Als Harje Döhle den Meierbrief bekam
Teil 1
Das war vor 260 Jahren, am 24. November 1760. In einer Schublade der Oberneuland-Sammlung befindet sich dieses Dokument. Ein Meier, so wissen wir, erhielt von einem Grundherren zur Bewirtschaftung Ländereien gegen eine jährliche Abgabe. Der Brief, so wie er aussieht, war damals wohl ein Vordruck in Frakturschrift mit einem kunstvoll gestalteten Initial. Er ließ Platz für handschriftliche Eintragungen und Ergänzungen.
Sitzt man als neugieriger Betrachter davor, so sind die gedruckten Worte zwar gut zu lesen, es bleiben aber schnell eine Reihe von Fragen offen. Noch schwieriger wird es beim Entziffern der Handschrift.
Also, zunächst einmal ist von einem Brün Döhle die Rede, dann von seinem Sohn Harje – der das Ansuchen stellt, von seinem Vater das Meierrecht „cum omnibus juribus et pertinentiis“ zu übernehmen. Für diesen Vorgang musste er einen Weinkauf in Höhe von „Fünff Zehen Rthl in Goldt“ zahlen. Es folgen Vereinbarungen über „Abgifften“, also jährliche Abgaben an das St.- Johannis-Kloster als Grundherren. Sehr eindrucksvoll für das Auge sind auf der Rückseite fünf Siegel mit dazu gehörenden Unterschriften.
Spätestens an dieser Stelle hilft eigenes Wissen nicht weiter. Was bedeutet zum Beispiel der lateinische Text? Was hat es mit dem Weinkauf auf sich? Und vor allem: Hat das St.-Johannis-Kloster einen Bezug zur heutigen Kirchengemeinde?
Wir bedanken uns bei dem Historiker Dr. Hans Hermann Meyer für seine Unterstützung und seine umfangreichen Recherchen.
„Mit allen Rechten und (zu ergänzen: allem) Zubehör“, lautet die Übersetzung des oben gennanten lateinischen Textes. Der Ausdruck Weinkauf hat mit dem Kaufen von Wein nichts zu tun. Er steht hier für die Abgabe, die beim Wechsel des Meiers an den Grundherren zu entrichten war, hier 15 Reichstaler in Gold.
Das St.-Johannis-Kloster stand nicht in Oberneuland und hat mit St. Johann als Patron der alten Oberneulander Kirche nichts zu tun. Vielmehr handelte es sich um ein Franziskanerkloster in der Stadt Bremen. Es wurde während der Reformation (1529) aufgehoben. Das gesamte Vermögen des Klosters ging dabei auf die Stadt Bremen über. Die Klostergebäude wurden … erst 1834 abgerissen (die Kirche des Klosters blieb bis heute erhalten: die St. Johanniskirche im Schnoor-Viertel). Die Güter des ehemaligen St.-Johannis-Klosters wurden weiterhin unter dessen Namen verwaltet und bildeten 1760, als der Meierbrief ausgestellt wurde, immer noch einen gesonderten Vermögenskomplex in den Händen des Rats der Stadt Bremen … Mit den Siegeln und Unterschriften am Schluss des Dokuments verhält es sich folgendermaßen: Die beiden schwarzen Siegel sind die der beiden Bremer Ratsherren, die als „Inspectoren“ an der Spitze der Verwaltung des sog. St.- Johannis-Klosters und seiner vermeierten Ländereien standen. Es waren Dr. jur. Hermann Dwerhagen und Nicolaus Christian Jacobs. Drei nicht dem Rat angehörige Bürger waren damals den beiden Inspektoren beigegeben. Sie wurden als „Vorsteher“ bezeichnet und hießen Frans Harlah, Martin Deneken und Johan Caspar Lindt. Diese drei haben den Meierbrief in roter Farbe untersiegelt. Auf der ersten Seite des Meierbriefes in der Mitte, wo handschriftlich die jährlichen (!) Abgaben und Dienste, die der Meier leisten musste, aufgeführt sind, heißt es u.a., dieser müsse „für die „HH [= Herren] Inspectoren“ (jährlich) 1 Hofdienst leisten, d. h. 1 Tag lang mit seinen Gerätschaften und Pferden arbeiten, und einen weiteren Hofdienst für den „buchhaltenden Vorsteher“, woraus hervorgeht, dass (vermutlich in jährlichem Wechsel) einer der drei Vorsteher für die Buchhaltung zuständig war. Diese Hofdienste für die Inspektoren und den buchhaltenden Vorsteher waren, wie ebendort zu lesen ist, zusätzlich zu dem zu leisten, was der Meier dem sog. St.-Johannes-Kloster als solchem in jedem Jahr schuldig war, nämlich „Sechs scheffel reinen Rocken [d. i. Roggen] nebst leistung des gewöhnlichen Hoffdienstes […] wan es angemeldet wirdt“. Der Zusatz „wan es angemeldet wirdt“ scheint zu bedeuten, dass die Zahl dieser Hofdiensttage als nicht genau festgelegt zu gelten hatte (der Fachausdruck dafür ist „ungemessene Dienste“).
Was uns der Meierbrief noch offenbart
Bei dem Hof des Brün Döhle handelt es sich um das ja noch gar nicht so lange verschwundene Anwesen Rockwinkeler Heerstraße 72 (Wischhusen). Zu diesem Hof gehörte nicht nur das Land, welches der bäuerliche Hofbesitzer vom sog. St.-Johannis-Kloster zur Leihe hatte und welches damit den Gegenstand des Meierbriefes vom 24. November 1760 bildet (dieses Land lag übrigens nicht in Rockwinkel, sondern in der Gemarkung Ellen, heute ein Teil von Bremen-Osterholz), sondern es gehörten dazu noch weitere Ländereien, mit denen er bemeiert war, und zwar teils an die Oberneulander Kirche, teils an den Oberneulander Pastor (Pastor und Kirche sind nicht als identisch zu betrachten!), teils an die Witwe eines Dr. Dwerhagen (nicht mit dem gleichnamigen Inspektor des sog. Johannis-Klosters zu verwechseln; Stand: 1750), teils auch an den Bremer Bürgermeister Diedrich Meier (ebenfalls Stand: 1750).
Diese anderen Ländereien waren nicht nur in ihrer Gesamtheit, sondern zum Teil auch als einzelne von weit größerer Bedeutung für Brün Döhle als das Ackerland in Ellen, mit dem er an das sog. Johannis-Kloster gebunden war. Brün Döhle hatte also fünf Grundherren, von denen die „St.- Johannis-Kloster“ genannte stadtbremische Institution nur einer war. Das kommt in dem Meierbrief gleich am Anfang zum Ausdruck, wo es heißt: „DEMNACH Brün Döhle Zum Rockwinkel mit Consens seiner H. GutsHerr[e]n, weg[en] alters, seine stelle an seinen Sohn Harje Döhle übergeben und dadurch die dem St. Johannis Kloster gehörige Meyer länderey so er gehabt erlediget worden […]“.
Brün Döhle hat demnach seine Meierstelle aus Altersgründen seinem Sohn Harje mit dem Einverständnis (Consens) seiner – d. h. aller seiner – Grundherren übergeben. Das war auch nötig, denn alle fünf Grundherren Brün Döhles hatten das Recht, ihre Zustimmung zu der Hofesübergabe zu verweigern.
Darüber hinaus öffnet dieser Meierbrief eine Tür zu einem Stück Oberneulander Geschichte. Was Dr. Meyer zur Familie von Brün und Harjes Döhle zu berichten weiß und welche Bedeutung der Meierbrief sowohl für Harjes Döhle als auch für des St-Johannis-Kloster hatte folgt im kommenden Oberneuland Magazin.
Text: Eberhard Matzke