Nachdenkliches

von Thomas Ziaja

Witzlebenstraße

Ich lese einen Straßennamen und habe den Gedanken: „Da möchtest du gerne wohnen. Diese Adresse würde sich gut auf einem Briefkopf machen. Dann würden die Menschen, die dir einen Brief schreiben, nachdenken, die Stirn runzeln oder sich amüsieren.“
Als ich neulich mit dem Fahrrad durch die Vahr fuhr, war dieser Gedanke wieder da. Ich fuhr durch die Witzlebenstraße. Die Straße sieht nicht gerade nach viel Heiterkeit aus, aber in meinem Kopf stellte ich mir das vor, wie es wäre, in der Witzlebenstraße zu wohnen. Da hätte jeder Nachbar einen kleinen Scherz auf den Lippen. Da würde man das Leben nicht so ernst nehmen. Da erzählt man sich eine lustige Geschichte, wenn man von der Arbeit zurückkommt, die in so trostlosen Straßen wie der Friedhofstraße oder Uppe Angst stattfand. Ja, die Witzlebenstraße könnte so ein Hoffnungsort gegen den trostlosen Alltag sein.
Natürlich hat sich sofort mein geschichtsbewusstes Gehirn dazwischengeschaltet: „In der Vahr sind die Straßen doch nach Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus benannt. Da muss doch der Herr Witzleben dazugehören.“ Und tatsächlich ist das Leben des Erwin von Witzleben alles andere als ein Witz gewesen. Auch wenn mir der Name zunächst nichts sagte, kenne ich sein Bild. Er gehörte zu den Attentätern des 20. Juli 1944, die Adolf Hitler töten und den Krieg damit beenden wollten. Sein Bild war mir deshalb bekannt, weil er in seinem Prozess ohne Gürtel und Hosenträger als Angeklagter stehen musste und vom Richter Roland Freißler beschimpft wurde: „Was fassen Sie sich dauernd an die Hose, Sie schmutziger, alter Mann?“
Das Leben ist kein Witz, erst recht nicht, wenn man es verliert. Aber in dem Namen von Erwin von Witzleben steckt tatsächlich diese Haltung. Der Witz nimmt die Welt nicht so ernst, dass er vor ihr kapituliert. Mit einem Witz setzen sich Menschen gegen die Welt, wie sie ist, zur Wehr. Im Nationalsozialismus, in der DDR, in der Sowjetunion und auch im heutigen Russland sind Witze die letzte Möglichkeit zu sagen, was man denkt. Der Witz ist aktiver Widerstand.
Erwin von Witzleben hat für seinen Widerstand mit dem Tod bezahlt. Das musste ihm bereits vorher klar gewesen sein, als er sich auf den Umsturzversuch einließ. Er hat sein Leben nicht wichtiger genommen als den Widerstand, zu dem er gehörte. Er war bereit, für eine Sache, von der er überzeugt war, alles aufs Spiel zu setzen. Die Macht Adolf Hitlers nahm er nicht so ernst, dass er vor ihr kapituliert hätte. Wo andere billige Witze machten, machte er Ernst.
„Niemand hat größere Liebe als wer sein Leben einsetzt für seine Freunde“, sagt Jesus (Johannes 15,13). Diese radikale Liebe lässt den Mächten des Bösen nicht das letzte Wort. Sie gibt dem Tod nicht das Recht, das Leben zu unterdrücken. Wer so ein Leben führt, das die Liebe über alles stellt, lacht am Ende über die Unterdrücker.
Es wird kaum einer so radikal diesen Weg verfolgen wie Erwin von Witzleben. Die Haltung aber, von der sein Leben und der Weg Jesu zeugen, ist imponierend und herausfordernd. Ich möchte gerne jeden Tag so leben, dass ich mich jeder Unterdrückung mit Worten und Taten in den Weg stelle. Ich möchte so sehr lieben, dass ich für andere etwas wage. Am Ende möchte ich lachen und nicht weinen.
Ich werde nicht umziehen, aber die Witzlebenstraße ist ganz weit oben bei den Adressen, die sich gut auf einem Briefkopf machen. Wer dort wohnt, macht sich nicht zum Gespött, sondern lacht über all die kleinen Tyrannen und lebt in einer Liebe, die alles wagt.