Kartenzahlung nicht möglich

Hammelsprünge im Juni

DAS war ein Schock. Ein Riesenschock. Superduper-Monster-Giganto-Riesen-Schock.
Nein, ich übertreibe nicht. Ja, Sie haben recht. Ich sollte jetzt endlich mal schreiben, worum es geht.
Es geht um Urlaub. Es geht um Bezahlen. Es geht um Verlust. Es geht um Panik. Es geht um Superduper-Monster-Giganto-Riesen-Panik. Nein, ich übertreibe nicht.
Ja, ich sollte noch konkreter werden.
Also, wir haben dieses Jahr Urlaub auf einer Insel gemacht, deren Name mit ‚Sy‘ beginnt und mit ‚lt‘ endet.
Wir haben Bargeld dabeigehabt, weil es ein paar Lokalitäten gibt, die nur Bares haben wollen, nichts Rares und auch keine Karten.
Erst am dritten Tag des Urlaubs brauchte ich mein Bargeldersatzplastik.
Wir hatten unsere Tochter eingeladen und ihre neue Freundin und den Sohn und die beiden Hunde.
Wenige Sekunden später zückte ich mein Portemonnaie, um die EC-Karte zu zücken, und dann zückte, äh, zuckte ich zusammen. Das Plastikkärtchen war nicht an seinem Platz.
Nachdem ich die Geldbörse viermal durchgeguckt hatte, durchwühlte ich sie noch zweimal, zwischendurch grinste ich immer Richtung Kellner. Es dauerte so lange, dass große Teile meiner Familie das Lokal bereits verlassen hatten, sogar Teile von mir; mein Geist hatte sich schon von dem Gastronomieangestellten verabschiedet.
Mein Körper blieb – auch, weil inzwischen das Blut aus meinem Kopf in tiefere Regionen gesickert war. Meine Frau erlöste mich, kam wieder ins Restaurant, gab mir ihr Bargeld.
Ich zahlte. Ich ging. Ich grübelte. Mir fiel das Urlaubsgeld auf unserem Konto ein. Mir fielen Betrüger ein. Mir kamen Kontoabräumer in den Sinn. Mir wurde schlecht. Echt! Ich konnte klar denken nicht mehr. Alles durch ging einander.
Die Vorstellung, dass der Scheckkarten-Finder unser lang erspartes Geld für irgendeinen Unsinn ausgeben würde, bereitete mir Kopfschmerzen. Und es war mir kein Trost, dass der Gauner unser Geld möglicherweise auch sinnvoll ausgeben wird.
„Wir müssen die Karte sperren“, sagte meine liebe Frau. Ich war mit dem Gedanken beschäftigt, dass jemand jeden Tag Geld von unserem Konto abhebt.
Dann kam mir eine Idee: „Wir müssen die Karte sperren.“ Meine Frau reagierte sofort: „Oder besser noch. Wir lassen die Karte sperren.“ Tatsächlich hatte sie bereits die Zahlungsmittelsperrtelefonnummer herausgesucht.
Ich rief an. Und dann der Klassiker. Es war so windig, dass die digitale Frauenstimme mich nicht mal im dritten Anlauf verstand.
Obwohl ich sie anschrie, blieb sie ruhig und bat mich, die Eins zu drücken.
Schnellen Schrittes ging es zur Filiale unseres Kreditinstituts. Ich hoffte, dass man das wertvolle Kunststoffkärtchen auch am Automaten sperren kann. Fehlgehofft. Was jetzt? WAS JETZT!? Was sollen wir bloß tun? Ob sich schon jemand an unserem Konto bedient hatte? Das hatte Regina längst gecheckt.
Nee. Geld war noch komplett auf dem Konto.
Zu Hause gelang es uns, per Hotline die Karte zu sperren. Ein Stein fiel mir vom Herzen und von der Leber, der Lunge und dem Blinddarm.
Einatmen. Durchatmen. Ausatmen. Zwanzig Mal.
Jetzt war es an der Zeit, zu überlegen, bei welcher Zahlung ich die Karte vergessen hatte.
Supermarkt? Nein. Bäcker? Nein. Café? Nein. Hatte ich sie auf der Insel überhaupt schon benutzt? Nein. Dann nahm ich ein „Danke“ von meiner Frau wahr und fragte: „Wofür?“ Sie runzelte die Stirn. Ich runzelte die Stirn. Sie meine, ich ihre.
Dann wiederholte Regina, was ich zuvor missverstanden hatte: „Tanke.“
Natürlich! Bevor wir auf den Autozug gefahren sind, haben wir noch vollgetankt.
Das war es. Damit war der Fall gelöst, dachte ich, aber er war natürlich noch nicht abgeschlossen. Ich grübelte und grübelte. Dann hatte ich plötzlich das Logo einer Tankstelle vor meinem geistigen Auge: ‚Oral‘ (von der Redaktion abgeändert). Das war aus meiner Erinnerung die letzte Tanke. Schnell haben wir die Telefonnummer gefunden. CHAKA. Schnell habe ich gewählt. CHAKA! Schnell hatte ich
jemanden an der Strippe. CHAKA!!! Relativ zügig fragte ich, ob meine Scheckkarte dort liegt. Ziemlich lange musste ich warten, bis der Mann von seiner Suche wieder zurückkam. Sehr lang war seine Antwort nicht: „Nein.“ „Bitte?“ „Hier liegt keine Karte.“ „Aber die muss irgendwo bei Ihnen liegen. Haben Sie denn wirklich überall geguckt?“ (Eine überflüssige Frage, die gerne zu Aggressionen führt.)
„Nein, Mann. Wir haben hier keine EC-Karte.“ PAUSE. Dann sagte ich: „Wann ist denn die Kollegin wieder da, die gestern Morgen gearbeitet hatte?“ „Dienstag.“
„Dienstag erst?“ (Eine überflüssige Frage, die nicht zur Entspannung beiträgt.) „Können Sie mir die Telefonnummer der Kollegin geben?“ (auch überflüssig) „Natürlich nicht.“ „Dann wenigstens ihren Namen?“ (total überflüssig) STILLE. „Haben Sie etwa aufgelegt?!“
(mehr als überflüssig).
Ich war in Rage. In Superduper-Monster-Giganto-Riesen-Rage.
RIESENPAUSE. Meine Frau beruhigte mich mit allen Mitteln … am Ende mit Bier, Caipirinha und Eierlikör – in einem einzigen Glas – erst gerührt, dann geschüttelt.
SCHLAFENSZEIT.
Morgens: PLING. Geistesblitz: Die Tankstelle ‚Oral‘ (von der Redaktion abgeändert) war die falsche. Die war in List. Da waren wir vorbeigefahren. Die Karte lag ja aber bei einer Tanke auf dem Festland.
Meine liebe Frau hat schnell recherchiert. Dann rief ich an. Schneller als ich meine Frage zu Ende stellen konnte, sagte sie: „Ihre EC-Karte liegt hier.“
Der Stein, der mir vom Herzen fiel, war etwa so groß wie der Planet Mars und alle umliegenden Ortschaften.
Hatte ich schon erwähnt, dass ich Tankstellenangestellte toll finde?

Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor