Rolf Westphal zieht sich zurück und macht doch weiter

„Westphal“ in der Mühlenfeldstraße war seit 1931 ein Begriff in Oberneuland. Hier gab es alles, was man in Haus, Hof und Garten so brauchte. Vom kleinsten Nagel bis zur Wasserpumpe. Johann Westphal, der Besitzer, wurde daher auch bald „Jan Draht“ oder Jan Knieptang“ genannt. Nebenan verkaufte seine Frau Erna Lebensmittel. 1965 übernahm sein Sohn Rolf das Geschäft und legte beides zusammen. Mutter Erna blieb dabei. Sie saß an der Kasse bei den Lebensmitteln. Erna Westphal war ein Oberneulander Original. Sie konnte hervorragend rechnen, war schlagfertig, immer fröhlich und hatte manche „guten“ Ratschläge zur Hand. „Wat, du hest wildes Fleisch? (eine Wucherung des Hautgewebes) – musste Zucker draufstreuen.“ Einmal hatte sie sich im Gesicht verletzt. „Erna, was ist denn mit dir passiert?“ „Schlägerei gehabt!“ Unvergessen für Rolf ist die Nacht vor dem 1. Mai 2001. Erna war verschwunden. Alle Nachbarn suchten nach ihr. Die Polizei wurde alarmiert. Dabei war sie nur gegenüber in der Turnhalle gewesen und eingeschlafen. Albert Meyer entdeckte sie am Morgen, als er die Flagge hissen wollte. „Und datt allens nur wegen mir“, freute sie sich.

Nach 74 Jahren allerdings, 2005, war Schluss mit dem Geschäft. Das Gebäude musste dringend saniert werden. Ein Baumarkt, den Rolf Westphal hätte einrichten können, scheiterte an den 30 Parkplätzen, die er hätte vorweisen müssen.
Bald danach wussten seine vielen Kunden, dass er sich in einem Anbau auf der anderen Straßenseite eine Werkstatt eingerichtet hatte, um das eine oder andere weiter zu verkaufen. Vor allem aber, um Rasenmäher, Wasserpumpen und andere Geräte zu reparieren und zu warten. Reparaturen, das scheint eine Leidenschaft von ihm zu sein. Bereits während seiner Lehrzeit als junger Einzelhandelskaufmann in Sittensen nannte man ihn dort „Herr Doktor“. Das war er auch – Puppendoktor nämlich und dazu trug er einen weißen Kittel. Die kleine Werkstatt in der Mühlenfeldstraße lief recht gut. Manche Kunden brachten ihm verschiedene Gerätschaften, die man vielleicht noch verkaufen konnte, einen Klappspaten zum Beispiel, einen Spargelkochtopf. Sie bekamen nach einem Verkauf 20 % vom Erlös. Eine Lebendfalle für Marder verlieh er für 10 Euro am Tag. Ende letzten Jahres hatte er sich entschlossen, nunmehr auch damit aufzuhören. Nach 18 weiteren Jahren. Bis zum 31. Januar war jetzt noch Zeit, die Räume frei zu machen.
6. Januar 2025. Ein geräumiger Transporter steht vor der Tür. Mehrere hundert Einzelteile stehen, liegen und hängen immer noch herum (im Geschäft seinerzeit waren es 30.000 Teile, weiß Rolf zu berichten. Da konnte bei der Inventur nicht jeder einzelne Nagel gezählt werden). Tochter Kersten, Schwiegersohn und Enkel aus Hamburg helfen mit beim Ausräumen. Was geht „nach drüben“, was zum Recyclinghof, was zum Schrottplatz? Eine Katzenklappe, eine Werkbank, die Marderfalle? Darunter so manches Unikum, wie eine Neigungslaufgewichtswaage (was für ein gewaltiges Wort). Auf der konnte er sofort den Preis für das abgewogene Vogelfutter ablesen. Jahr für Jahr musste er damit zum Eichamt. Die will er behalten. Der Transporter füllt sich, und die erste Fuhre geht auf den Weg. Eben kommt Christiane Bornhöft vorbei und bringt ihm Essen wie so oft. Man mag und hilft sich in Oberneuland.
Doch, was heißt bei Rolf schon aufhören? Er hat‘s zwar im Kreuz, aber mit 88 Jahren sich zur Ruhe zu setzen? Das kriegt er nicht hin. Rolf Westphal zieht sich zurück in die Oberneulander Landstraße, und wenn etwas zu reparieren ist, will er weiterhin zur Stelle sein. Verkaufen ist nicht mehr drin, dafür hat er sein Gewerbe umgemeldet. „Ich arbeite nicht schwarz“. Spricht’s, nimmt eine Rolle Draht unter den Arm, und eine Kneifzange liegt ebenfalls in erreichbarer Nähe. Der Geist von „Jan Draht“ und „Jan Knieptang“ ist immer noch irgendwie lebendig.

Text und Foto: Eberhard Matzke