söhne des Oberneulander Küsters Andreas Wokurka mit dem Bau eines Tiny House im eigenen Garten. Das Oberneuland Magazin berichtete damals ausführlich wie Markus und Simeon Wokurka den eigenen Wohntraum wahr werden ließen. Nun über 2 Jahre später beschreibt Simeon, wie das Projekt weiter ging.

Leben in einem Tiny House bzw. je nach Definition in einem Wagen, auf wenigen Quadratmetern, geht das eigentlich und wenn ja, wie? Dieses Selbstexperiment begannen mein Bruder und ich vor nun fast 2,5 Jahren mit dem Bau. Es hatte eine Weile gedauert, bis wir uns einigen konnten, schließlich entwickelte mein Bruder andere Wohnpläne und so übernahm ich quasi dieses gemeinsam begonnene Projekt allein.

Seit Sommer 2019 wohne ich in diesem kleinen Haus auf Rädern und genieße es nach wie vor. Denn wenn man sich einige Verhaltensweisen antrainiert und neue Gewohnheiten entwickelt, hat diese Wohnform im Gegenzug auch viele Freuden und Freiheiten zu bieten. Zwangsläufig muss man sich bei vielen Dingen fragen, ob man sie wirklich braucht, denn die Wohnfläche beträgt gerade einmal 10 m² und so ist Platz immer Mangelware. Da das Haus auf einem Anhänger steht und beweglich ist, muss auch das Gesamtgewicht im Blick behalten werden, so sollte alles sowohl platzsparend als auch leicht sein. Ganz automatisch entwickelt sich die Ablehnung, Dinge anzuhäufen, die man eigentlich nicht braucht und der Alltag wird wesentlich einfacher, wenn man es schafft, eine strikte Grundordnung zu halten.

Nachdem der Rohbau fertig war, begann also Kapitel zwei des kleinen Haus-Projekts, die Gestaltung des Innenraums. Wenn man auf so wenigen Quadratmetern lebt, dann braucht es individuelle Lösungen bei vielen Einrichtungsgegenständen. Das Hoch-Bett hängt an der Decke, damit keine Pfosten kostbaren Platz darunter stehlen, gleichzeitig soll es in der Höhe verstellbar sein. Um im Alltag Fläche zu schaffen, aber auch Besuch adäquat zu bewirten, muss der Tisch wegklappbar sein, dabei darf die Kommode nur zwei Füße haben und so weiter. Oftmals bedingt auch schon der Grundriss, welche Maße die Möbel an einer bestimmten Stelle überhaupt haben können. Anders als bei einer massiven Steinwand, in der fast überall eine Befestigung gesetzt werden kann, habe ich nur an bestimmten Stellen die Möglichkeit, schwere Dinge zu befestigen oder Möbel stabil einzubauen, nämlich da, wo massive Balken des Ständerwerks in der Wand sind. Die Möbel wiederum erhöhen die Stabilität der Gesamtkonstruktion, wenn sie mit dieser verschraubt sind – so gesehen erfüllen sie auch einen Zweck für die Statik des ganzen Hauses.

Die Suche nach Möbeln mit schwedischen Vor- oder Ortsnamen verläuft da in der Regel glücklos und so werden es dann doch meistens Möbel der Marke Eigenbau. Abgesehen davon, dass jene manchmal sehr viel Zeit beanspruchen und ein nicht ganz unerhebliches Werkzeugkonvolut bedingen, welches mit der Zeit auch eher größer wird, haben sie dann eben den Vorteil, dass sie wirklich den Anspruch und speziellen Zweck erfüllen. Zumindest meistens, denn nicht immer sind die Projekte im ersten Anlauf ein Erfolg. Letztes Jahr im Sommer schraubte ich über drei Wochen in jeder freien Minute an einem Sofa, welches ausgefahren als Gästeschlafplatz genutzt werden sollte. Der Clou war, dass unter dem Sofa Stauraum sein sollte, welcher von der Schlaffunktion unberührt bleibt, es musste sich also in der Luft ausklappen lassen. Zunächst war ich recht zufrieden, doch mit der Zeit offenbarten sich im Alltag Mängel und Kinderkrankheiten und irgendwann flog es wieder raus. Ein entsprechendes Möbel habe ich bis heute nicht. Tatsächlich ist ein Schlaf-Sessel, wohl sogar den schwedischen Möbelingenieuren zuzuordnen, jetzt der Platzhalter. Jedoch entstehen weiterhin fleißig Entwürfe. Es waren also nicht alle Ideen und Umsetzungen von Erfolg gekrönt.

Mit der Zeit haben sich einige Maßanfertigungen dauerhaft in das Innenleben des Häuschens integrieren können. Professionellen Ansprüchen an Präzision und Ästhetik genügen diese vielleicht nicht immer, dafür sind sie funktional und individuell und erzählen eine kleine Geschichte. Und ich erfreue mich an ihnen im täglichen Leben wahrscheinlich deutlich mehr, als ich es über gekaufte Möbel tun würde. Außerdem gibt es immer einen Lernprozess, inzwischen bin ich mit meinen Kreationen deutlich zufriedener als noch vor einiger Zeit. Ein weiterer, für mich sehr wichtiger Aspekt: Nur ein Teil des verbauten Materials ist gekauft, vieles wurde kostenlos ergattert, bevor es auf der Mischmüllhalde, dem Lagerfeuer oder sonst wo geendet wäre. Ein wichtiger Lieferant für so einige Holzstücke war und ist der Garten. Egal ob beim Obstbaumschnitt oder beim Ausdünnen der Hecke, ständig fallen gute Werkstücke an, die nach dem Trocknen und etwas Geduld bei der Bearbeitung zu wichtigen Bauteilen der Möbel werden. Auch im Wald, an Flüssen und am Strand findet sich manchmal ein interessantes, gut brauchbares Stück Holz oder Treibholz. Es nimmt mehr Zeit in Anspruch, einen krummen Ast irgendwo einzupassen, als das gerade Brett aus dem Baumarkt; sicherlich ist Zeit überhaupt die wichtigste Voraussetzung für DIY- und Upcycling-Projekte.

Gleichzeitig kann man dadurch aber auch den Geldbeutel schonen und es ist natürlich nie verkehrt, Dingen ein zweites Leben zu geben. So landet immer etwas nicht im Müll, gleichzeitig werden keine neuen Ressourcen beansprucht. Außerdem hängt an dem Ganzen auch ein kreativer Prozess und es kann sehr viel Spaß machen, sich ungewöhnliche Lösungen zu überlegen. Immer zu schauen, was habe ich denn an Material und lässt sich damit schon etwas realisieren, fördert mit Sicherheit die Kreativität und steigert hinterher dieFreude daran. Es macht einfach Spaß, sich Gedanken zu machen, Ideen zu sammeln, Lösungen zu finden und diese in die Tat umzusetzen und dabei möglichst wenig Dinge zu kaufen. So wird das alltägliche Leben automatisch zu erfahrener Selbstwirksamkeit und das ist für mich wahrscheinlich eine der schönsten Erfahrung des ganzen Projekts.

Text: Simeon Wokurka, Foto: Susanne Wokurka