Scherereien am Deich
Wenn die Schafe den Sommerlook bekommen
Mitte Mai war es wieder so weit: Der idyllische Garten von Hermann Behrens-Post und Beate Jungmann-Behrens am Hodenberger Deich, direkt an der Schafweide, verwandelte sich in einen lebendigen Schauplatz voller Aktivitäten für die ganze Familie. Das alljährliche Fest bot Groß und Klein die Möglichkeit, das Schafscheren hautnah zu erleben und gegen eine kleine Spende Schafwolle mitzunehmen.
Dazu gab es ein buntes Programm: einen Lamm-Kindergarten, Lammbratwurst, Kaffee und Kuchen, Handwerkskunst, Milch von Bremerland und einen Flohmarktstand. Auch der Naturschutz wurde thematisiert: Die Rehkitzrettung Wümme e.V und das Artenschutzprojekt „Wilde Blüte“ waren erstmalig mit einem Informationsstand vertreten.
Die Scherer: Starkes Duo im rot karierten Hemd
Die Schur von Schafen ist ein traditionelles Handwerk, das seit Jahrtausenden praktiziert wird und eine wichtige Rolle in der Pflege und dem Wohlbefinden von Schafen spielt. Das jährliche Scheren findet in der Regel im Frühling statt, bevor die Temperaturen steigen. Die Schafe werden dann von ihrem dicken Winterfell befreit, um vor Überhitzung geschützt zu werden und erhalten ihren Sommerlook. Eine nicht zu unterschätzende Arbeit, die Erfahrung und Geschicklichkeit erfordert, damit die Schafe keine Verletzungen erleiden und die Wolle im bestmöglichen Zustand erhalten bleibt. Die Scherer Slavko Janjatovic und sein Sohn Alexander, das Duo im rot karierten Hemd, verstehen ihr Handwerk und waren auch in diesem Jahr wieder fleißig am Scheren. Dabei wird auf moderne Technik zurückgegriffen: Mit einer elektrischen Schermaschine ist es effizienter und minimiert die Belastung für die Tiere. Alexander Janjatovic schneidet zuerst die Klauen und schert dann systematisch, beginnend am Kopf. Die Wolle wird in einem einzigen großen Stück entfernt. Plötzlich wirken die Schafe sauber und glänzend. Die Besucher stehen während der Schur am Gehege und schauen eifrig zu. Besonders die Kleinsten sind ganz aufgeregt, live mitzuerleben, wie die Schafe ihre Wolle verlieren. Familie Lindenberger aus Borgfeld ist mit ihren zwei kleinen Kindern per Lastenfahrrad gekommen, um bei dem Spektakel dabei zu sein.
Schafwolle als wertvoller natürlicher Biodünger
Unmittelbar nach dem Scheren der Schafe wird die Wolle verteilt: Christiane von Glasenapp, die Nachbarin vom Hof Behrens, übernimmt diese Aufgabe und gibt gegen eine kleine Spende reichlich frisch geschorene Schafwolle raus. Viele Besucher fahren mit prall gefüllten Tüten nach Hause. Schon gewusst? Schafwolle kann als wertvoller Naturdünger eingesetzt werden und soll genügend Nährstoffe enthalten, um Boden und Pflanzen für lange Zeit zu versorgen – so kann nachhaltig und ökologisch gedüngt werden. Wichtig ist, dass die Wolle ungewaschen bleibt. Engelbert Bornhöft, Organisator und Mitbegründer der Kürbiswette Oberneuland, möchte die Schafwolle genau dafür verwenden. „Die Kürbiswette findet in diesem Jahr zum 23. Mal statt – die Schafwolle soll als Dünger für die Kürbisse dienen, damit wir auch in diesem Jahr wieder tolle Prachtexemplare haben“, so Bornhöft. Ein weiterer Vorteil: Die Schafwolle fungiert auch als Schneckenabwehr. Auch Jörg-Bernd Fischer nimmt einen prall gefüllten Sack für seinen Garten mit, als Dünger und Schutz vor den gefräßigen Schnecken.
Schafwolle ist ein vielseitiges Naturprodukt, das auch in weiteren Bereichen verwendet wird. In der Textilindustrie wird die Wolle z.B. zu Kleidung, Decken oder Teppichen verarbeitet. In Kunst und Handwerk kann Schafwolle zudem zur Herstellung von Filz dienen.
Ein Zeichen für den Naturschutz – „Wilde Blüte“ und Rehkitzrettung
Erstmalig in diesem Jahr reihen sich zwei Naturschutzprojekte mit Informationsständen in das Fest ein und stehen Interessierten mit Fragen und Antworten zur Seite. Sven Sinning von der Rehkitzrettung Wümme e.V. ist einer von vier Piloten, die ehrenamtlich für die Region Oberneuland mittels Drohnen Rehkitze noch vor der ersten Wiesenmahd aufspüren, um sie vor dem Mähtod zu bewahren. Den Verein gibt es seit 2021, gearbeitet wird nach einem bewährten Schema: Während der Pilot die Drohne über die Wiesen steuert, verfolgt ein Helfer an einem Monitor die Bilder der Wärmebildkamera und entsendet einen Läufer, sobald ein Wärmepunkt sichtbar wird. Für die Rettung wird dieser per Funk angewiesen. Das Rehkitz wird dann gesichert und nach der Mahd wieder freigelassen. „Bislang konnten wir circa 60 Rehkitze in Oberneuland retten“, so Sven Sinning.
Imker Thomas Becker hat sich mit seinem Projekt „Wilde Blüte“ zur Aufgabe gemacht, die Artenvielfalt der stark bedrohten heimischen Insekten und Kleintierwelt nachhaltig zu unterstützen. Ein Naturprojekt mit Blühwiese, Teichlandschaft und Wald auf einem über 37.000 Quadratmeter großen Gelände in Prinzhöfte bei Delmenhorst. Ausreichend Platz für einen dauerhaft geschützten Lebensraum als Nahrungs-, Rückzugs- und Bruthabitat. Das Projekt ist von Becker privat finanziert und wird mit dem Verkauf von Honig unterstützt.
Das Familienfest am Hodenberger Deich war auch in diesem Jahr mit einem abwechslungsreichen Programm, das Tradition, Naturschutz und Unterhaltung miteinander verband, ein voller Erfolg. Wir freuen uns schon auf das nächste Jahr, wenn es wieder heißt: Scherereien am Deich!
Text und Foto: Doreen von Oesen