Weihnachtseinkaufswagen
Nachdenkliches von Pastor Thomas Ziaja
Der Einkaufswagen klappert wieder vor mir her. Diesmal ist er gefüllt mit Pfeffernüssen, Spekulatius und Lebkuchen. Es ist Advent.
Die Lichter leuchten und die Geschäfte füllen sich. Viele Gesichter sind angespannt. Menschen drängen fast verloren durch die Geschäfte. Einkaufswagen füllen sich, und die Schlangen an den Kassen wachsen. Bald kommt die Familie, da muss die Speisekammer voll sein. Oma trinkt gerne Eierlikör, also rein damit in den Einkaufswagen. Für mich selbst würde ich den nie kaufen. Der Bruder mag am liebsten diesen Lachs, den ich nur beim Fischhändler im Viertel bekomme. Also los, noch schnell dahin, um ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Je näher das Weihnachtsfest rückt, umso mehr macht sich hektisches Treiben breit. Der Einkaufswagen hilft mir, damit alle ein frohes Fest haben. Je voller er mit den richtigen Dingen ist, umso mehr werden sich alle freuen, denke ich.
Am Heiligabend ist alles festlich gedeckt. Wir sitzen zusammen und feiern das Fest der Liebe. Oma nippt an ihrem Eierlikör. Darf sie nicht mehr: Diabetes. Darauf entspinnt sich ein langer Vortrag über die Leiden des Alters und die Einschränkungen der persönlichen Freiheiten. „Immerhin, du hast es versucht“, denke ich.
Der Lachs erfreut den Bruder dafür sehr. „Wie gut, dass du noch ins Viertel gefahren bist.“ Sein fünfzehnjähriger Sohn nutzt den Fisch aber, um sich zum Retter der Meere aufzuschwingen, sitzt mit verschränkten Armen da und murmelt etwas von „Meeresplünderer.“ Ich bekomme es glücklicherweise nicht ganz mit, denke mir aber meinen Teil zu meinem Neffen.
Onkel Bruno droht schon auf das Thema einzuschwenken, aber das biegt seine Frau noch galant ab. Immerhin schmeckt ihr der teure Rotwein. Die zweite Flasche haben die beiden schon für sich im Anbruch.
Während wir am Tisch sitzen, wird mir klar, dass die Vielfalt unserer Wünsche und Eigenarten den wahren Kern von Weihnachten spiegelt. Ich denke an meinen Einkaufswagen zurück, in den ich so große Hoffnungen gelegt hatte. Er hat geholfen, den Tisch zu decken, aber das Wichtigste stand nie in den Regalen: Geduld, Verständnis, ein offenes Herz. Wenigstens war der Einkaufswagen voller guter Absichten.
Geht es an Weihnachten nicht darum, mehr als nur die Speisekammer zu füllen? Es war jedenfalls nicht das liebevolle, friedfertige Fest, das ich mir am Anfang gewünscht hatte. Die strahlenden Augen waren kleiner als gedacht, die Herzen nicht so weit.
Der Einkaufswagen hat doch etwas mit Weihnachten zu tun. Weihnachten ist das Fest des Friedens, bei dem sich die in die Augen schauen, die sich sonst nicht sehen: Hirten begegnen Königen. Die Mauern zwischen den Menschen sind in dieser Nacht nicht da.
An unseren Tischen sitzen jedes Jahr Menschen, die unglaublich unterschiedlich sind, die sich sonst das ganze Jahr über nicht sehen, sich vielleicht sogar meiden. Und genau das ist Weihnachten.
Am Ende des Abends wird mir klar, dass mein Einkaufswagen zwar voll war, aber die wahre Fracht ist etwas anderes. Weihnachten heißt nicht, alles richtig zu machen, sondern zusammenzukommen, trotz aller Unterschiede. Die Hirten und Könige am Tisch sind das eigentliche Wunder – und daran will ich mich halten.
Nächstes Jahr packe ich den Einkaufswagen wieder, um einen großen Tisch für alle zu decken. Ich lade ein, wie Gott es uns vorgelebt hat – mit offenen Armen und einem Herzen, das Platz für alle hat. An unserem Tisch geht es zu wie damals in der Gemeinde des Paulus. Die Unterschiede bleiben, doch das gemeinsame Brot und der geteilte Tisch erinnern mich daran, dass wir zusammengehören. Wie damals sind wir getragen von dem Wunsch: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“ (Galater 3,28). Dafür Nachdenklichesschiebe ich nächstes Jahr wieder den Einkaufswagen voran.