Nachdenkliches

von Pastor Thomas Ziaja

Stich im Herzen
Als die Hirten von der Krippe weiterziehen und die Könige wieder in ihren Palästen sitzen, geht das Leben seinen gewohnten Gang. Nach dem ersten großen Aufruhr, den Geschenken und Glückwünschen zur Geburt sind die Eltern mit dem Neugeborenen allein. Die Glückshormone flauen langsam ab und der Alltag will organisiert sein. Maria, Josef und Jesus tun das ganz genau so, wie Eltern es immer getan haben.
Dieser Start in ein neues Leben braucht eine Form, eine Gestalt. Der Wunsch, dem Kind einen Platz in der Welt zu geben, es Teil von etwas Größerem werden zu lassen, den kennen alle Eltern. Im Judentum ist es die Beschneidung, im Christentum die Taufe und daneben gibt es eine Vielzahl ähnlicher Rituale, die alle wollen, dass das neue Leben des Kindes und die neue Phase der Eltern in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken.
Wenn dieser Schritt gut werden soll, braucht er neben allem Schönen und allem Segen einen ehrlichen Blick auf das, was kommt. Als Jesus, Josef und Maria in den Tempel kommen, ist es ein alter Mann, der diese Worte findet: »Durch dieses Kind soll ans Licht kommen, was viele im Innersten denken. Und für dich, Maria, wird es sein, als ob ein Schwert deine Seele durchbohrt.« (Lukas 2,35)
Das sind harte Worte, aber je länger ich Vater bin und diese Worte lese, weiß ich, dass sie stimmen. Kinder bringen ans Licht, was uns zwar klar ist, was wir aber gerne verbergen. Zielsicher legen sie den Finger in unsere schmerzhaftesten Wunden, zeigen unsere Widersprüche auf und benennen unsere Schwächen. Meine Kinder sprechen aus, was sie von mir halten, schonungslos und offen. Das ist manchmal wie ein Dolchstoß, aber ich bin ihnen dankbar dafür, weil sie es wagen, was andere nur denken.
Maria wird sich ein paar Mal das Schwert durchs Herz bohren. Ihr Sohn, dieser Jesus, den alle immer für den absolut Guten halten, behauptet einmal, dass er seine Mutter nicht kennt. Ein anderes Mal schnauzt er sie an, als sie ihn um Hilfe bei der Hochzeit zu Kana bittet. Jesus ist ein echter Sohn, hartschlägig im einen, liebevoll im anderen Moment. Am Ende muss Maria den schlimmsten Stoß ertragen, als sie ihren Sohn im Sterben begleitet. Da hat ihr Sohn dann etwas Gutes übrig und sagt seinem Freund: »Kümmer dich um meine Mutter.«
Wie gut, dass man am Anfang nicht weiß, was das Leben für Eltern bereithält. Eltern zu sein ist ein unendliches Glück und immer nah am Stich durchs Herz. Wie gut, dass Jesus dafür eine Form gefunden hat, die beides zusammenbringt: die Taufe. Ganz am Ende seiner Zeit auf der Erde gibt er seinen Freundinnen und Freunden die Taufe mit auf den Weg. Sie soll Menschen mit Gott verbinden, damit Freud und Leid zusammenpassen. Da sagt er: »Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.«

Eltern kommen zur Taufe, Maria und Josef zur Beschneidung, andere hoffentlich zu anderen Wegen, um Boden unter die Füße zu bekommen. Einer der ersten Gedanken als Vater im Kreißsaal war, wie viel mir anvertraut ist und wie wenig ich tun kann, um dieses Kind zu beschützen. Dieser Stich im Herzen wurde leichter, als uns und unserer Tochter bei der Taufe gesagt wurde: »Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.«
Das Leben ist hart. Das Leben ist bedroht. Das Leben ist voller Sorgen. Wenn ich mich aber darauf verlassen kann, dass ich dieses Leben, selbst mit einem Stich im Herzen, nicht alleine bestehen muss, dann ist das Leben bunt und hoffnungsvoll und frei. Das zu wissen und zu erleben, ist der Schatz, aus dem das Leben gelebt wird.