Nachdenkliches 

von Pastor Thomas Ziaja

Was glaubt eigentlich Gott?

Weihnachten steht vor der Tür. Was soll ich dieses Jahr schreiben, was nicht schon tausendmal geschrieben wurde? Vielleicht das: An Weihnachten geht es nicht um Geschenke. Klar, das haben alle schon gehört, aber worum geht es dann? Die Frage, um die es an Weihnachten geht, hat Winfried Hammelmann, vermutlich ohne es zu ahnen, in der letzten Ausgabe gestellt: „Glaubt Gott an die Menschen?“
Die Antwort könnte jetzt einfach „Ja!“ lauten, aber weil es kurz vor Weihnachten ist, gibt es hier ein bisschen mehr Theologie zum Thema.
Gott glaubt an die Menschen. Ganz am Anfang sind da viele Ideen in Gottes Kopf, was man aus den nächsten sechs bis sieben Tagen machen könnte. Gott beginnt mit Finsternis und Licht zu experimentieren und entdeckt das Schattenspiel. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft fallen ihm Wesen ein vom Hängebauchschwein bis zum Seepferdchen. Ganz am Schluss will Gott etwas Besonderes machen. Wie später so viele Künstler beginnt Gott im Spätwerk ein Selbstporträt. Es gelingt ihm, es sieht ihm ähnlich, es ist beinahe fotorealistisch geworden. Und Gott sagt: „Es ist sehr gut.“ So sehr glaubt Gott an die Menschen, dass er Menschen macht und sie sein lässt wie Gott selbst.
Gott glaubt an die Menschen. Gott sieht die Macken an seinem Werk. Er kennt die Nörgeleien, die Selbstzweifel, die Gewalttaten, zu denen seine Menschen fähig sind. Aber Gott weiß auch, wie viel Schönes dieses Geschöpf schaffen kann. Es singt wie die Engel. Es malt wie die Sonne. Es denkt fast so perfekt wie Gott. Und weil die Macken nicht mehr wiegen als die wunderbaren Fähigkeiten der Menschheit, sagt Gott: „Ich mache einen Regenbogen in die Wolken und lasse diese Welt gedeihen. Wer das sieht, weiß, wir haben einen Bund, einen Deal, der durch nichts gebrochen werden kann.“ So sehr glaubt Gott an die Menschen, dass er sie nicht im Stich lässt.
Gott glaubt an die Menschen. Aber die Menschen glauben nicht notwendigerweise an Gott. Sie vergessen, was der Regenbogen bedeutet. Nur tief in ihnen drin ist eine Erinnerung an das göttliche Farbenspiel und sie lächeln. Da sagt sich Gott: „Wenn ihr nicht zu mir kommt, komme ich zu euch.“ Und nun kommt Weihnachten. Gott wird ein Mensch. Die Menschen sind Gott so lieb geworden, dass er es selbst ausprobieren muss. Ein Mal Fleisch und Blut haben. Für eine kurze Zeit lieben und lachen, streiten und umarmen. Die Liebe zu den Menschen geht so weit, dass Gott auch wissen will, wie das mit dem Tod ist und was das Leiden mit den Menschen macht. Das alles probiert Gott aus, weil Gott an die Menschen glaubt.
Aber warum sollten wir das feiern? Das ist doch Gottes Sache. Das hat mit mir nichts zu tun. Es hat mit dir zu tun. Nicht mit irgendjemandem, sondern mit dir. Gott glaubt nicht einfach an die Menschheit, sondern an dich. Gott glaubt an den kleinen Diktator in dir, der immer alles haben muss, und sagt ihm: „Lass gut sein.“ Gott glaubt an die große Liebhaberin in dir, die sich einfach an allem und jedem freuen kann und sagt ihr: „Mach weiter so.“ Gott glaubt an die Kleindenkerin in dir, die meint, alles an dir sei falsch und wertlos und sagt ihr: „Du bist gut.“ Gott glaubt an den Feinsinnigen in dir, der alles durchdenkt und jeden Gedanken genießt wie einen Schluck Wein und sagt ihm: „Lass dich davon nicht abbringen.“
Es mag sein, dass du nicht an dich glaubst, aber in dieser Welt gibt es jemanden, der es tut. Und er tut es schon von Anbeginn der Welt. Der, dem die Ewigkeit gehört, glaubt an mich in meiner kurzen Zeit. Wenn das kein Grund zum Feiern ist mit dem größten Geschenk von allen – dass ich geliebt bin ohne Widerspruch!