Aus Bremens Impf-Ampullen entstehen kreative Zeitzeugnisse

Oberneulander Ampullen-Kunst

Schon immer haben Künstler auch das aktuelle Zeitgeschehen in ihren Werken wiedergegeben. Oft als Reflexion auf den Ist-Zustand oder zur Dokumentation von Veränderungen, aber auch als Aufarbeitung von Krisen. Die Pandemie und speziell die Impfungen gegen das Corona-Virus haben die Oberneulander Künstlerin und Apothekerin Ellen Schlichting nun dazu bewogen, die aktuelle Situation auf künstlerische Weise aufzuarbeiten und zu dokumentieren.

Geboren und aufgewachsen ist Ellen Schlichting in Monschau, einem malerischen Städtchen an der belgischen Grenze. Im nahe gelegenen Bonn studierte sie Pharmazie und absolvierte später in ihrer Heimatstadt eine Ausbildung bei dem Künstler J. Hanczak.
Es folgten weitere künstlerische Exkurse in Orlando/USA, an der Crealdé School of Art, sowie am Kunstquartier in Nürnberg. Vor 28 Jahren zog es die Künstlerin und Apothekerin samt Familie nach Bremen, wo sie an der Hochschule Bremen bei Prof. J. Funke und Prof. W. Wrisch studierte. Seitdem lebt die Familie Schlichting in Oberneuland.
Für Ellen Schlichting schließen sich Pharmazie und Kunst nicht aus, und so ist sie neben ihrer Tätigkeit in verschiedenen Apotheken auch als Künstlerin sehr erfolgreich. In zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland waren in den letzten 20 Jahren vor allem ihre Öl- und Aquarellmalereien sowie Werke in Drucktechniken zu sehen.
Seit März letzten Jahres ist die zweifache Mutter nun auch im Impfzentrum und den Impfstellen der Stadt tätig, wo sie für die Rekonstitution zuständig ist.
Zu einer vollkommen neuen Art ihrer Kunst inspiriert wurde Ellen Schlichting durch die Tätigkeit beim Aufbereiten der Spritzen in Halle 7 und insbesondere durch den „roten Salon“– so genannt wegen seiner rot gestrichenen Wand – einem Raum, in dem die Kühlschränke mit den Impfampullen standen. Hier lagerten aber auch die bereits leeren Ampullen, fein säuberlich sortiert nach Herstellern, fertig für den Abtransport und die Entsorgung. „Anfangs waren es hunderte am Tag,
später weitaus mehr“, erinnert sich Ellen Schlichting. „Durch meine Tätigkeit im Impfzentrum habe ich eine veränderte Sichtweise, vor allem auf die Mengen an Impfstoff erhalten. Da kam mir die Idee, aus den leeren Ampullen Kunst entstehen zu lassen.“
Von der Idee bis zur Verwirklichung sollten allerdings einige Monate vergehen, denn eigentlich dürfen die leeren Ampullen nicht in Umlauf geraten, wegen der Chargennummern und weil sich noch Reste des Impfstoffs in den Glasfläschchen befinden könnten. Zudem werden am Ende des Tages alle verbrauchten Fläschchen gezählt, ihre Anzahl dokumentiert und mit der täglichen Zahl der Impfungen abgeglichen. Deshalb benötigte die Künstlerin eine Freigabe der Gesundheitsbehörde. Große Unterstützung erhielt Ellen Schlichting durch Astrid Herting, der leitenden Apothekerin im Impfzentrum, sowie von Ihrem Arbeitgeber, der Johanniter-Unfall-Hilfe. Astrid Herting war es dann auch, die den Kontakt zur Bremer Senatorin für Gesundheit, Verbraucherschutz und Frauen, Claudia Bernhard, und im Weiteren zum Bundesministerium für Gesundheit in Berlin aufnahm. Im Oktober 2021 kam dann von offizieller Stelle das o. k. für die Verwendung der Ampullen.

Hunderte der leeren Ampullen lagern nun im Oberneulander Atelier der Künstlerin

Noch vor dem Transport aus dem Impfzentrum mussten allerdings aus jedem einzelnen Fläschchen die Reste mit einer Spritze abgezogen werden, beim BioNTech-Impfstoff unter Zuhilfenahme von Kochsalzlösung. „Meine Objektkästen setzen sich aus den leeren Ampullen, leeren Kochsalzfläschchen, Kanülen und Einmalspritzen zusammen, die natürlich unbenutzt sind. Der Hintergrund ist entweder transparent oder mit einem entsprechenden Foto gestaltet“, so Ellen Schlichting. Bei der Anordnung in den Objektkästen werden die Ampullen der unterschiedlichen Hersteller nicht vermischt. Lilafarbene Deckel gehören zu BioNTech, rote zu Moderna und AstraZeneca, blau zu Johnson & Johnson – orangefarbene Deckel zum Kinder-Impfstoff von BioNTech. Jeder Objektkasten ist ein Unikat.
Senatorin Claudia Bernhard hat bereits einen der Kästen erhalten, auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte und der Regionalvorstand der Johanniter, Andreas Setzer, sind ebenfalls Besitzer der zeitgenössischen Kunst. Neu fertiggestellte Kästen warten bereits auf weitere Kunstliebhaber. Die Ampullen-Kunst aus Oberneuland ist mittlerweile bekannt und nach und nach kommen immer mehr Anfragen, nicht nur aus Bremen.
Auch wenn manche Menschen diese Zeit so schnell wie möglich vergessen wollen – für die Künstlerin und Apothekerin ist es wichtig, ihre Ampullen-Kunst als Zeitdokument zu verstehen. „Meine Kunst dient nicht zuletzt auch zur Dokumentation einer Mammutleistung vieler. In fünf Jahren zum Beispiel, wenn unser Leben hoffentlich wieder in den üblichen Bahnen verläuft – werden wir uns dann noch an diese Zeit erinnern? Ich finde es wichtig, dass nicht vergessen wird, was ab Anfang 2020 unser Leben bestimmt und verändert hat“, sagt Ellen Schlichting.
Die kreative Apothekerin hat aber noch eine ganz andere Idee! In einer raumhohen, von innen beleuchteten Installation aus Acrylglasboxen soll vor allem die unglaubliche Menge an Ampullen und dem entsprechenden Zubehör verdeutlicht werden. „Eigentlich war das meine ursprüngliche Idee, die aber wesentlich schwieriger zu realisieren ist als die der 20 mal 20 großen Objektkästen. Zudem ist eine solche Installation mit enormen Kosten für das Material verbunden. Meiner Vorstellung nach könnte das Objekt als visuelle Erinnerung an diese Zeit, zum Beispiel in einem Bremer Museum, wie dem Focke-Museum, in einer Behörde, im Universum oder auch in einem Krankenhaus einen adäquaten Platz finden“, so Ellen Schlichting.
Ampullen-Kunst als Zeitdokument – zum Beispiel mit einer Schätzfrage für die Nachwelt verbunden: Wie viele Ampullen wurden über mehrere Jahre in Bremen, Deutschland, Europa oder weltweit für die Impfungen benötigt? Dafür wünscht sie sich Sponsoren, die ebenfalls ein Interesse daran haben, dass die Zeit der Pandemie auf kreative Art und Weise für die Nachwelt dokumentiert wird.
Ein Modell des Entwurfs steht bereits in Ellen Schlichtings Oberneulander Atelier.
Anfragen und weitere Informationen unter: ampullenkunst@gmail.com und auf facebook bzw. instergram, Stichwort: AmpullenKunst.

Text: Meike Müller, Foto: Meike Müller