Das Jahr 1 nach Spargel

Hajo Kaemena im Interview

Es ist das Jahr eins nachdem kein Oberneulander Spargel mehr angebaut wird. Hajo Kaemena hat aus guten Gründen im letzten Jahr entschieden, dass Edelgemüse nicht mehr anzubauen. Doch wie geht es ihm heute damit? Das Oberneuland Magazin hat ihn besucht danach gefragt.

Lieber Hajo, das erste Jahr ohne eigenen Spargel. Wie fühlst Du Dich?

Hajo (schmunzelt): Ich mag es ja gar nicht sagen, aber wir genießen die Zeit in vollen Zügen! Im Winter war eigentlich noch alles wie immer, aber jetzt im Frühjahr überlegen Bea und ich ständig, was wir jetzt schon wieder alles fertig haben müssten und was wohl schon wieder alles nicht nach Plan laufen würde. Womöglich würden wir dringend auf Arbeitskräfte warten, die dann aber doch nicht kommen. Die Wetterlage mit vielen warmen, sonnigen Tagen im März und dann wieder kalt und bedeckt … Zu trocken ist es aktuell auch schon wieder … All das muss uns jetzt nicht mehr belasten. Wir gehen im Moment deutlich entspannter durch den Tag und müssen uns viele Sorgen nicht mehr machen. So schön wie das mit dem eigenen Spargel war, es lief ja auch 35 Jahre gut, aber wir haben die Entscheidung aufzuhören noch nicht bereut. Was für uns jahrzehntelang undenkbar war: Wir machen im Mai eine Woche Urlaub. Das war sonst immer mit die stressigste Zeit. Da freuen wir uns drauf wie kleine Kinder!

Gibt es ein unvergessliches Spargel-Erlebnis, an das Du Dich immer erinnern wirst, und verrätst Du es uns?

Da kommen in den Jahren so einige Anekdoten zusammen. Unvergesslich bleibt uns sicher die Kundin, die bei der Feldführung fragte: Wo sind denn nun die Bäume, wo Sie den Spargel pflücken? Oder die polnischen Spargelstecher, die immer mit dem Rad zu den Feldern gefahren sind. Die Flächen lagen ja alle nah am Hof. Bis auf eine, da war der Weg etwas weiter, fast bis zum Deich. Da sagten die Leute immer: Wir fahren nach Amerika. Seitdem heißt das Feld bei uns nur noch „Amerika“. Oder wir haben vor Jahren mal die Spargeltüten von Plastik auf Papier umgestellt. Weil die neuen Tüten aber viel teurer im Einkauf waren, haben wir uns gedacht, dass wir die für 10 Cent verkaufen können. Dafür waren die auch lange Zeit wiederverwendbar. Nach gut einer Woche gab es die Tüte wieder kostenlos, die geballte Empörung mochten wir den armen Verkäuferinnen nicht länger zumuten. Nachhaltig im Kopf geblieben ist uns dabei die eine aufgebrachte Kundin, die partout keine Tüte wollte. Die Verkäuferin sollte ihr den Suppenspargel stattdessen in die weit geöffnete Gucci-Handtasche legen.

Was ist mit den Spargelfeldern eigentlich passiert bzw. wie werden sie aktuell genutzt?

Eine ältere Spargelfläche war in Amerika, das ist Pachtland. Die Pflanzen habe ich untergeackert, das heißt, möglichst gut zerkleinert. Dort baut ein Nachbar in diesem Jahr nun Mais für seine Rinder an. Die ein oder andere Spargelpflanze kann da wohl noch wieder durchkommen. Das wird dann womöglich ein besonderes Geschmackserlebnis für die Rinder. Ein anderes Feld ist erst einmal für ein Jahr stillgelegt, das heißt, da wird gar nichts angebaut und die Fläche wird sich selbst überlassen. Da wachsen dann Wildkräuter, deren Samen im Boden vorhanden sind. Dafür bekommt man Agrarförderung, das ist wertvoll für den Naturschutz.

Gibt es bereits einen Nachfolger, der die Spargelverkaufsplätze nutzen wird?

Es wird ein paar Änderungen geben, aber unser Kollege Kristian Wichmann aus Bassum hat seine Stände vor der Fleischerei Becker in Oberneuland und in Borgfeld vor der Fleischerei Grabau aufgestellt. Wir wünschen ihm viel Erfolg!
(Anmerkung der Redaktion: Den Spargel-Verkauf bei Edeka Maaß übernimmt Edeka selbst mit frischem Spargel aus der Region.)

Hast Du für unsere Leser und Spargel-Liebhaber Tipps, worauf sie beim Kauf besonders achten sollten?

Wenn Spargel ein Genuss sein soll, muss er frisch geerntet sein. Mit jedem Tag Lagerung verliert er an Aroma. Deshalb ist der Importspargel im Januar aus Peru auch so geschmacksneutral. Regional und saisonal einkaufen, das ist dann eigentlich schon alles. Wer am Essen spart, spart meiner Ansicht nach am falschen Ende. Der ahnt womöglich gar nicht, was ihm an Lebensqualität entgeht.

Kauft Ihr jetzt eigentlich auch Spargel ein oder habt Ihr für den Eigenbedarf noch etwas auf den Feldern?

Die Pflanzen sind alle weg, es wäre viel zu aufwändig gewesen, da mitten auf dem Acker welche stehen zu lassen. Mal gucken, als Rentner pflanze ich mir vielleicht später mal welchen in den Garten. Bis dahin werden wir wohl mal Kristians Spargel probieren.

Mit der gewonnenen Zeit – welches sind Deine Herzens-Projekte, denen Du Dich gerade widmest?

Mit unserem Artenschutzprojekt für die bedrohten Wildbienen habe ich mir vor sechs Jahren ein neues Standbein aufgebaut. Das hat sich sehr gut entwickelt, unser Wildbienenexperte ist mit den Fortschritten mehr als zufrieden. Von Anfang an habe ich das Projekt so kalkuliert, dass meine Arbeitszeit und der ganze Materialaufwand über die Patenschaften auch vernünftig bezahlt wird. Nur so kann das auch langfristig funktionieren. Jetzt habe ich endlich die Zeit für Beobachtungen der Insekten und Pflege der Lebensräume, die mir in den letzten Jahren oft gefehlt hat. Aktuell blüht auf dem Hofplatz eine Kirschpflaume. Ganz zu Beginn des Wildbienenjahres ist das eine der ersten Nektar- und Pollentankstellen für die frisch geschlüpften Insekten. Da summt und brummt es, da ist richtig was los. Ich stehe da manchmal ein, zwei Stunden mit der Kamera und bin gespannt, welche Arten ich sehe, während Bea denkt, ich bin mit dem Trecker auf dem Acker beschäftigt.

Wir sind jetzt von Arbeitskräften unabhängig, haben längst nicht so einen Stress mit dem Wetter und deutlich weniger Bürokratie. Fast nebenbei erzielen wir wertvolle Erfolge für den Artenschutz. Das kann ich mir gut noch zehn, bei guter Gesundheit auch noch 20 Jahre vorstellen. Die frei gewordene Zeit ermöglicht mir jetzt auch eine Erweiterung des Projektes. Außerhalb meiner Ackerflächen möchte ich Firmen und Privatleute bei der Anlage von insektenfreundlichen Flächen beraten und unterstützen. Dazu bilde ich mich gerade weiter. Ich habe wohl schon mehr Literatur über Wildbienen, als über Spargel und Erdbeeren. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt. Zurzeit betreue ich die Umgestaltung zu wertvollen Lebensräumen bei einer Grundschule und auf einem Firmengelände. Ehrenamtlich beteilige ich mich an einem bundesweiten Hummelmonitoring. Hier werden zum Aufbau einer Bestandsübersicht festgelegte Orte in regelmäßigen Abständen besucht und alle gefundenen Hummelarten, es gibt hier 21 verschiedene, erfasst und dokumentiert. Ich suche dann auf einer jeweils 500 Meter langen Strecke in Hemelingen und Lilienthal. Durch die bessere Datengrundlage soll der Schutz der bedrohten Wildbienen, zu diesen zählen auch die Hummeln, in Zukunft verbessert werden.

Zum Schluss ein kurzer Ausblick: In nicht allzu ferner Zeit beginnt ja die Erdbeer-Saison. Wie ergeht es Deinen Erdbeerpflanzen? Wagst Du schon eine Prognose (Stand Mitte März)?

Da ist noch alles offen, das Wetter entscheidet letztendlich im Juni, ob das eine gute letzte Ernte wird. Einmal bieten wir ja noch die Erdbeeren zum Selbstpflücken an. Die Pflanzen haben sich in dem feuchten Sommer im letzten Jahr sehr gut entwickelt und sind heile durch den Winter gekommen. Jetzt wäre ergiebiger Regen eine Freude. Da ja keine Erntehelfer mehr da sind, werde ich im Mai einige Stunden die Unkrauthacke schwingen. Wenn es dann zur Blütezeit keinen Nachtfrost gibt, könnte das zum Abschied noch mal eine richtig schöne, süße Selbstpflücke werden.

Foto: SvD