Erdseher & Fernbeeren

Erdbeeren erinnern mich immer an Fernsehen, nicht direkt, sondern sehr indirekt. Also bei Erdbeeren fällt mir immer Sahne ein. Was gibt es Schöneres als eine Portion Erdbeeren mit Schlagsahne? Na, zwei Portionen. Ist doch klar. Sahne erinnert mich jedes Mal an Tortenschlachten im Fernsehen, aber ich finde sie immer noch süß anzusehen. Obwohl:
Eigentlich sollte man keine Torten schlachten. Das ist nicht political correctness, kurz pc, was mich automatisch an PCs erinnert, Personal Computer. Die katapultieren mich ohne Umwege in die Zeit der ersten Computer und in die Zeit der Katapulte. Und jetzt wirds verrückt, denn bei Katapulte bin ich im Hirn sofort bei meiner Tochter, Katharina. Sie war aus meiner Sicht weltweit die Erste, die den Spitznamen Katha bekam. Alle anderen Kathas kamen später. Was unsere Kleine mit so einer Wurfschleuder zu tun hat? Wenig. Aber es ist kopfintern nur ein Miniatursprung vom Gedanken an Katapulte zu unserer Tochter, die als Kind mit meiner lieben Frau Krabben pulte … Sie verstehen: Katha pulte Krabben.
Krabben schleudern mich unweigerlich in die Gegenwart, denn eines meiner Lieblingsspeisen sind frisch gepulte Krabben. Was gibt es Schöneres als eine Portion Krabben mit Rührei? Na, zwei Portionen. Ist doch klar. Durch gerührtes Ei komme ich zwangsläufig auf James Bond: gerührt, nicht geschüttelt. Schon bin ich bei Martini, was in meinen Augen klingt wie die Mehrzahl von Martin. Jeder Martin, also alle Martini, erinnern mich an ein Pärchen, mit dem wir mal befreundet waren: Martin und Martina. Raten Sie mal, wie die beiden ihre drei Kinder genannt haben. Genau. Marion, Marina und Mariska. Und wenn die ihre Eltern gerufen haben, dann nicht, indem sie geschrien haben „MARTINA, MARTIN“, sondern sie haben nur die erste Silbe der Vornamen ihrer Eltern gerufen: „MA MA.“
MA MA wiederum bringt mich zu meiner Mutter, meiner Mama. Sie gehörte zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Genau wie ich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben war … und bin. Meine Mutter hat mir das Jonglieren mit drei Bällen beigebracht. Als ich sie das erste Mal habe jonglieren sehen, konnte ich nicht glauben, was sie da mit den bunten Kugeln Geschicktes anstellte. Es waren Bocciakugeln, mit denen ich dann tagelang geübt hatte, bis ich den
Bogen raushatte. Bei Bogen bin ich sofort bei Briefbogen. So wie andere Liebesbriefe zu Papier gebracht haben, schrieb ich meinem Sandkistenfreund Andy immer Briefe und er schickte sie zurück. Nee, das war ein Scherz.
Er beantwortete die Briefe und ich frage mich manchmal, ob es eher traurig oder aber lustig wäre, wenn wir sie uns jetzt gegenseitig vorlesen würden. Immer kriege ich den Bogen vom Briefbogen zu Pfeil und Bogen. Diese Begriffe sind bei mir verknüpft mit einem Fernsehbeitrag, den ich mal gemacht habe. Darin ging es um einen Mann, der anderen Menschen das Schießen mit Pfeil und Bogen beibrachte. Da konnte ich zwei optische Gags unterbringen, die ich bis heute liebe. Zum einen sieht man viele dicke Bäume, und erst dadurch, dass die Kamera sich zur Seite bewegt, erkennt man die Kursteilnehmer, die alle einzeln hinter einem Baum standen.
Zum anderen konnte ich einen albernen Gag im „Die nackte Kanone“-Stil einbauen. Man sieht den Protagonisten mit Pfeil und Bogen, dann die Zielscheibe, ahnt eine große Entfernung, sieht dann aber erst, dass der Mann nur wenige Dezimeter vor der Zielscheibe steht.
Ich muss immer noch lachen, wenn ich an den Dreh und den Schnitt denke. Allein bei dem Wort Schnitt muss ich ein „SSSSSH“-Laut von mir geben. Eine Schnittwunde hatte ich mir mal zugezogen, als ich an einem Umschlag, damals natürlich noch nicht selbstklebend, leckte. ZISCH. Zunge blutig. Noch mehr blutete ich nur einmal, als ich mit Restalkohol im Blut nach einer sehr großen Feier den Partykeller aufräumte und auf die abstruse Idee kam, dass man die kaputt gegangenen Weißweingläser, um genau zu sein, die grünen Füße, noch als Kerzenständer benutzen könnte, wenn man die überstehenden Glasspitzen abschlägt. Gesagt, getan, geblutet wie ein Schwein. Ich hatte in jeder Hand eines dieser unbrauchbaren Gläser und versuchte mit dem einen, die überflüssigen Spitzen des anderen Glases abzuschlagen.
Dabei haute ich mit großer Wucht den einen kaputten Glaskörper in meinen Körper, also in den Daumen. Diese Geschichte erinnert mich an einen berühmten Schriftsteller, der mal schrieb: „Aus mir fließt Blut.“ Das wiederum
erinnert mich an die Farbe Rot. Das war immer meine Lieblingsfarbe. Wieder werde ich in die tiefe Vergangenheit gezogen, geschubst, gerissen, gezerrt.
Ich wollte als Kind alles Mögliche in Rot haben, Spielzeugautos, Handtücher, Hemden, Murmeln, Käsekuchen, einfach alles. Ich liebte die Farbe Rot. Als Kind gab es natürlich nicht alles in dieser Farbe. Ich hätte mich auch über Elektrogeräte in Rot gefreut, zum Beispiel ein ferngesteuertes Auto. Dafür hatten meine Eltern aber kein Geld. Ich bekam dann ein Radio. War aber nur ein Schwarz-Weiß-Gerät. Heute würde man sagen: Das war eine Art Schachbrettmuster,
total stylish. Von unserem farblosen Radio ist es nur ein klitzekleiner Schritt bis zu unserem Schwarz-Weiß-Fernseher, der dann in den 70ern einem für damalige Verhältnisse klotzigen Farbfernseher Platz machen musste. Tolles Gerät. Der erste Film, den wir in Farbe gesehen hatten, war ein Belmondo-Film: „Die tollen Abenteuer des Monsieur L.“
Von da an war ich noch mehr Fernsehkind als vorher, na gut, Fernsehteenie.
Ich liebte Fernseher. Bis heute kaufen wir alle Jahre wieder ein neues Fernsehgerät mit vielen Funktionen, vielen Möglichkeiten, sehr viel Sound und noch mehr Zoll. Ich liebe dieses Heimkinogefühl.
Was gibt es schöneres als ein Werderspiel im Wohnzimmer?
Na, zwei Spiele. Ist doch klar.
Sie sehen: Erdbeeren erinnern mich immer an Fernsehen.

Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor