Bögen, Schwünge und Schalen

Beim Stuhl muss einfach alles sitzen

Beim Thema „Sitzen“ sollte man sich nicht gehen lassen. Im Gegenteil: Etliche Aspekte sind dabei zu beachten, denn schließlich sitzen wir oft. Am Esstisch, am Computer, beim gemütlichen Gespräch mit Familie und Freunden. Also muss ein Stuhl bequem sein, er sollte unseren Körper schonen und ihn nicht belasten. Außerdem soll er auch noch gut aussehen, der Stuhl!

Die Optik, sie war auch schon in früheren Zeiten ein wichtiges Thema. In Zeiten, als das bequeme Sitzen – oder eben: Thronen – in der Regel herrschenden Schichten vorbehalten war. Auf dem Thron konnten Herrscher sich über ihre Untertanen erheben – und das im Sitzen! Richterstuhl und Bischofssitz sind weitere Beispiele für herrschaftliches Sitzen; oftmals auf kunstvoll gestalteten Sitzmöbeln und Sesseln. Repräsentation war wichtig.
Im Lauf des 16. Jahrhunderts eroberte der Stuhl dann weitere Gesellschaftsschichten, wandelte sich vom exklusiven Gegenstand und Machtsymbol, machte sich auf den Weg in die Wohnräume vieler Menschen.
Aus massiver Eiche bauten Tischler die Stühle, von bequemen Freischwingern unserer Tage waren diese Modelle noch weit entfernt. Im Barock kam der Adel dann auf den Geschmack, bequemer sitzen zu wollen, samtene Polster waren das Mittel der Wahl, auch Leder setzte sich durch. Später waren es englische Möbeltischler, die dem Stuhldesign neuen Schwung gaben. Thomas Chippendale etwa kam auf die Idee, das starre Rückenstück zu öffnen. Die Sitzmöbel wurden nun leichter.
Das korrespondierte mit den Bedürfnissen des aufkommenden Bürgertums, das den Sinn für das Repräsentative gern mit dem Praktischen verband. Der deutsche Biedermeierstuhl etwa stand für handwerkliche Qualität; Polster – oft mit Rosshaar gefüllt – sorgten für einen gewissen Komfort. Aber nicht zu viel. Die ungepolsterten Rückenlehnen ließen nur eine etwas steife Haltung zu. Dann kam die Industrialisierung, die Fabrikfertigung. Manche verstanden es, die neuen Produktionsmöglichkeiten mit Handwerkskunst, Materialkunde und Gestaltungswillen zu einer unschlagbaren Mischung zu verbinden, bei der einfach alles saß. Paradebeispiel in diesem Zusammenhang: Thonet. Eine neue Zeit der Stuhlgestaltung begann, als Thonet eine Innovation auf den Markt brachte – Bugholz. Thonet bog in Leim gekochtes Holz unter Dampf, was vollkommen neue Möglichkeiten in Entwurf und Fertigung eröffnete. Die Thonet-Bugholzstühle gelten heute als Klassiker. In Wiens Kaffeehäusern begann der Siegeszug eines Klassikers – des Thonet-Buchenholzstuhls mit der schlichten Bezeichnung „No. 14“.
In der Moderne nahm sich das Bauhaus natürlich auch der Stuhlgestaltung an, und wieder ging es um das Biegen: Marcel Breuer war der Erste, der mit gebogenem Stahlrohr arbeitete – wiederum ein revolutionärer Schritt. Breuers Freischwinger „B64 Cesca“ eröffnete neue Möglichkeiten bequemen Sitzens. Mies van der Rohe führte das Prinzip des hinterbeinlosen Stuhls mit seinem „MR 10“ fort, sprich: Er führte die zwei Kufen im Bogen zur Sitzfläche und nutzte federndes Stahlrohr. Freischwinger pur!
Wiederum etwas später nutzten Designer in den Vereinigten Staaten die Möglichkeiten, die moderne Kunststoffe plötzlich in Verbindung mit der industriellen Fertigung boten – und schufen organische Sitzschalen, die sich von der rechtwinkligen Design-Moderne Europas entfernten. Charles und Ray Eames entwickelten unter dem für sich sprechenden Motto „Organic Armchair“ eine Reihe von Schalenstühlen und Schalensesseln.

Die schönsten Stuhl-Neuheiten 2023

  • Der neue Stuhl S 220 von Thonet
    (Design: das britisch-amerikanische Duo Sam Hecht und Kim Colin – gemeinsam bekannt als Industrial Facility). Das Programm S 220 bezieht sich auf das formale wie materialtechnische Erbe von Thonet – und schreibt dabei das Kapitel Formholz für das Unternehmen in einer ausgesprochen zeitgemäßen Interpretation fort: Die vertraute Linienführung des ikonischen Bugholzstuhls 214 überträgt der Entwurf in einen stapelbaren, materialeffizienten und universell einsetzbaren Formholzstuhl mit ergonomischer Sitzschale auf einem leichten Stahlrohrgestell. „Der 214 ist ein Stuhl aus Bugholzlinien, die den Körper leicht und bequem stützen. Seine Gestalt vereint organische mit geometrischen Formen, breite Schultern mit einer schlanken Taille“, erklärt Designer Sam Hecht das formale Erbe, das dem Entwurf des S 220 zugrunde liegt.
  • Der Dining-Stuhl lui léger von Team 7
    „Der jüngste Nachwuchs der lui-Stuhlfamilie ist ein echtes Stadtkind, gemacht für urbane Lässigkeit auf kleinem Raum. Nach dem entspannten Essen verschwindet lui léger platzsparend unter dem Tisch“, sagt Designer Jacob Strobel. Kaum ein Stuhl gilt als so vielfältig wie lui von Team 7. Strobels Allrounder setzen auf klare Formen und hohen Sitzkomfort, und sie bilden mittlerweile eine echte Produktfamilie. Dem neuen lui léger ist die Familienähnlichkeit deutlich anzusehen, gleichwohl bewahrt sich der kleine Bruder des Feel-Good-Sessels grand lui seine Eigenständigkeit. Die Armlehnen der Neuheit sind etwas niedriger, bleiben aber überaus komfortabel. Ihre Höhe ist so konzipiert, dass die Arme beim gemütlichen Sitzen entspannt und bequem auf die Lehnen gelegt werden können. Gleichzeitig fallen die Armlehnen nach vorne ab und sind in der Höhe reduziert, sodass sich lui léger platzsparend unter den Tisch schieben lässt.
  • Der Fiber Chair von Muuto
    Im neuen Nachhaltigkeitsstil: Der Hersteller Muuto hat die Fiber Chair Family des Designer-Duos Iskos-Berlin praktisch noch einmal neu erfunden – und setzt nun auf recycelten Kunststoff und FSC-zertifizierte Holzfasern. Dafür musste ein völlig neues Verbundmaterial komponiert werden. Der recycelte Kunststoff, der in der Fiber Chair Family verwendet wird, stammt aus postindustriellen Abfällen aus der Herstellung von Brillen. Der Kunststoff der Schale des Fiber Armchair und des Side Chair besteht zu mindestens 80 Prozent aus recyceltem Kunststoff, heißt es beim Hersteller weiter. Der Kunststoff wird mit bis zu 25 Prozent FSC-zertifizierten Holzfasern gemischt. Erhalten bleibt natürlich die so ikonische wie bequeme und charakteristische Form. „Der Fiber Chair ist eines unserer beliebtesten Designs, ein moderner und dennoch zeitloser Stuhl“, heißt es nicht ohne Grund bei Muuto. Mit der Verwendung des Recycling-Kunststoffs gelingt dem Stuhl nun der Sprung in die Nachhaltigkeits-Ära.
  • Der Cassia von Bretz
    Die traditionsreiche Einrichtungsmarke, bekannt für ihre spektakulären Sofakreationen, präsentiert mit Cassia einen spannenden und flexiblen Hybrid aus Stuhl und Sessel – superbequem, um extra lange gemütlich mit Freunden am Tisch zu sitzen! Design, Formgebung und Einzüge orientieren sich an der Cassia-Zimtblüte mit ihrer umhüllenden, einschließenden und zugleich offenherzigen Anmutung. Der elegante Hybrid – Design Dagmar Marsetz – steht auf einem drehbaren Untergestell (entweder silberfarben oder besonders trendig: mattschwarz). Lineare Einzüge an Rücken und Sitz betonen die Symmetrie einer Blütenstruktur, die legere Polsterung und die Blütenform schmiegen sich förmlich um den Körper.
  • Der Eames Fiberglass Chair LSR
    von Vitra

    Der Hersteller Vitra erweitert das Eames-Portfolio in diesem Frühjahr um die niedrigen Sessel „Eames Fiberglass Chair LSR“ mit Sitzschale in Fiberglas, „Eames Plastic Chair LSR“ mit Sitzschale in Polypropylen und „Eames Wire Chair LKR“. Während die Fiberglasschale nur für den Innenbereich geeignet ist, können die Polypropylenschale und der Wire Chair auch draußen eingesetzt werden. Darüber hinaus stellt Vitra vier neue Farben für den „Eames Wire Chair LKR“ und den „Eames Wire Chair DKR“ vor. Ausgehend von der Farbpalette, die Charles und Ray Eames für die „Fiberglass Chairs“ entworfen haben, hat Vitra die frischen Farbkombinationen Citron, Himmelblau, Dunkelgrün und Eames Seafoam Green entwickelt, die sowohl im Ess- und Wohnzimmer als auch im Garten eine richtig gute Figur machen. Auf historischen Bildern von ihrem Zuhause, dem legendären Eames House in Pacific Palisades, ist zu sehen, dass Charles und Ray Eames die kompakten Loungesessel drinnen und draußen benutzten, je nach Bedarf hier- und dorthin stellten und als bequeme Sitzgelegenheiten für Gespräche schätzten, wenn sie Gäste hatten. Genauso machen wir es auch!
    Text: Claudia Kuzaj, Foto: Bretz