Alles auf dem Prüfstand

Nachdenkliches von Pastor Thomas Ziaja

In den letzten Wochen des alten Jahres habe ich mich vollkommen gehen lassen. Plätzchen, Schokolade, süßer Punsch. Bei Zucker bin ich ein Junky. Ich lange einfach zu, ohne darüber nachzudenken. Kokosmakrone und Schokostern, das passt. Ein winziger Nikolaus hinterher, kein Problem. Am Abend noch zwei Becher heißer Apfelsaft, ist ja so ungemütlich draußen. Doch in mir drin hat sich der Griff in die Gebäckkiste immer schwerer angefühlt. Ich greife zu, denke nicht nach und nehme immer mehr.
Je mehr ich darüber nachgedacht habe, ist mir aufgefallen, dass da ein Suchtverhalten in mir lauert. Ich habe zwar jedes Mal gedacht: »Das brauchst du nicht.« Dann habe ich trotzdem alles aufgefuttert und noch mehr besorgt. Die Finger davon lassen, das ging nur in meinem Kopf, aber nicht in der Realität.
Mein Neujahrsvorsatz – ja, ich mache das wirklich und oft genug schaffe ich es auch – war dann, keine Süßigkeiten mehr zu essen. Ich weiß inzwischen, dass Zucker für mich Gift ist, eine Droge, von der ich nicht lassen kann. Ich kann nicht den letzten Keks essen und dann aufhören. Ich kann nur den ersten Keks nicht essen und auch nicht den zweiten und dritten. Das mache ich mir gerade Tag für Tag klar.
Entscheidungen, Routinen, Gedanken. Ich greife zu, weil es bequem ist, weil ich es schon immer so gemacht habe, weil irgendetwas in mir damit befriedigt wird. Das Motto der evangelischen Kirche für das Jahr 2025 zielt genau da hin: »Prüft alles und behaltet das Gute.« (1. Thessalonicher 5,21)
Das Prüfen fällt mir oft gar nicht schwer. Ich weiß, was gut ist. Ich weiß, was mir guttut. Ich weiß, was anderen guttut. Das Problem ist nicht das Wissen, sondern das Handeln. Die Erkenntnis allein ändert gar nichts. Das Gute zu behalten klingt logisch. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es die größere Herausforderung, das Schlechte loszulassen.
Bei mir ist es der Zucker, bei anderen sind es vielleicht andere Dinge: Angewohnheiten, Worte, Haltungen. Es gibt so vieles, von dem wir wissen, dass es nicht gut ist. Wir merken es am schlechten Gewissen, an der Schwere, die uns beschleicht, an der kleinen Stimme in uns, die sagt: »Lass das besser sein.« Aber sie zu hören und dann wirklich anders zu handeln – das ist die Kunst.
Weil das im Kleinen schon so schwer ist, spüre ich oft auch im Großen, wie das Ungute wirkt. Es fängt an bei verletzenden Worten, die übereinander geredet werden. Lösungen werden gesucht, aber nicht mit dem Blick darauf, was allen dient, sondern darauf, was mir am meisten nützt. Dieses Muster zieht sich von den alltäglichen Kleinigkeiten bis hin zu den großen Fragen unserer Gesellschaft. Es scheint fast so, als wäre es ein menschliches Grundproblem, das Schlechte nicht einfach loslassen zu können – selbst wenn wir wissen, dass es notwendig wäre.
Manchmal frage ich mich, warum mir das Gute so schwerfällt, obwohl es doch das Einzige ist, was sich wirklich lohnt. Viel mehr als jedes Plätzchen oder jede Schokolade, viel mehr als die Bequemlichkeit einer alten Gewohnheit. Vielleicht liegt es daran, dass das Gute oft bedeutet, einen Schritt zu wagen, der anstrengend und neu ist. Es verlangt Disziplin, Mut und manchmal auch Verzicht. Aber es lohnt sich, immer wieder.
»Prüft alles und behaltet das Gute« ist kein Vorsatz für das neue Jahr. Es ist eine Haltung zum Leben, zu den Menschen, die ich jeden Tag üben muss. Es geht um die erste Schokolade, die ich nicht esse, um das erste verletzende Wort, das ich nicht sage, um das erste Mal, wo ich nicht für mich handle, sondern zum Wohl vieler.
Für Paulus, der diese Haltung in seinen Worten beschrieben hat, war klar, dass ich das nicht alleine schaffen werde. Er schreibt seine Worte an eine christliche Gemeinde. Er schreibt sie als Lebenshaltung für alle Menschen. Keiner muss das Gute alleine tun. Wir tun es gemeinsam. Und für Paulus und mich ist auch klar, wir tun es, weil wir dazu in dieser Welt berufen sind. Der letzte Satz des Paulus macht mir Mut: »Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.« (1. Thessalonicher 5,24)