Fürchte dich nicht!

Gedanken von Pastor Thomas Ziaja

Ich treffe einen Mann vor seiner Haustür. Wir reden über dies und das. Natürlich kommt auch die aktuelle Lage ins Gespräch. Der Mann sagt etwas, was ich in den letzten Jahren selten gehört habe: »Ich habe Angst. Ich weiß nicht, wie das alles noch werden soll. Da ist der Krieg in der Ukraine. Da ist die Not bei vielen Menschen. Ob wir bald alle frieren und im nächsten Jahr unsere Rechnungen nicht bezahlen können? Ich habe einfach Angst.«
Eine echte Antwort habe ich für den Mann nicht. Es ist überwältigend, was seit zwei Jahren auf uns einprasselt. Viele Selbstverständlichkeiten stehen infrage. Je mehr Zeit vergeht, umso weniger kann ich mir vorstellen, wie sich das alles entwickeln wird. Auch ich mache mir Sorgen.
Mir fällt der Engel von Weihnachten ein. Er kommt zu Maria, er kommt zu den Hirten und das Erste, was er immer sagt, ist: »Fürchte dich nicht!« Zuerst denke ich mir: »Den Spruch kannst du behalten!« Du kannst keinem seine Gefühle befehlen.
Es ist völlig klar, dass die Erfahrung, einem Engel gegenüberzustehen, Angst macht. Es ist klar, dass Krieg Angst macht. Wir brauchen die Angst in unserem Leben. Sie hat uns viele Male das Überleben gesichert. Wenn uns nur gesagt wird, dass wir unsere Angst vergessen sollen, verpassen wir vielleicht die Gelegenheit, die Angst kennenzulernen: wie sie sich anfühlt, warum sie sich zeigt und wie wir sie nutzen können. Angst ist die Schwelle, die wir überschreiten müssen, um mutig zu werden. Sie ist das Signal, das unser Körper sendet, wenn wir ein Risiko eingehen oder etwas Neues tun wollen.
»Fürchte dich nicht!« Das kann auch der Aufruf zu etwas Neuem sein. Es soll nicht heißen, geh über das Gefühl und ignoriere es. Es heißt, dass ich stärker werden soll als die Angst. Ich nehme die Angst als Antriebskraft, die mich voranbringt. Die Angst spannt die Muskeln an; ich bin bereit zum Sprung. Die Angst treibt den Puls hoch; ich kann reagieren. Jeder Moment der Angst hat die Kraft in sich, dass es anders werden kann.
»Fürchte dich nicht! Die Angst soll dich nicht lähmen! Finde in ihr die Kraft zur Veränderung!« Das meint der Engel, wenn er zu Menschen spricht. Zu Maria sagt er: »Du bist schwanger. Du hast nicht damit gerechnet. Dein Leben wird sich auf den Kopf stellen. Du hast Angst, aber du hast auch die Kraft, daraus etwas zu machen.« Maria hört diese Worte, erschaudert und folgt diesem Ruf. Du wirst den Krieg nicht beenden. Lass dich davon erschrecken! So bleibst du ein Mensch, der den Frieden will und in seiner kleinen Welt dafür tut, was er oder sie kann. Du wirst kein Gas herbeizaubern. Hab Angst vor dem Winter, der kommt! Dann finde aus dieser Angst neue Ideen, wie alle zusammenrücken und sich nicht erpressen lassen von einem Diktator. Du wirst nicht sicher sein in dieser Welt. Fürchte dich! Es gibt allen Grund dazu. Und dann achte darauf, in welche Richtung dich dieses Gefühl führt. Es bringt dich in eine Welt, in der sich etwas ändert. Aus Angst wird Mut, aus Furcht wird Weisheit, wie ein Sprichwort in der Bibel sagt: »Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn.« (Sprüche 9,10).