„Dunkle Kleidung vermeiden!”
Tipps von Expertin Verena Nölle zum richtigen Verhalten im winterlichen Straßenverkehr
Dunkelheit, Regen und Schnee machen jetzt die Sicht im Straßenverkehr schwieriger. Die Straßen sind glatt und rutschig. Gerade für Kinder ist die kalte Jahreszeit risikoreich. Denn sie haben noch wenig Erfahrung und ein geringeres
Reaktionsvermögen. Bei Dunkelheit fällt es Kindern schwerer, Geschwindigkeiten einzuschätzen. Ihre Wahrnehmungsfähigkeiten sind noch eingeschränkt. Kinder im Vorschulalter sehen beispielsweise nur tunnelartig.
Das Oberneuland Magazin hat mit der Borgfelder Expertin Verena Nölle darüber gesprochen, wie sich Kinder und Jugendliche sicher im Straßenverkehr bewegen. Verena Nölle koordiniert die Verkehrserziehung an Bremer Grundschulen und ist Gründerin des deutschlandweiten Schulexpresses.
Frau Nölle, wie können wir unseren Kindern bewusst machen, dass wir in der dunklen Jahreszeit besonders achtsam sein müssen?
Verena Nölle: Achtsames Verhalten im Verkehr ist zu jeder Jahreszeit wichtig – nicht nur in der dunklen. Die Verkehrsregeln müssen immer beachtet werden. Jede Jahreszeit ist besonders.
In der dunklen Jahreszeit muss ich mich richtig anziehen – und zwar so, dass ich gesehen werde. Ich sollte keine schwarze Hose, keine schwarze Jacke tragen, sondern eine helle Hose und eine helle Jacke. Mit dunkler Kleidung sind Kinder schon nach 25 Metern für Autofahrer nicht mehr sichtbar. Mit heller Kleidung sind sie bis 40 Meter sichtbar, bei reflektierender Kleidung sogar 150 Meter.
Eltern sollten deshalb bei Kleidung, Schuhen und Schulranzen ihrer Kinder auf Reflektoren oder zusätzlich auf Blinkies – reflektierende Anhänger – achten. Im Handel gibt es eine große Auswahl. In Bremen werden außerdem in der ersten Woche nach den Herbstferien an alle Schulanfänger Sicherheitswesten verteilt. Diese Wes-ten sind besonders praktisch. Man muss sie nur überziehen. Das Leuchtmaterial ist aufgedruckt.
Wirkungsvoll sind auch LED-Lichter mit hellen Leuchtdioden: LED-Fußclips und LED-Reflektorbänder mit Klettverschlüssen kann man an Armen und Beinen tragen.
Festes Schuhwerk mit Profil und rutschfester Sohle ist in der kalten Jahreszeit für Kinder ein Muss. Es gibt nicht nur beim Gehen Halt, sondern auch beim Ein- und Aussteigen in Bus und Bahn und auf Treppen.
Im Herbst und im Winter geht es um Sehen und gesehen werden. Ich muss wissen, dass ich mit dunkler Kleidung schlechter und mit heller Kleidung besser gesehen werde.
Die Landesverkehrswacht Bremen hat zur Visualisierung dieses wichtigen Themas im September einen sogenannten Lichttunnel angeschafft. Die Entfernung lässt sich besser begreifen, wenn die Kinder sie sehen, als wenn sie nur die Zahl 40 oder 150 Meter hören. Ein Großteil aller Unfälle mit Fußgängern, die bei Nacht, Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen stattgefunden haben, wäre durch das Tragen reflektierender Kleidung vermeidbar gewesen. Das Modell des Lichttunnels macht spielerisch nachhaltig deutlich, wie stark unterschiedliche Kleidung das rechtzeitige Erkennen von Verkehrsteilnehmern beeinflusst – und rettet damit Leben. An diesem Gerät können Kinder spielerisch die Wirkung von Entfernung, Beleuchtung und Bekleidung lernen. Also, liebe Eltern: Denken Sie daran, Ihre Kinder für den Schulweg und sämtliche Aktivitäten im Freien mit gut reflektierender Kleidung auszustatten. Der Lichttunnel kann auf Anfrage bei der Landesverkehrswacht Bremen unter schule@landesverkehrswacht-bremen.de von Schulen ausgeliehen werden.
Was können Eltern mit Grundschulkindern in der dunklen Jahreszeit üben?
Verena Nölle: Den Schulweg und alle anderen wichtigen Wege. Den Weg zum Flöten, den Weg zum Sport. Das gilt natürlich auch wieder für alle Jahreszeiten. Vorausschauendes Verhalten ist wichtig. Kinder sollten Straßen möglichst nur an einer gut beleuchteten Stelle überqueren. Parkende Fahrzeuge können dabei die Sicht und die Sichtbarkeit behindern – darauf sollten Eltern hinweisen. Kritische Stellen im Verkehr sollten besprochen werden. Eventuell kann eine Alter-nativroute geplant werden. Generell gilt: Nicht immer ist der kürzeste Weg auch der sicherste Weg. Vielmehr sollten auf dem Schulweg möglichst wenige Straßen überquert werden. Ich empfehle außerdem ausreichend Zeit für den Schulweg einzuplanen und lieber etwas früher zu starten. Falls man nicht ganz so schnell gehen kann wie sonst, weil es beispielsweise glatt ist, kommt man so immer noch ohne Hektik in der Schule an.
Wie bereiten die Grundschulen die Kinder auf richtiges Verhalten im Straßenverkehr in der dunklen Jahreszeit vor?
Verena Nölle: Verkehrserziehung steht in der Grundschule für jeden Jahrgang auf dem Lehrplan. In der ersten Klasse geht es um den eigenen Schulweg. In der zweiten Klasse ums Rollerfahren, ab der dritten Klasse ums Fahrradfahren. Für die vierten Klassen heißt das Thema „Der tote Winkel“. Geht es um Sicherheit in der dunklen Jahreszeit, kann man die Klassen anregen, ein Zimmer dunkel zu machen und beispielsweise auf einer Wäscheleine dunkle und helle Kleidung und auch Leuchtwesten aufzuhängen, um dann zu schauen, was passiert, wenn man die Kleidungsstücke anstrahlt.
Wie kommen größere Kinder sicher auf dem Fahrrad zur Schule?
Verena Nölle: Bei der Kleidung gilt das Gleiche für Fußgänger und Fahrradfahrer. Mit heller Kleidung und vor allem mit reflektierender Kleidung wird man besser gesehen. Die Kinder sollten nicht alleine fahren, sondern in der Gruppe. So sind sie viel besser sichtbar. Die Bremsen müssen überprüft werden, die Lichter müssen funktionieren und dürfen nicht verdeckt oder verschmutzt sein. Die Fahrräder müssen einfach verkehrssicher sein. Das heißt, sie müssen neben einem funktionierenden Vorder- und Rücklicht mit entsprechenden Reflektoren auch die benötigten Reflektoren in den Speichen haben. Radfahrer sollten mit rutschigen Böden durch nasses Laub oder erstes Glatteis rechnen.
Radfahrer müssen sich genau wie Autofahrer an die Verkehrsregeln halten. Und dazu gehört beispielsweise auch, den Radweg immer in die richtige Richtung zu benutzen. Machen Radfahrer das nicht, machen sie es Autofahrern schwer.
Helme gelten bei älteren Kindern oft als uncool. Wie überzeuge ich mein Teenager-Kind, trotzdem einen zu tragen?
Verena Nölle: Wir Erwachsene sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn ich im Rahmen der Arbeitsgruppe „aber sicher!“
Helme an Schulen verteile, sage ich immer „Schützt euren Kopf. Denn die anderen können auch Fehler machen. Wenn ich dann nicht schnell genug reagieren kann, kommt es zu Unfällen.“ Außerdem trägt beim Skifahren auch jeder einen Helm.
Ist es sinnvoll, Kinder übers Smartphone zu kontrollieren?
Verena Nölle (lacht): Da fragen Sie die Falsche. Wir Eltern sollten vertrauen. Kinder sollten sowieso in der Gruppe zur Schule fahren. So müssen wir Eltern auch keine Angst haben, dass das Kind nicht ankommt. Die Grundschule würde sich außerdem melden, wenn ein Kind nicht ankommt. Wer möchte, lässt sich von seinem Kind eine kurze Nachricht schreiben, dass es gut in der Schule angekommen ist.
Wechseln wir einmal die Seite. Wie ist Ihr Appell an Autofahrer während der Herbst- und Wintermonate?
Verena Nölle: Runter mit der Geschwindigkeit vor Schulen! Kommen Kinder nach acht Stunden aus der Schule, sind sie fix und fertig. Dann kann ich als Autofahrer nicht erwarten, dass sie noch so konzentriert sind wie um 8 Uhr morgens.
Das Interview führte: Claudia Kuzaj, Foto: Karsten Klama