Kreuzspinnen

Nachdenkliches von Pastor Thomas Ziaja
In den letzten Wochen waren sie überall, am Holzstapel, vor der Eingangstür, in Büschen und zwischen Blumen aufgespannt. Sie glitzern in der Sonne, Tau fängt sich in ihnen, Wind bringt sie zum Schwingen. Die großen Netze der Spinnen läuten das Ende des Sommers ein. Bald ist Herbst.
Mitten in den Netzen sitzt manchmal eine große Spinne. Ich gehöre zu den Menschen, die nicht sofort wegrennen, sondern fasziniert davorstehen. Ich bewundere, wie so etwas Kleines, Fragiles ein so dickes Tier tragen kann. Das ganze Netz hängt an wenigen seidenen Fäden und die Spinne sitzt gewichtig in der Mitte.
Ich gehe dann ganz nah heran und schaue mir die Spinne an. Hell- und dunkelbraun ist sie gestreift und auf dem Rücken trägt sie ein weißes Kreuz. Irgendwie ist es auch klar, dass mich dieses Tier in seinen Bann zieht. Eine Spinne, die ein Kreuz auf dem Rücken trägt, ist für einen Pastor natürlich ein besonderes Tier. Wie oft hat die Spinne ihr Netz schon neu weben müssen? Der Wind reißt es manchmal fast auseinander, Blätter verfangen sich darin, Menschen rennen achtlos hindurch. Trotzdem ist es immer da, makellos, als wäre es nie zerstört worden. Das Netz ist für die Spinne ein Zufluchtsort, gesponnen aus Geduld und Ausdauer.
Die Spinne gibt nie auf. Egal, wie oft ihr Netz beschädigt wird, sie beginnt immer wieder von vorn. Es ist eine stille Arbeit, unscheinbar und doch unglaublich kraftvoll. Sie wartet geduldig, sicher, dass der Moment kommen wird, in dem sie den Lohn für ihre Mühe bekommt. Der Faden, den sie spinnt, ist fein, fast unsichtbar, aber er hält. Er trägt sie und alles, was ihr in das Netz fliegt. Ich habe nicht die Geduld der Kreuzspinne. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass Dinge schneller geschehen, dass Ergebnisse sofort sichtbar werden. Wenn etwas nicht gelingt, fasse ich es nicht wieder neu an. Ich baue nicht auf, was andere eingerissen haben, schon gar nicht am selben Ort. Die Spinne aber tut das. Sie tut es mit der absoluten Selbstverständlichkeit, von der Paulus einmal schreibt: „Lasst uns daher nicht müde werden, das Rechte zu tun. Denn wenn die Zeit da ist, werden wir die Ernte einbringen. Wir dürfen nur nicht vorher aufgeben.“
(Galater 6,9) Es ist nicht immer leicht, Gutes zu tun, wenn der Erfolg ausbleibt, wenn es so scheint, als würde der Faden reißen, den man gespannt hat. Doch genau hier liegt die Kraft der Geduld: im Vertrauen darauf, dass das, was ich säe, irgendwann Früchte tragen wird.
Für die Kreuzspinne geht es nicht um Geschwindigkeit oder Größe. Ihr Lebensziel ist Beständigkeit. Sie fängt nicht immer sofort etwas, manchmal vergehen Stunden, Tage, bevor sie belohnt wird. Aber sie bleibt. Sie wartet. Würde sie aufgeben, ehe ihr etwas ins Netz gegangen ist, würde sie kein neues Netz spinnen, nachdem das alte zerstört wurde, die Spinne wäre hoffnungslos verloren. Ihre Hoffnung besteht darin, wieder anzufangen und weiterzumachen.
Das muss ich lernen. Gott ruft mich, Gutes zu tun, auch wenn ich die Ergebnisse nicht sofort sehe. Mein Netz mag schwach und zerbrechlich wirken, aber es hält weit mehr Stürme und Regenschauer aus, als ich denke. Wie das Spinnennetz glitzert es sogar oft in der Morgensonne, ohne dass ich etwas dafür tue.
Wenn der Herbst kommt und das Ende des Sommers die Natur in ein anderes Licht taucht, denke ich daran, dass die Spinne ihren Platz hat. Sie ist eine stille Arbeiterin, fleißig und unermüdlich, und sie erinnert mich daran, dass Geduld am Ende belohnt wird. Mit der Spinne vor meiner Haustür starte ich in einen neuen Tag und gebe nicht auf, komme was wolle.
Die Kreuzspinne und ich machen es so: „Lasst uns daher nicht müde werden, das Rechte zu tun. Denn wenn die Zeit da ist, werden wir die Ernte einbringen. Wir dürfen nur nicht vorher aufgeben.“