„Ein Naturraum voller Überraschungen“

Interview mit Wümme-Expertin Rebekka Lemb

Wenn es um die Schutzgebiete an der Wümme geht, kommt bei uns die Stiftung NordWest Natur ins Spiel. Die Diplom-Geographin Rebekka Lemb ist Geschäftsführerin der Stiftung, die ihren Sitz am Dobben in Bremen hat. Im Interview spricht sie über die Aufgaben der Stiftung und den Schutz der Wümme-Welt.

Seit wann kümmert sich die Stiftung NordWest Natur um die Wümmeniederung und was macht sie dort genau?
Rebekka Lemb: Im Auftrag der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau sind wir seit 2006 für die Schutzgebietsbetreuung der Naturschutzgebiete Borgfelder Wümmewiesen und Untere Wümme zuständig. Die Betreuung der Landschaftsschutzgebiete Oberneulander Wümmeniederung und Oberneulander Wiesen hat die Stiftung seit rund zehn Jahren inne. Schutzgebietsbetreuung bedeutet, dass wir beispielsweise in den Borgfelder Wümmewiesen für die Eigentumsflächen des WWF, des BUND Landesverbands Bremen und unserer eigenen Stiftung zuständig sind, diese an lokale Landwirte verpachten und naturschutzfachlich betreuen. Zudem sind wir an den Wochenenden vor Ort, um mit Ausflügler*innen ins Gespräch zu kommen und Veranstaltungen durchzuführen. Weiterhin werden wir durch die Senatorin für Umwelt als außerschulische Umweltbildungsstelle gefördert. Gewässerbezogene Umweltbildung für unterschiedlichste Zielgruppen ist eine unserer Kernkompetenzen. Wir organisieren und koordinieren das jährliche biologische Monitoring in den Borgfelder Wümmewiesen und engagieren uns mit unterschiedlichsten regionalen und über-
regionalen Partnern in einer Vielzahl von Projekten.

Wie kam es zur Gründung der Stiftung?
Die Nordwestdeutsche Stiftung für Tier- und Naturschutz wurde 1999 in Bremen gegründet. Stiftungszweck ist der Schutz und die Wiederansiedlung der charakteristischen Tierwelt und ihrer Lebensräume in Norddeutschland. Räumlicher Schwerpunkt der Stiftung NordWest Natur sind die wassergeprägten Landschaften an der Wümme. Mit den Menschen – für die Natur – dieses Motto leitet die Stiftung in ihrem Handeln.

Für welche Altersgruppen bieten Sie Umweltbildungsprogramme an?
Die klassische Umweltbildung findet bei uns für Kinder und Jugendliche bis zur 12./13. Klasse statt. Unser Veranstaltungsprogramm richtet sich an alle Altersgruppen.

Was zeichnet die Wümmelandschaft besonders aus, was macht sie für Bremen so wertvoll?
Die Bremische Wümme-niederung ist Überschwemmungsgebiet und leistet damit in Zeiten starker Regenfälle und hoher Wasserstände in der Wümme einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz in Bremen. Zudem sind die Wümmewiesen wichtiger Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen und haben eine hohe Funktion als Naherholungsraum. Was man darüber hinaus nicht vergessen darf: Die Bremische Wümmeniederung wird auch landwirtschaftlich genutzt. In den Borgfelder Wümmewiesen findet eine sehr extensive Bewirtschaftung statt, in den Oberneulander Landschaftsschutzgebieten ist die Nutzung intensiver. Die Wiesen und Weiden haben also auch für die bremische Landwirtschaft eine wichtige Funktion.

Welche Pflanzen und Tiere zählen zu den Besonderheiten der Wümmeniederung?
Die Bremische Wümmeniederung bildet zusammen mit der Fischerhuder Wümmeniederung einen überregionalen Natur-raum. Das Repertoire an Arten, das man hier beobachten kann, ist breit gefächert. Die Borgfelder Wümmewiesen sind DAS Brutgebiet für Bekassine und Wachtelkönig in Bremen, auch andere Rallen wie Wasserralle oder Tüpfelsumpfhuhn kommen hier vor – das sind sehr seltene Vögel. Kiebitz und Brachvogel, auch beides Rote-Liste-Arten, können als Brutvögel auch in den Landschaftsschutzgebieten in Oberneuland beobachtet werden. Im Rahmen des Vogelzugs kann man in der Bremischen Wümmeniederung auch mal Raritäten wie Kampfläufer sehen. In den Borgfelder Wümmewiesen ist das Sumpfläusekraut zu Hause, ebenso Sumpfdotterblume, Wassergreiskraut und andere Blühpflanzen.

Wie hat sich die Natur an der Wümme in den vergangenen Jahren verändert?
Mit der Förderung der Biogasanlagen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ab 2007 kam es beispielsweise im Landkreis Rotenburg zu einer starken Zunahme des Maisanbaus. Wer hier mit dem Rad auf dem Wümme-Radweg unterwegs ist, bewegt sich in Teilen immer noch durch große Maislandschaften. Insgesamt ist an der Wümme in den letzten Jahrzehnten aber viel renaturiert worden. Wehre wurden durch Sohlgleiten ersetzt und der Wümme-Nordarm, beispielsweise entlang der Borgfelder Wümmewiesen, wieder in Flussschleifen gebaut.

Was sind die besonderen Reize in den verschiedenen Jahrszeiten?
In allen Jahreszeiten klingen die Borgfelder Wümmewiesen unterschiedlich: Im Frühjahr und Sommer liegen vor allem die Rufe der Brutvögel in der Luft. Kiebitz, Brachvogel und Bekassine bestimmen den Sommer-Klang, dazwischen rufen Feldlerche, Wachtel und Wachtelkönig. Im Herbst und Winter kommen dann die Wintergäste. Die Rufe von Pfeifente und Singschwan klingen völlig anders und sorgen wieder für einen ganz anderen Sound. Und natürlich verändert sich das Landschaftsbild völlig: Wer im Winter die Seenlandschaft der Borgfelder Wümmewiesen gesehen hat, wird nicht glauben, dass er über die gleiche Landschaft schaut, wenn er im Mai wiederkommt.

Warum hat die Wümme mit einem stärkeren Tidenhub zu kämpfen?
Der stärkere Tidehub betrifft die Wümme von der Mündung bis kurz hinter der Ortslage Borgfeld. Er ist auf den Ausbau der Weser zurückzuführen, mit dem 1887 begonnen wurde.

Wie wirkt sich der stärkere Tidenhub auf Pflanzen und Tiere an der Wümme aus?
Viele an der Unteren Wümme beheimatete Pflanzen und Tiere vertragen die durch den Tidehub verursachten regelmäßigen und starken Wasserstandschwankungen nicht. Die Folge ist eine Verarmung des Artenspektrums. Auch die erhöhte Strömung macht den Tieren und Pflanzen zu schaffen, zudem brechen verstärkt Ufer ab.

Welche Auswirkungen des Klimawandels sind an der Wümme zu sehen?
Es wird trockener an der Wümme. Bereiche wie das „Nasse Dreieck“, die die Nässe eigentlich im Namen tragen, müssen inzwischen auch aktiv zugewässert werden. Auf dem Wümme-Nord-arm, auf dem für das Wasserwandern ein Mindestwasserstand eingehalten werden muss, ist Kanusport zeitweise kaum noch möglich. Auch Feuchtwiesenarten wie das Sumpfläusekraut leiden unter der zunehmenden herbstlichen Trockenheit und warmen Wintern.

Gibt es weitere Entwicklungen, die für die Wümmeniederung eine Gefahr darstellen können – beispielsweise im Freizeitsport?
Es gibt eigentlich sehr klare Regeln für den Freizeitsport auf der Wümme. Eine generelle Problematik, die aber nicht nur die Wümme betrifft, ist das Versiegeln flussnaher Flächen im Zuge von Wohn- oder Gewerbebebauung. Generell gilt: Je mehr extensiv genutzter Naturraum verschwindet, umso höher werden die Ansprüche, die an die verbleibenden Flächen im Hinblick auf Arten-, Klima- und Hochwasserschutz gestellt werden.

Was können Menschen, denen die Wümmelandschaft am Herzen liegt, für sie tun?
Das Auto zu Hause lassen und mit dem Fahrrad anreisen, dort, wo es ganzjährig geboten ist, ihre Hunde auch ganzjährig an die Leine nehmen, auf den ausgeschilderten Wegen bleiben und nach einem Picknick den Müll wieder mitnehmen. Eigentlich sind es ganz einfache Dinge, mit denen der Natur schon viel geholfen wäre. Wer Interesse daran hat, mehr über die Wümme und unsere Arbeit zu erfahren, ist sehr herzlich zu unseren Veranstaltungen willkommen.

Welche Orte an der Wümme sind besonders schön?
Die Untere Wümme mit dem Blocklander Deich ist natürlich etwas ganz Besonderes. Es lohnt sich aber auch sehr, mal die Quellregion der Wümme in der Lüneburger Heide zu besuchen. Die Landschaft dort ist völlig anders und sehr beeindruckend. Sehr schön ist es auch, mit dem Rad ab Rotenburg flussabwärts den Wümme-Radweg zu fahren. Auch hier stößt man auf einige Überraschungen.

Gibt es etwas, das Sie an der Wümme überrascht hat?
Die Wümme durchquert so viele unterschiedliche Landschaften. Man denkt immer, Norddeutschland sei nur flach und windig, aber das ist es nicht. Dieser Reichtum an kleinteiligen Unterschieden – das ist schon toll und überrascht mich immer wieder! Sogar die vermeintlich einheitlich grünen Wiesen und Weiden in den Borgfelder Wümmewiesen sind alle total unterschiedlich – man muss nur gut hinschauen, weil sich diese Verschiedenheit nicht sofort aufdrängt.

Die Fragen stellte Claudia Kuzaj.