Entschieden unentschieden
HAMMELSPRÜNGE IM Mai
Ehrlich. Ich bin nicht sicher, wie ich diesmal anfangen soll. Vielleicht so: Meine liebe Frau sagt: „Du bist oft ein richtiger Entscheidungsneurotiker.“
Also einerseits trifft es oft nicht ganz, besser wäre vermutlich hin und wieder oder manchmal. Andererseits ist oft möglicherweise doch passend.
Das Wort richtiger in der wörtlichen Rede meiner Frau kann man eigentlich auch streichen – ist überflüssig, genauso überflüssig wie in diesem Satz – weiter vorne – das Wort eigentlich. Und innerhalb weniger Zeilen das Wort überflüssig zweimal zu schreiben, Tschuldigung, dreimal, das gefällt mir stilistisch auch nicht. Oder waren die gewählten Sätze doch angemessen?
Meine liebe Frau liegt richtig. Ich kann mich … tja, wie sage ich es jetzt?
Ich kann mich manchmal nicht entscheiden? Oder: Ich bin hin und wieder unschlüssig. Oder: Ich wäge oft ab. Oder ist das abwegig?
Tatsache ist, dass ich, wenn ich mich mal nicht entscheiden kann, ich mich entscheide, die Entscheidung (unabsichtlich) zu verlagern. Ein Beispiel: Wir wollen essen gehen, meine Frau fragt mich, weil wir die Karten der Restaurants gut kennen: „Was wirst Du essen?“ Ich bin komplett überfordert. Etwa sieben Gerichte kommen mir in den Sinn, sieben pro Restaurant, macht bei vier Gaststätten bereits 28 Mahlzeitmöglichkeiten. In meinem Hirn geht schon jetzt alles durcheinander. Derweil stehe ich vor der Garderobe und kann mich nicht entscheiden, ob ich den schwarzen Cordmantel, den weißen Anorak oder die gelbe Lederjacke anziehe.
Nicht ohne Stolz sage ich: „Die gelbe Jacke.“ Zugegeben, das ist eine seltsame Antwort auf die Frage, was ich essen werde.
Regina kennt mich gut und fragt als Nächstes: „Und, fahren wir mit dem Rad oder mit dem Auto?“ Das bringt mich wieder in die Spur: „Mit dem Auto.“ Das war einfach, denn wir haben gar keine Räder. Ihre nächste Frage lautet: „Zum Italiener, zum Griechen oder zum Deutschen?“ Das ist relativ einfach. Das letzte Mal waren wir beim Griechen, das vorletzte Mal beim Italiener, also wäre heute zünftige deutsche Küche dran. Oder?
Ich entgegne: „Wir könnten zum Deutschen gehen …“ Der Satz ist noch nicht zu Ende. Ich schrieb ja relativ einfach. Allein die Tatsache, dass es keine Wahlmöglichkeit gibt, lässt Teile meines Hirns rattern. Und so ergänze ich: „Oder zum Chinesen.“ Meine liebe Frau versucht es mit einer ironischen Bemerkung, bemerkt aber schon bevor sie den Satz „Wir waren auch schon lange nicht mehr mexikanisch essen“ beendet hat, dass dies zu äußern ein Fehler war. Meine Augen leuchten: „Mexikanisch.“
Regina versteht es, das gleiche Wort zu benutzen, es mit einem Fragezeichen zu versehen, um mit diesem „Mexikanisch?!“ freundlich Folgendes auszudrücken: Du verträgst weder die Schärfe noch die Panade, weder das Bier noch den Tequila, ganz zu schweigen von den Teigtaschen, mehrere Deiner inneren Organe gehen schon jetzt auf Abwehrhaltung. Sei ehrlich.
Ich versuche es noch einmal mit einem Dackelblick, schaffe aber nur einen Dobermanngesichtsausdruck.
Mit einer Art Kompromiss gelingt es Regina, mich quasi Richtung deutsche Küche zu schubsen: „Nächstes Mal gehen wir zum Chinesen und nach Deinem nächsten Hausarztbesuch gehen wir zum Mexikaner.“ Es führt zu weit, hier zu erläutern, was da wie zusammenhängt.
Wir sitzen im Restaurant. Meine Frau hat sich schon vorher für den Gemüseauflauf entschieden. Ich habe mich zumindest entschieden, keinen Gemüseauflauf zu bestellen.
Hier gibt es sooooo viele Leckereien, dass ich nicht weiß, was ich essen soll. Gerne würde ich den Chefkoch bitten, mir von fünf verschiedenen Gerichten kleine Portionen zuzubereiten, um sie in sieben Gängen zu servieren … ja, die zwei schmackhaftesten Köstlichkeiten müssten selbstverständlich zweimal gebracht werden. Das wäre grandios.
In meinem Kopf passiert Folgendes: „Das Schnitzel ist immer super … mit Sauce Hollandaise und Kroketten … oder die Schlemmerpfanne – ein Gedicht … aber danach werde ich schnell müde, ist also eine Schlummerpfanne, die Schlemmerpfanne … warum nicht den Kinderteller nehmen? Nuggets, Pommes, Ketchup, ist auch mal lecker … oder die Roulade, nee, jetzt hab ich’s: Labskaus. Das geht immer. Was hatte ich denn letztes Mal hier? Schnitzel.
Okay, dann dieses Mal kein Schnitzel … andererseits, warum soll das ein Ausschlusskriterium sein? Bei jedem Restaurantbesuch müssen alle infrage kommenden Gerichte wieder gleichberechtigt eine Chance haben … Schlemmerpfanne … nee, Roulade … oder … Was haben die denn noch auf der Karte?
Kein Fisch, so viel ist klar. Das habe ich jetzt ausdrücklich entschieden, man könnte auch sagen entschieden entschieden.
Meine Frau holt mich wieder ins Diesseits, indem sie mich daran erinnert, dass schon mehrere Restaurantangestellte mehrere Male mehrere Augen auf uns gerichtet haben, um mimisch zu verstehen zu geben, dass sie bereit sind, unsere Bestellung aufzunehmen.
Regina gibt ihre Bestellung auf: „Ich nehme eine große Flasche stilles Wasser, ein Glas Primitivo und den Gemüseauflauf.“ Dann guckt meine liebe Frau mich an und erinnert mich an eine andere Macke von mir: „Und was möchtest Du? Bestimmt wieder eine Extrawurst.“
Es stimmt, ich bestelle gerne ein Gericht mit der Beilage eines anderen Gerichts.
Das ist aber nicht so ungewöhnlich in Deutschland. Es gibt sogar einen Fachterminus dafür und der kommt aus dem Griechischen: PSR (Pommes-statt-Reis).
Aber heute zeige ich, dass ich a) mich auch relativ schnell entscheiden kann und b) es auch ohne Sonderwünsche geht und bestelle: „Einmal Nürnberger Würste.“
Die freundliche Bedienung bedankt sich bei mir, ich bedanke mich bei ihr, und ich ergänze: „Und ein Pils im Weizenglas.“