Nachdenkliches
Von Pastor Thomas Ziaja
Der letzte Platz
Ich stehe abmarschbereit in der Wohnung mit einem Ticket für das Weihnachtsoratorium in der Tasche. Darauf habe ich mich Wochen gefreut. Es ist freie Platzwahl, ich muss pünktlich sein. Das Handy klingelt. Ich gehe ran. Das hätte ich nicht tun sollen.
Das Gespräch ist nicht wirklich wichtig, aber auch nicht schnell wieder loszuwerden. Bus verpasst, nächster hat Verspätung, Bahn weg. Ich komme fünf Minuten vor Konzertbeginn an, hetze in die Kirche. Nur noch Randplätze. Schlechte Sicht, dumpfe Akustik. Wäre ich mal nicht rangegangen.
Das Konzert beginnt. „Jauchzet, frohlocket!“ Der Chor singt, das Orchester jubelt. Ich singe innerlich: „Zum Teufel!“ Die erste Viertelstunde rauscht an mir vorbei. Ich bin sauer auf mich, weil ich rangegangen bin.
Dann lässt das pompöse Getöse nach. Der Chor setzt neu ein, leiser jetzt, fragend: „Wie soll ich dich empfangen?“ Die Frage sickert langsam durch. Ich sitze auf dem schlechten Platz. Aber das könnte genau der richtige Platz sein. Der Platz, an dem ich nicht mehr so tue, als hätte ich alles im Griff. Ich empfange heute etwas und gebe dafür gar nichts.
In der Geschichte, von der dort alle singen, sind alle am falschen Platz. Der Gottessohn liegt im Stall, seine Eltern konnten kein Hotel finden. Dort, wo es eng ist und schlecht riecht und niemand hin will, spielt die Musik.
Die Hirten auf dem Feld sind immer am falschen Platz. Sie sind dreckig und keiner gibt sich mit ihnen ab. Sie haben einen miesen Job, das wissen sie selbst. Außerdem ist es kalt und dunkel und nass und überhaupt. Und genau da erreicht sie die Botschaft.
„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ (Galater 4,4). Gottes Sohn kommt nicht, wenn alles perfekt vorbereitet ist. Er kommt nicht, wenn ich auf dem schönsten und besten Platz sitze. Jesus kommt, als es an der Zeit ist. Dann, wenn du da bist, auch wenn du zu spät kommst, auch wenn du am Rand sitzt, auch wenn die Stimmung im Eimer ist.
„Wie soll ich dich empfangen?“ Die Frage klingt durch das ganze Weihnachtsoratorium, durch mein Leben. Gott empfängt mich auf dem Platz, auf dem ich nun mal sitze. Nicht auf dem Platz, den ich haben wollte. Nicht in der Stimmung, die ich geplant hatte. Sondern genau hier, genau jetzt, genau so, wie ich bin, zu spät, genervt, am Rand.
Ich versuche ständig, meinen Platz zu finden. Ich suche den richtigen Job, die richtige Balance, die richtige Art zu leben. Ich will zu dem Ort, an dem alles passt, an dem ich ankomme, an dem ich endlich sagen kann: Hier bin ich richtig.
„Wie soll ich dich empfangen?“ Ich finde meinen Platz gar nicht selbst. Ich werde gefunden, genau da, wo ich gerade bin. Auf dem unbequemen Platz mit der schlechten Akustik. Im Alltag, der nicht perfekt läuft. In den Momenten, in denen ich zu spät komme und genervt bin und mir wünsche, ich hätte es besser gemacht.
Ich lasse mich ein auf den, der mich empfängt. „Jauchzet, frohlocket!“
