Die sagenhafte Esche

Bäume in Oberneulander Gärten

Noch heute ist eine alte Bauernregel bekannt: „Grünt die Eiche vor der Esche, gibt’s im Sommer große Wäsche; grünt die Esche vor der Eiche, gibt’s im Sommer große Bleiche.“

Da im Oberneulander Garten der Familie Melzer beide Bäume direkt nebeneinanderstehen, kann der Wahrheitsgehalt dieser Wetterregel gut überprüft werden. „Wobei die Wetterbedingungen in jedem Jahr andere sind und deshalb die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen könnten, aber eine Beobachtung ist es allemal wert. In diesem Jahr hat die Eiche tatsächlich eher ausgeschlagen – das würde laut Wetterregel einen nassen Sommer bedeuten. Mal schauen ob’s stimmt“, so die Hausherrin.

Seit 36 Jahren leben die Melzers in ihrem Haus nahe dem Lindenweg. Die Esche stand schon damals auf dem Grundstück, die Eiche auch. Neben den beiden markanten Bäumen säumen zahlreiche weitere Gehölze, Ziersträucher und Rhododendren die Grundstücksgrenzen. Der Garten ist mit seinen zahlreichen Stauden in unterschiedlichen Beeten und Rabatten ein kleines Paradies für die pensionierte Lehrerin und ihren Ehemann. Je nach Jahreszeit grünt und blüht es in Hülle und Fülle, meist in hellen Farben.

„Eine Besonderheit stellt aber tatsächlich die große Esche aufgrund ihres Wuchses und Alters dar“, erzählt die Botanikerin aus Leidenschaft. „Sie wird auf ungefähr 90 bis 100 Jahre geschätzt und ihre Krone überragt majestätisch die Bäume der Nachbargrundstücke.“ 

Als Straßenbaum ist die Esche selten zu finden, obwohl sie als Park- und Straßenbaum geeignet ist, zumal sie mehr als 200 Jahre alt werden kann. Allerdings müssen die Wurzeln das Grundwasser erreichen können, deshalb ist die Esche zur Flussufer- und Böschungsbefestigung besonders geeignet. Eher selten sind Eschen auf privaten Grundstücken zu finden. Sie wurden früher aber gerne als Hofbäume gepflanzt – was ihren Standort auf dem Grundstück der Melzers erklären könnte. Außerdem wurde das Laub oft als Futter verwendet; es ist beim Vieh beliebt und gilt für die Tiere als Delikatesse.

Die Esche zählt mit einer Wuchshöhe von 30 bis 40 Metern zu den größten europäischen Laubbäumen. In den ersten zehn Jahren wächst „Fraxinus excelsior“ in einem rasanten Tempo bis zu einem Meter pro Jahr heran. Danach verlangsamt sich die Wuchsgeschwindigkeit auf jährlich 25 bis 45 Zentimeter. Erst im Laufe der Zeit formt sich dann auch die charakteristische ovale bis rundliche Baumkrone aus. Der Laubbaum blüht im April mit unscheinbaren Blüten und lockt für die Bestäubung keine Insekten an: Die Pollen verbreiten sich mit dem Wind. Auffällig sind die in dichten Büscheln hängenden geflügelten Samen, die manchmal noch bis in den Winter an den Bäumen bleiben. Interessant ist auch, dass der Samen mindestens zwei Winter lang ruhen muss, bevor er austreiben kann. Die Rinde der Esche ist lange glatt und grünlichgrau gefärbt. Mit zunehmendem Alter entsteht eine Borke, die rissig ist und an die Borke von jungen Eichen erinnert.

Im Vergleich mit Eiche oder Linde führt die Esche eher ein Schattendasein bei Dichtern oder Komponisten. In der germanischen Mythologie allerdings ist die Weltenesche (Yggdrasil) die Mitte des Universums. Mit ihrer Krone schafft sie die Verbindung zum Himmel, mit ihrem Stamm zur Erde und mit ihren Wurzeln zur Unterwelt. Unsere Vorfahren waren von vielen unterschiedlichen, nützlichen Eigenschaften der Esche überzeugt. So soll sie Unheil abwehrende Kräfte in sich haben.

Das Holz der Esche ist zäh und weist eine hohe Zug- und Biegefestigkeit auf. Zudem lässt es sich auch gut verarbeiten, was schon früh erkannt und genutzt wurde. Von eschenen Schäften für Speere, Hacken und Steinäxte im Neolithikum führte die Entwicklung hin zu den Stielen von Hämmern, Pickeln und Schaufeln von heute. Sogar im Wagenbau und in der Skiproduktion wurde das feste und zugleich elastische Holz früher eingesetzt, bevor es von anderen Materialien abgelöst wurde.

Ob sich die Bauernweisheit bewahrheitet, wird der Verlauf des Sommers zeigen. Sowohl der Esche als auch der Eiche werden genügend Regen und gemäßigte Temperaturen in jedem Fall guttun!

Text und Foto: Meike Müller

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