Klassik-Stars in Oberneuland

2. Internationales Musikfest Oberneuland
Mit einem atemberaubenden Grande Finale fand das 2. Internationale Musikfest Oberneuland am 15. Juni seinen Abschluss. Insgesamt sechs Konzerte innerhalb der vorangegangenen zwei Wochen vor einem ausnahmslos begeisterten Publikum belegen das erfolgreiche Konzept des Events.
Zahlreiche weltweit führende Künstler brachten ambitioniert anspruchsvolle Kammermusik-Werke in die Oberneulander Kirche St. Johann und zeigten, wie auf höchstem Niveau interpretierte Musik Anziehungskraft auf ein breites Publikum ausüben kann.
Dank gebührt in erster Linie den internationalen Weltklasse-Musikern für die hervorragenden Musikerlebnisse, den zahlreichen Besuchern für das Interesse an klassischer Musik, aber auch den Initiatoren und Organisatoren des Festivals, Denis Goldfeld und Dr. Stefan Kraß, die ihre Idee gemeinsam mit zahl-reichen Unterstützern und Sponsoren zum zweiten Mal erfolgreich umsetzen konnten.
Furioser Auftakt mit Fauré
Bereits das Eröffnungskonzert am 1. Juni zeigte die Vielfalt unterschiedlicher Kammer-musik-Kompositionen und ließ schon bei den ersten Takten den Funken überspringen: Pianistin Sofja Gülbadamova und Flötistin Mihaela Goldfeld interpretierten zunächst die „Sonate A-Dur op. 13” von Gabriel Fauré, ein Stück voller emotionaler Klangfarbe und erfüllt mit Poesie und Wärme – mit Leichtigkeit und auf höchstem Niveau von Mihaela Goldfeld und Sofja Gülbadamova zelebriert. Das Gleiche gilt für das zweite Stück, Mendelssohn-Bartholdys Sonate F-Dur. Mehr als hundert Jahre nach dem Tode des Komponisten wurde die Musikwelt mit einem Werk konfrontiert, welches bis dahin völlig unbekannt war, da es Mendelssohn nie zum Druck freigegeben hatte. Das Manuskript war in Vergessenheit geraten, bis es kein Geringerer als Yehudi Menuhin entdeckte und 1953 herausgab. Hört man die F-Dur-Sonate von 1838 zum ersten Mal, erkennt man auf Anhieb Melodien und Passagen, die einem aus anderen Schöpfungen Mendelssohns vertraut sind. Insbesondere das Finale fordert sowohl der Flöte als auch dem Piano romantische Höhenflüge ab, welche ein virtuoses Feuerwerk zünden – mühelos und mit großer Spielfreude von den Musikerinnen entfacht. Das begeisterte Publikum war sich einig: So ein inniges Musizieren wie bei diesem versierten Duo erlebt man nur selten!
Der zweite Teil des Abends war den Brüdern Denis Goldfeld (Violine) und Vadim Goldfeld (Piano) vorbehalten. Zu hören war zunächst eine 1802 komponierte Violinsonate Ludwig van Beethovens. Beruflich und gesellschaftlich ging es Beethoven zu dieser Zeit außerordentlich gut, dem stand allerdings das große Drama seines Lebens gegenüber: Beethoven sollte sein Gehör verlieren. Trotzdem arbeitete er außerordentlich produktiv und komponierte keineswegs Trauermusiken, sondern Werke voller Lebensfreude und Zuversicht. Denis und Vadim Goldfeld interpretierten das Stück mit einer grandiosen Spielfreude, zärtlicher Sensibilität und atemberaubender Perfektion – mal leise tänzelnd, dann wieder temperamentvoll fühlend – Emotionen, die das Publikum mit entsprechendem Beifall honorierte. Den absoluten Höhepunkt des Abends stellte ein Stück von Ernest Bloch dar. „Baal Shem“ gehört zu den bekanntesten Kompositionen des jüdisch-stämmigen Komponisten. Er setzte sich mehrfach musikalisch mit seinen jüdischen Wurzeln auseinander; mit dem Titel dieser Komposition spielt er an den Begründer der chassidischen Bewegung an – Rabbi Israel Ben Elieser, genannt „Baal Shem Tov“. Entsprechend hat er mit den Einzelsätzen Bekenntnisse, Melodien und Traditionen des chassidischen Lebens verarbeitet. Die Zuhörer in der fast vollständig besetzten Oberneulander Kirche waren hin und weg von einer derart feinsinnig dargebrachten Leidenschaft, erhoben sich zum Schluss anerkennend von den Kirchenbänken und wollten nicht mehr aufhören zu applaudieren. Eine Paganini-Zugabe rundete diesen Festivalauftakt ab.
Brillantes Duo
Als langjährige Freunde und ehemalige Studienkollegen an der Musikhochschule Lübeck kündigte der künstlerische Leiter des Festivals, Denis Goldfeld, dem Publikum zwei Tage später das Duo BrillAner an. Seitdem sind die Klarinettistin Shirley
Brill und der Pianist Jonathan Aner zu gefeierten Künstlern avanciert, die ihr beeindruckendes Zusammenspiel nun auch in Oberneuland zeigten. Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann standen vor der Pause auf dem Programm. „Es ist unfassbar“, sagte Pianist Aner über die Sonate Es-Dur, die Mendelssohn-Bartholdy mit nur 14 Jahren komponiert hat. Das
Dilemma seiner religiösen Zugehörigkeit, in einer jüdischen Familie geboren, aber christlich getauft und konvertiert, habe er in dem Werk thematisiert, erfuhr das Publikum. „Seine Zerrissenheit zeigt sich.“ Dem christlichen Choral, der in den ersten Takten durchscheint, stehen ganz andere Klänge gegenüber. „Was ist das, wenn nicht jüdische Musik?“, fragte Aner mit Verweis auf später folgende typische Klänge der Klarinette. Zu den größten Bewunderern Mendelssohns gehörte Robert Schumann, der sein Vorbild sogar als einen „wahren Gott“ bezeichnete. Die „Fünf Stücke im Volkston op. 102“, die im Anschluss zu hören waren, gehören zu den Kammermusikwerken, in denen es Schumann um die Stilisierung der Musik im Sinne einer „imaginären Folklore“ ging. Das begeisterte Publikum konnte nach der Pause den Klängen der „Drei Lieder ohne Worte“ von Paul Ben-Haim, dem berühmtesten israelischen Komponisten, geboren und aufgewachsen in München und 1933 nach Palästina emigriert, lauschen. Ein Stück voller Charakter und Farbe, das insbesondere der Stimme der Klarinette viel Ausdrucksfreiheit lässt. Sergei Prokofievs 1943 komponierte „Sonate op. 94“ bildete den gelungenen Abschluss eines wunderschönen Konzertabends mit einem äußerst gut gelaunten und charismatischen Musiker-Duo.
Von lyrisch bis folkloristisch
Ebenso gut gelaunt und humorvoll kündigte der britische Cellist Thomas Carroll am dritten Konzertabend Antonin Dvořáks Quartett Es-Dur für Violine (Denis Goldfeld), Viola (Boris Faust), Violoncello (Thomas Carroll) und Piano (Pavel Gililov) an.
„Wie sollte man den Stil Dvořáks beschreiben. Am besten mit einem Teil seiner Lebensgeschichte“, so Carroll. Dvořák sorgte mit seinem Schaffen für eine nationale Identität der tschechischen Musikwelt.
Folkloristische Tendenzen, Heimatliebe und nationale Verbundenheit zeichnen sein Oeuvre aus. Durch ein Stellenangebot als Direktor des Konservatoriums in New York gelangte Dvořák als 50-Jähriger nach Amerika. Ein großer Auftrag wartete auf den Komponisten: Er sollte Musik komponieren, die das Nationalgefühl der Amerikaner transportiert. Nach langem Überlegen nahm er die Herausforderung an und bestieg mit seiner Familie im September 1892 in Bremen einen Dampfer, der sie über den Atlantik nach New York brachte. Musikalische Einflüsse der amerikanischen Musik, unter anderem der Plantagenarbeiter und Indianer, prägten seine Eindrücke in der Neuen Welt, aber Dvořáks ästhetische Vorstellungen standen ganz deutlich unter dem Einfluss der böhmischen Traditionen. Somit nahmen seine amerikanischen Kompositionen den typischen Volksliedton gekoppelt mit folkloristisch, tänzerischen Elementen Amerikas auf, was seine Auftraggeber geradezu begeisterte. Auch das Verhältnis zwischen den Musikern des Quartetts ist an diesem Abend ohren- und augenscheinlich ausgezeichnet, und so war es für das Publikum ein großes Vergnügen, eine deutliche Leidenschaft am Repertoire Dvořáks mit den Musikern zu teilen und eine geradezu mitreißende Spielfreude erleben zu dürfen.
Zuvor hatten schon Denis Goldfeld und Pavel Gililov ihre musikalische und menschliche Verbundenheit bei Stücken von
Wolfgang Amadeus Mozart und Johannes Brahms unter Beweis gestellt. Mit spürbarer Verehrung kündigte Denis Goldfeld dem Publikum „Maestro Gililov“ als seinen ehemaligen Lehrer und Förderer an. „Wie eine Einheit“ präsentierten die Pianistenlegende und der Violinen-Virtuose dann zwei Sonaten voller Tiefgründigkeit und Elegie – in einer Perfektion, wie sie wohl nur einem so langjährig vertrauten Duo gelingen mag.
Resonanzen
Vom Publikum sehr gut aufgenommen wurde, dass die Musiker vor den Werken kleine, appetitanregende Einführungen gaben und auf teils sehr witzige Weise ansagten oder ihre persönlichen Beziehungen zueinander darstellten. Nicht nur wurde die Wirkung der Musik dadurch intensiviert, sondern zudem eine Gemeinschaft zwischen Musikern und Publikum hergestellt, die die Aufführungen anreicherte. Nachdem Jonathan Aner beispielsweise erzählt hatte, wie stark die Kompositionen von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann miteinander verknüpft sind, hörte das Publikum ihm und Shirley Brill noch intensiver zu und erfreute sich an deren ausdrucksstarkem Spiel. Ein gesteigertes Interesse an der Musik Dvořáks hatte auch Thomas Carroll mit Anmerkungen zu dessen Musik und Biografie hervorgerufen. „Diese Art der Moderation ist bereichernd und beispielhaft“, so die Meinungen vieler Konzertbesucher.
Informativ und virtuos
Aufschlussreiches Fachwissen bei der Bewertung alter Geigen erhielten die Besucher des Internationalen Musikfestes Oberneuland am 10. Juni durch den weltweit führenden Streichinstrument-Experten Florian Leonhard. „Die Provenienz, also die Herkunft einer Geige aus einer bestimmten Region oder Werkstatt, ist das A und O bei der Bestimmung einer Geige und weder eine Qualitätsgarantie noch ein Makel – wohl aber haben die unterschied-lichen Geigenbautraditionen eigene, typische Charaktere entwickelt“, so Florian Leonhard. Zu den regionaltypischen Eigenarten des Geigenbaus gehören viele Feinheiten der handwerklichen Ausführung, die sich oft nur dem geschulten und erfahrenen Auge erschließen, aber auch auffällige Merkmale, die nicht selten als selbstbewusste Repräsentation lokaler Traditionen verstanden werden wollen.
Und dieses Wissen kann man nur an den ‚Echten‘ ablesen, um die ‚Falschen‘ zu erkennen“, sagt der Geigenbauer, Händler und Restaurator, der mit seiner Firma Florian Leonhard Fine Violins in London ansässig ist. Nach seiner Ausbildung an der Mittenwalder Geigenbauschule arbeitete Leonhard für W. E. Hill and Sons und wurde dort Chefrestaurator. Seit 1995 restauriert, begutachtet und zertifiziert er Instrumente der alten Meister auf eigene Rechnung. Streichinstrumente, allen voran die Violinen der führenden norditalienischen Geigenbauerfamilien Stradivari, Guarneri und Amati, erzielen Spitzenpreise mit steigender Tendenz.
Andrea Amati, quasi Stammvater des Geigenbaus, wurde um 1505 geboren. Die „goldene“ Periode Antonio Stradivaris, in der seine heute wertvollsten Instrumente entstanden, begann knapp 200 Jahre später. Giuseppe Guarneri del Gesù starb am 17. Oktober 1744 im Alter von 46 Jahren, nur sieben Jahre nach Antonio Stradivari, der über 90 Jahre alt wurde. Der Klang seiner Violinen faszinierte einen Virtuosen wie Niccolò Paganini, der Anfang des 19. Jahrhunderts als „Teufelsgeiger“ ganz Europa in seinen Bann zog – und natürlich auf einer „Guarneri del Gesù“ spielte. Noch heute greifen Violinisten zu Guarneris Instrumenten, wenn sie den gefühlsstarken Ausdruck suchen.
So auch Leonhards Ehefrau Elly Suh – die gefeierte koreanisch-amerikanische Geigerin in Oberneuland begrüßen zu können, war für Denis Goldfeld eine ganz besondere Ehre. Mit zwei Stücken von Paganini – espielt auf einer Guarneri-Violine – und der Etüde III für Solovioline von Jörg Widmann, die man als Studie über Virtuosität bezeichnen könnte, begeisterte die zierliche Geigerin das Publikum. Das Stück ist so aberwitzig schnell, dass sich der Einzelton beim Hören kaum erfassen lässt, der Aufbau des Stücks dafür recht gut: „rasende“ Sechzehntel, anfangs tonlos, dann allmählich Klang gewinnend, mit immer größerem Ambitus, bis in höchste Lagen; Einbau von Flageoletts; Einzelton-Glissandi; Akkord-Glissandi; Rückkehr zu den Sechzehnteln und Übergang zu Pizzikati. Dieses Zupfen erfolgt am Ende nur noch mit den Fingern der Linken, wie überhaupt diese Etüde vor allem eine für die linke Hand ist. Diese Leistung konnte nur mit lauten„Bravo“-Rufen honoriert werden.
Instrumentale Meisterschaft
Im vorletzten Konzert des Musik-Events standen sich zwei der erfolgreichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts gegenüber: Felix Mendelssohn-Bartholdy und Johannes Brahms. Beide geboren in Hamburg, beide begeistert von der Musik der Vergangenheit – und beide mit besonderem Faible für die Kammermusik. Star-Cellist Gary Hoffman und Sofja Gülbadamova am Piano präsentierten im ersten Teil des Abends zwei Sonaten von Johannes Brahms und Felix Mendelssohn-Bartholdy. Nach der Pause gesellte sich Denis Goldfeld mit seiner Violine für Brahms Trio H-Dur op. 8 (Endfassung) dazu.
Ein maßgeschneidertes Repertoire für Gary Hoffman, der einer der herausragendsten Cellisten unserer Zeit ist. Er verbindet
meisterliche Beherrschung seines Instruments mit großer Schönheit des Tons und poetischer Sensibilität. Hoffman trat erstmals im Alter von 15 Jahren in der Londoner Wigmore Hall auf. Dann wurde er in New York empfangen und mit 22 wurde er zum jüngsten Lehrer der berühmten Musikhochschule der Indiana University. Nach seinem Gewinn des Rostropowitsch-Cellowettbewerbs in Paris 1986 begann er eine internationale Karriere, tritt mit den größten Orchestern in renommierten Konzerthäusern auf und wird oft auf angesehene Festivals eingeladen. Zwar mag Gary Hoffman das klassische Cellorepertoire besonders, doch verschmäht er zeitgenössische Musik nicht und fördert diese sogar engagiert. Seit 1990 ist seine Wahlheimat Paris und er spielt auf einem Cello von Nicolo Amati aus dem Jahre 1662, das einst Leonard Rose gehörte.
Grand Finale
Auch das Abschlusskonzert des Musik-Events brachte noch einmal hochkarätige Künstler auf die Bühne der Oberneulander Kirche. Werke von Schostakowitsch und Schubert, u.a. das Impromptu Nr. 3 mit dem bekannten „Rosamunde“-Thema, zeigten die grandiose Spielfreude und Virtuosität der Ausnahme-Pianistin Olga Zado auf. Auch Alexey Stadler (Violoncello) und Denis Goldfeld (Violine) brillierten mit überschäumender Spielfreude. Wer aber glaubte, diese Intensität an Gefühl und Wohlklang sei nicht zu toppen, wurde nach der Pause mit der Bereicherung durch Piotr Szumiet (Viola) und Hiroyuki Yamazaki (Kontrabass) eines Besseren belehrt: Das „Forellenquintett“ von Franz Schubert gehört zu den beliebtesten Kammermusikwerken – und das vollkommen zu Recht! Der „sonnige“ Grundton des Stücks wirkt wie ein Nachhall der glücklichen Sommermonate des Jahres 1819, die der damals 22-jährige Komponist mit einem Freund in Oberösterreich verbrachte und dort neben den Schönheiten der Landschaft auch die Gemeinschaft genoss. Herzstück des Quintetts ist der vierte Satz. Dort greift Schubert die Melodie aus seinem Lied „Die Forelle“ auf, das dem Werk auch seinen Namen beschert hat. Die Melodie wird von Schubert fantasiereich variiert, in verschiedene Stimmen verlagert und virtuos umspielt. Dabei tauschen die Instrumente mehrfach die Rollen. Besonders unbeschwert wirkt das Finale des „Forellenquintetts“, in dem Schubert den tänzerischen Schwung der österreichischen Volksmusik aufnimmt. Die fast voll besetzte Kirche zeigte sich noch einmal begeistert und entließ die Künstler erst nach lang anhaltenden Ovationen und einer Zugabe.
Mit dieser virtuos interpretierten Unbeschwertheit und sommerlichen Stimmung verabschiedete sich das Internationale Musikfest für 2024 von seinen Besuchern und soll auch in den kommenden Jahren zu einer festen Institution im Stadtteil werden! „Unser größter Wunsch ist es, das Musikfest fest in den Veranstaltungskalender für den Stadtteil und ganz Bremen zu etablieren. Die überwältigende Resonanz bestätigt nun zum zweiten Mal unser Anliegen, die Schönheit und Kraft der klassischen Musik hier in der Oberneulander Kirche zu zelebrieren“, so Denis Goldfeld und Dr. Stefan Kraß, die den zahlreichen Sponsoren dankten und für eine Spende an den Verein „Internationales Musikfest Oberneuland e.V.“ warben, damit sich dieser Konzertgenuss auch in den kommenden Jahren wiederholen kann.
Spendenkonto:
Verein Internationales Musikfest Oberneuland e.V.
IBAN DE77 2905 0101 0083 7125 62