Umbesteller

Hammelsprünge im Dezember/Januar

Man kann die Menschheit, also die Oberneulander Menschheit, einteilen in die Weihnnachtsbefürworter (kurz: Wei-be-fü-wos) und die Weihnachtsgegner (kurz: Wei-gegs).
Innerhalb der Wei-be-fü-wos gibt es wiederum einen Teil, der Weihnachten gerne zu Hause ist und zuhause isst, und einen anderen Teil, der lieber auswärts ist und isst.
Letzteres sind die Außerhausweihnachtsbefürworter (kurz: Außer-wei-be-fü-wos, noch kürzer: Au-weis). Und eine Teilmenge dieser Gruppe sind die Umbestellaußerhausweihnachtsbefürworter (kurz: Um-au-weis). Gemeint ist der Teil der Bevölkerung, der beim Griechen immer Pommes statt Reis verlangt, der beim Italiener auf der Hawaiipizza statt Ananas lieber Birnenbelag haben möchte, der beim Deutschen zur Roulade statt dampfenden Rotkohl kalten Krautsalat möchte, der beim Chinesen die Ente süß-sauer lieber ohne Fleisch möchte, am besten weniger süß, mehr scharf, weniger sauer, mehr bitter.
Nun denken Sie vielleicht: Boh, das ist jetzt aber ganz schön übertrieben. Und an dieser Stelle möchte ich sagen: Nein.
Alles ist möglich bei diesen, ja, ich möchte sagen, Zwangsumbestellaußerhausweihnachtsbefürwortern (kurz: Zw-um-au-weis).
Nur mal ein Beispiel. Ach, was. Nur mal zehn Beispiele, die ich am Neben-, Unter-, Über-, Beistell- oder Zwischentisch gehört habe:
„Könnte ich bitte statt des Kaffees einen Kakao bekommen, aber nicht zu heiß, und wenn sich da eine Haut drauf gebildet hat, könnten Sie die vorher entfernen, die finde ich ekelhaft.“
„Meine Muscheln bitte mit einem Schuss Wodka.“
„Könnten Sie die Himbeeren aus der roten Grütze entfernen?“
„Mein Rinderfilet bitte medium rare auf der einen Seite und der anderen Seite durch.“
„Wären Sie so lieb, mir die Kartoffelklöße vorab zu vierteln. Dankeschön.“
„Statt Reis lieber Pommes, statt des Lammkoteletts lieber zwei Nürnberger Würstchen und den Tsatsiki können Sie weglassen. Salat brauche ich auch nicht. Außer Sie haben coleslaw.“
„Ich wollte wohl ein Essen vorbestellen. Und zwar Chateaubriand, aber ausschließlich mit Hähnchenfleisch.“
„Können Sie das Küchlein mit dem flüssigen Schokokern so zubereiten, dass der Schokokern extra auf dem Teller liegt?“
Beispiel Nummer neun sollte ich kurz erklären. Nicht jeder kennt Piccata Milanese. Dabei handelt es sich um ein zartes Stück Fleisch mit Panade, in der auch Parmesan enthalten ist und das auf Spaghetti liegt, die ihr köstliches Aroma durch eine Tomatensoße erhalten. Hier also die Sonderbestellung: „Könnte ich Pommes statt der Spaghetti bekommen?“ Die Reaktion der Bedienung war nachzuvollziehen. Der Mann wurde sehr ernst, sein rechter Nasenflügel zuckte arhythmisch, und er runzelte vermutlich nicht nur die Stirn, sondern alle Körperteile, die dies zuließen.
Und jetzt kommt Beispiel Nummer zehn. Das war für mich der absolute Knaller. So was tut man nicht. Damit erntet man sowohl bei dem Personal der Gaststätte als auch bei den Nachbartischen nur Kopfschütteln: „Für mich bitte Reis statt Pommes.“
Hallo! Pommes statt Reis, das ist fast normal. Aber Reis statt Pommes?
Man man man.
Ja, meine liebe Frau und ich, wir haben das alles schon erlebt und sie fragt sich dann immer: Warum machen Menschen das?
Wollen die einfach nur das Gaststättenpersonal schikanieren? Denken diese Zw-um-au-weis, dass sie was Besseres sind? Macht ihnen das Spaß? Ist das einfach nur großkotzig? Sind das vor allem Neureiche … oder auch Altarme? Gibt es da überhaupt ein Muster? Könnte man diese Spezialwunschtypen therapieren?
Birgt so eine Therapie vielleicht sogar die Gefahr, dass der Therapeut, wenn er denn nicht sehr gefestigt ist, am Ende selbst zu einem Zw-um-au-weis wird? Was also muss passieren, damit dieser Teil der Menschheit, nicht nur der Oberneulander Menschheit, einfach mal exakt das bestellt, was auf der Karte steht.
Der Gastronom wird – soweit es möglich ist, aber auch gerne, soweit es unmöglich ist – den Wunsch des Gastes erfüllen wollen. Schließlich ist der Kunde König.
Ich kann mich eigentlich nur an ein einziges Restaurant hier in Bremen erinnern, in dem keine Extrawünsche erfüllt wurden. Das war eine asiatische Gaststätte in Citynähe. Immer wenn wir dort zum Speisen waren, gab es alle Gerichte nur so, wie sie auf der Karte standen. Es gab auch nur einen Rotwein, einen Weißwein und weißen Martini. Basta. Keinen roten Martini. Punkt. Cola: ja. Cola light: nein. Warum auch?
Und ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass Leute es gewagt haben, umzubestellen. Nicht, weil der Mann hinter dem Holztresen besonders autoritär war. Aber im Laufe der Jahre ist es ihm gelungen, allen Kunden beizubringen, dass dort keine Extrawürste gebraten werden, was – wörtlich genommen – selbstverständlich ein an Unverschämtheit grenzender Kundenwunsch gewesen wäre.
Früher war mir das weniger aufgefallen. Aber im Laufe der Jahre fiel es mir immer schwerer zu akzeptieren, dass man nichts, wirklich absolut nichts umbestellen konnte. Muss man ja auch nicht. Aber dass es überhaupt keine Option war, zum Beispiel die gerösteten Kokosnussraspeln eines anderen Gerichts zum Nasi Goreng zu bestellen, fand ich irgendwann total blöde.
Sie ahnen es. Ich bin der Zw-um-au-wei-hamm, sprich der Zwangsumbestellaußerhausweihnachtsbefürworterhammelmann.