Spätsommerliches Wintermärchen

Gut Hodenberg

Das Naturtheater auf Gut Hodenberg bildete im September wieder die Kulisse für ein spätsommerliches Kulturerlebnis mit der Bremer Shakespeare Company. Fast freundschaftlich und sehr herzlich begrüßte Gastgeber York Stahlknecht, Vorsitzender der Stiftung „Der Hodenberg“ und Hausherr des historischen Landgutes, Ensemble und Publikum.

Die Freude, endlich wieder vor Publikum agieren zu können, merkt man den Schauspielern der Bremer Shakespeare Company an diesem Abend sichtlich an. „Wie nach einer langen Zeit des Fastens – endlich wieder essen dürfen“, beschreibt Petra-Janina Schultz den emotionalen Zustand des Ensembles. Mit Spielbegeisterung begeben sich die vier Akteure in Shakespeares „Wintermärchen“ dann auf die Reise von Sizilien nach Böhmen, vom emotional frostigen Winter zum bunten Sommer und durch die Höhen und Tiefen der menschlichen Seele.
1611 erstmals aufgeführt, gehört „Das Wintermärchen“ zum Spätwerk Shakespeares und erzählt von der zerstörerischen Macht der Eifersucht und Tyrannei sowie der heilenden Wirkung von Liebe und Vergebung.
Wie viele von Shakespeares Tragödien basiert auch „Das Wintermärchen“ auf den grundlegendsten menschlichen Schwächen und Eigenschaften der Protagonisten. Dabei spielt Shakespeare mit einer gewissen Fallhöhe: Seine Figuren sind angesehen und machtvoll, werden aber zu tragischen Figuren, mit denen die Zuschauer umso mehr leiden, je tiefer ihr Fall ist.
Leontes, der König Siziliens, bezichtigt aus „heiterem Himmel“ seine schwangere Frau, die Königin Hermione, mit seinem besten Freund Polixenes, dem König Böhmens, Ehebruch begangen zu haben. Was in Leontes‘ Kopf als Hirngespinst entbrennt, wird zu einem reißenden Lauf des Unheils, in dem der Königssohn Mamillius vor Kummer stirbt, die Königin Hermione zu Unrecht zum Tode verurteilt und die neugeborene Tochter Perdita an der Küste Böhmens ausgesetzt wird.
So tragisch und düster das Stück auch beginnt, so fröhlich und hoffnungsvoll, geradezu komödiantisch, setzt sich die Handlung im imaginären Böhmen nach einem Zeitsprung von 20 Jahren fort.
Die inzwischen jugendlich schöne Perdita, die – nichts über ihre Herkunft ahnend – als Schäfertochter aufwuchs,
ist unsterblich in den jungen Prinzen Florizel, Sohn des Königs Polixenes, verliebt. Diese Liebe ist jedoch durch den Standesunterschied nicht lebbar, was das Paar zur Flucht nach Sizilien zwingt.
Dort finden am Ende alle Figuren zusammen, es entwirren sich die Schicksalsfäden, ein missachteter Orakelspruch erweist sich als glasklare Wahrheit und wir erleben eine märchenhafte Wiedergeburt durch die Kraft der bedingungslosen Liebe.
Die Inszenierung von „Das Wintermärchen“, unter der Regie von Patricia Benecke, legt den Fokus ganz auf die vier hervorragenden Akteure Petra-Janina Schultz, Simon Elias, Tim Dominick Lee und Markus Seuß, die im Verlauf der Handlung gleich mehrere Rollen übernehmen. Mit nur wenigen Handgriffen werden Kostüme und somit die Charaktere geändert. Weder die spärlichen Requisiten noch die tiefgrüne Kulisse des Naturtheaters lenken die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom tragischen Thema der Handlung ab. Und so ist man wie erlöst, als sich zum Ende alles zum Guten wendet – wenn auch nach einer langen Zeit der Irrungen und Wirrungen – ganz in Shakespeares Manier.
Gleich sechs neue Stücke hat die Bremer Shakespeare Company in ihrer „Fastenzeit“ vorbereitet, die in den Herbst- und Wintermonaten auf dem Spielplan stehen und auf das Publikum warten. Ganz sicher wird es im kommenden Jahr auch ein
Wiedersehen auf Gut Hodenberg geben, denn die Gastspiele auf der Freilichtbühne gehören mittlerweile zum festen Ver-
anstaltungsplan der Stiftung.

Text und Foto: Meike Müller