Tapetenwechsel ohne Wechsel der Tapeten

HammelSprünge im Oktober

Wenn man etwas neu dekorieren möchte, dann wohnt diesem Wunsch ja inne, dass man zuhause Veränderung will. Tapetenwechsel. Da wäre mein erster Tipp, einfach mal die Tapeten zu wechseln. Streng genommen ist es aber ganz schön aufwendig, einen Wechsel der Tapeten aus dem Wohnzimmer mit den Tapeten aus dem Kinderzimmer vorzunehmen. Akribische Fleißarbeit ist da nötig.
Deshalb ist mein Vorschlag, sich anders räumlich zu verändern. Das Zauberwort heißt Zimmertausch.
Um sich geistig und körperlich fit zu halten und um frischen Wind ins Familienleben zu bringen, sollte man innerhalb des Hauses oder der Wohnung regelmäßig umziehen.
Das Kinderzimmer wird zum Wohnzimmer, das Wohnzimmer zum Schlafzimmer, das Schlafzimmer zum Gästezimmer, das Gästezimmer zum Kinderzimmer.
Das ist schon deshalb eine große Herausforderung, weil die Räume ja in der Regel unterschiedlich groß sind.
Ich bin neulich im Netz unterwegs gewesen, um zu sehen, ob andere Menschen auch schon auf diese Idee gekommen sind. Hat aber nicht viel gebracht, weil es ein Fischernetz war, und mit dem kommt man nicht sehr weit.
Dann habe mich an den PC gesetzt und gegoogelt und festgestellt, dass diese Art der Freizeitgestaltung gar nicht so selten ist. Ich glaube, die Seite hieß „Umziehen um umzuziehen“ oder so ähnlich. Also ich sag mal so: Wenn die Idee, das Schlafzimmer mit dem Wohnzimmer zu tauschen, Umzieh-Level 1 ist, dann ging das, was ich auf dieser Internetseite gesehen habe, wenigstens bis Level 12. Glücklicherweise war die Seite so aufgebaut, dass alles aufeinander aufbaute.
Für Anfänger gab es Tipps für die Variante: Das Schlafzimmer wird zum Kinderzimmer, das Kinderzimmer zur Sauna, das Gästezimmer wird zur Wohn- und Schlafzimmerkombination.
Ich klickte weiter und fand: Das Gästezimmer wird zum Wintergarten, das Wohnzimmer zum Sommergarten, das Bad zum Hundezimmer, das Schlafzimmer zum Wohnklo, der Garten zum Schlafbereich.
Ich scrollte noch weiter und fand lauter Kombimöbel, Mischzimmer und Mixeinrichtungsgegenstände: Es gab Küchen-Stuben (nicht zu verwechseln mit Stuben-Küchen), Schlafkinderzimmer (nicht zu verwechseln mit Kinderschlafzimmern), Bücher-Kühlschränke (nicht zu verwechseln mit Kühl-Bücherschränken), Vorratswannen (nicht zu verwechseln mit Unratswannen) und Mikrowellenschuhschränke (nicht zu verwechseln).
Ich war – für meine Verhältnisse – sehr weit, vermutlich Level 4.
Es wurde immer … wie soll ich sagen … anspruchsvoller? Nein. Kreativer? Nein.
Irrer? Ja, genau. Irgendwann war ich auf der Umziehseite, doppel-gemoppel-trippel-getippel. Dort haben spezielle … äh … Spezialisten in ihrer Wohnung alles doppelt oder sogar dreifach gebaut, gestellt, gelegt, gestrichen. Man sah zwei identische Duschen, zwei Fernseher nebeneinander, zwei baugleiche Sofas mitten im Raum, aber auch Doppelwaschmaschinen, Doppelwendeltreppen (eine zum Hochgehen, eine zum Runtergehen), Doppelschuhanzieher, Doppelblumensträuße und Doppelkorn. Und – total crazy: Doppelbetten. Wenige Bilder weiter sah man Trippelmöbel und Trippeldekostücke. Just in diesem Augenblick kam mir das Wort Trippelschritte in den Sinn. Ich gab mir selbst den Tipp, nur noch in kleinen Schritten weiter zu scrollen, einerseits, um überhaupt noch zu begreifen, was diese Umziehen-um-umzuziehen-Umzieher noch alles anstellten, umstellten oder stellten, andererseits, um nicht durchzudrehen.
Auf Seiten, die zunächst nach Level 2 aussahen, sah ich eine Wohnung mit Zimmern, die jeweils komplett einfarbig waren: blaues Wohnzimmer, violettes Badezimmer, weißes Kinderzimmer, durchsichtiges Schlafzimmer. Das kam mir fast ein bisschen gewöhnlich vor, bis ich merkte, dass sämtliche Möbel an der Decke befestigt waren.
Ich traute mich kaum, weiter zu klicken, tat es aber trotzdem und entdeckte, dass die Umzieh-Freaks unter den Wohn-Spezialisten einer außergewöhnlichen Freizeitbeschäftigung nachgingen, im Netz zu finden unter dem Stichwort Umziehfreakwohnspezialistenfreizeitbeschäftigungstichwort. 
Ganz einfach zu finden im Internet. Wenn man’s weiß.
In diesem Level angekommen, sah ich, wie eine Großfamilie ihr Haus flächenmäßig vergrößerte. Sie zogen in der Mitte aller Räume weitere Decken ein. Das ist eine interessante Idee, wenn es sich um ein Altbremer Haus handelt, aber es ist eine ziemlich bekloppte Idee, wenn die ursprüngliche Deckenhöhe 2,50 Meter beträgt.
Zu Beginn meiner Recherchen rund ums Umziehen innerhalb der eigenen vier Wände war ich fasziniert von den Zimmertauschmöglichkeiten.
Dann kam ich ins Grübeln, später ins Göbeln. Mir qualmte der Kopf. Obwohl ich Nichtraucher bin.
Irgendetwas muss ich aus all dem lernen, dachte ich.
Irgendetwas Kreatives muss daraus erwachsen.
Irgendetwas im Wohnbereich muss ich ändern.
Irgendetwas an der Deko muss ich erneuern.
Irgendetwas muss ich umdekorieren.
Irgendetwas Spezielles.
Irgendetwas!
Ich griff vorsichtig die auf dem Esszimmertisch stehende Jugendstilvase von Oma Käthe und rückte sie etwa zehn Zentimeter weiter nach links.

Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor