Im Meer der Schwämme

Die Naturprodukte des Bremer Traditionsunternehmens Croll & Denecke sind weltweit gefragt

Lächelnd nimmt Sara Hankiewicz den kleinen Schwamm auf ihrem Schreibtisch in ihre Hände. „Den habe ich diesen Sommer in Kroatien selbst geerntet“, erzählt sie. Sara Hankiewicz leitet zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Vater das Bremer Traditionshaus Croll & Denecke, das größte Unternehmen für Naturschwämme in Europa. 3.000 Schwämme verschickt die Familie aus
Oberneuland täglich in mehr als 50 Länder auf der ganzen Welt.

Sara Hankiewicz und ihre Schwester Nina sind mit Schwämmen groß geworden. Schon als Kinder reisten sie mit ihren Eltern während der Sommerernte oft nach Griechenland und Tunesien. Beides sind Länder, an deren Küsten die Schwämme wachsen. „Da spielten wir mit den Kindern der Lieferanten. Die Schwämme haben wir erst gesehen, als sie schon im Hafen waren“, sagt sie. Schon damals hatte sich Sara Hankiewicz gewünscht, auch einmal selbst bei der Schwammernte dabei zu sein. In diesem Sommer hat sie sich diesen Wunsch erfüllt. „Das war natürlich ein besonderes Erlebnis“, sagt die Unternehmerin.
Schwämme wachsen auf dem Grund des Meeres. Sie werden von Schwammtauchern von Hand geerntet und dabei oberhalb der Wurzel abgeschnitten. Durch das Abschneiden werden Millionen von Samen frei und der Schwamm kann wieder nachwachsen. „Das macht den Naturschwamm zu einem besonders nachhaltigen reinen Naturprodukt.“ Das Nachwachsen könne man sich ungefähr so wie bei Gras vorstellen, wobei es aber länger dauere. In neun Monaten bis fünf Jahren sind die Schwämme wieder so groß wie zuvor.
„Das hängt ganz von der Sorte ab.“
Mehr als 7.500 Arten von Naturschwämmen gibt es in allen Weltmeeren – von der Karibik bis zum Polarmeer. Einige sind nur wenige Millimeter groß, andere über drei Meter hoch. Und auch ihr Aus-sehen ist vollkommen unterschiedlich, mal ähneln sie Kissen, mal Fingern, mal Glasvasen. Für den Handel geeignet sind nur etwa zehn Arten, deren Ernte von den jeweiligen Mittelmeer-Fischereiministerien genau überwacht wird. „Die Ernte darf nur zu zwei Zeiten im Jahr stattfinden“, sagt der Oberneulander Peter Hankiewicz. Neben den Frühjahr-Sommer-Monaten, ist es auch der Oktober.
Naturschwämme entwickelten sich bereits vor ungefähr 750 Millionen Jahren. Damit gehören sie zu den ältesten Lebewesen der Erde. Auch wenn sie wie Pflanzen aus-sehen, sind sie doch einfache Meerestiere mit besonderen Fähigkeiten, wie Forscher im 19. Jahrhundert herausfanden. Sie bestehen aus feinen, wasserdurchlässigen Poren. Im Meer haben sie die Funktion eines natürlichen Filters. Sie pumpen Wasser durch ihre Körper, um sich von Plankton und anderen kleinen Nahrungspartikeln zu ernähren. „Dadurch leben sie“, erklärt Peter Hankiewicz.
Als Sara Hankiewicz nach dem kleinen, weichen Schwamm von ihrem Schreibtisch tauchte, sah er noch ganz anders aus als heute. Erst in Bremen bekam er in Handarbeit die Farbe und die Form, die er heute hat. Veredeln heißt das in der Fachsprache. Von den Bahamas, aus Griechenland, Kroatien und Tunesien bekommt das Bremer Traditionsunternehmen seine Rohware in großen Ballen, die dann noch gepresst und erdigbraun ist. Erst durch das Waschen in Bremen werden die Schwämme wieder größer und bekommen ihre gelb-goldene Farbe. Muscheln und Kalk werden herausgewaschen und die Schwämme werden mit großen Scheren in Form geschnitten. „Das ist fast wie bei uns Menschen. Jeder bekommt die Frisur, die zu ihm passt“, sagt Sara Hankiewicz lächelnd. „Jeder Schwamm ist ein Unikat“, ergänzt ihr Vater.
Was genau ist das Besondere an einem echten Badeschwamm? „Man wäscht sich mit der Natur. Es ist schon ein sehr besonderes Gefühl, einen Schwamm auf der Haut zu haben“, sagt Sara Hankiewicz. Naturschwämme sind weich, nehmen sehr viel Wasser auf und geben das auf leichten Druck wieder ab. Die Faser des Naturschwamms ist der der Seide sehr ähnlich. Es ist überliefert, dass schon in der Antike Naturschwämme zur Körperpflege verwendet wurden. Durch die einzigartige Struktur der Schwämme wird die Haut gereinigt, massiert und gepeelt zugleich. Wellness pur. Außerdem sind Naturschwämme sehr langlebig. „Mit der richtigen Pflege halten sie drei bis fünf Jahre.“
Die Bremer Schwammexperten unterscheiden in Premium-, Medium- und Silkschwämme. Premium-Schwämme sind Pferdeschwämme erster Qualität aus dem Mittelmeer, sie haben einen besonders schönen, hohen Wuchs und eine gleichmäßige Porung. Bei den Medium-Schwämmen handelt es sich entweder um Pferdeschwämme aus dem Mittelmeer oder um Wool-Schwämme aus Florida. Medium-Schwämme sind qualitativ vergleichbar mit den Premium-Schwämmen, aber weniger gleichmäßig gewachsen und haben größere Poren. Die feinporigen Silk-Schwämme, die in großen Tiefen ebenfalls im Mittelmeer wachsen, eignen sich besonders für die Baby- und Gesichtspflege.
„Jedes Land hat unterschiedliche Vor-lieben“, sagt Peter Hankiewicz. „Nach Thailand verkaufen wir besonders viele der kleinen Silkschwämme. Denn damit werden dort die Babys gebadet.“ In die Schweiz liefert das Familienunternehmen viele seiner Schwämme an Maler, die damit die speziellen Schweizer Leimfarben vor einem neuen Anstrich von den Wänden abwaschen. Auch deutsche, dänische und französische Einzelhändler gehören zu den Hauptkunden des Bremer Großhändlers. An der französischen Côte d’Azur gibt es viele kleine Seifengeschäfte. „Seifen und Schwämme passen gut zusammen“, sagt der Oberneulander.
In Deutschland verschickt das Traditionshaus seine Bade- und Kosmetikschwämme an Drogerien, Parfümerien und Unverpacktläden. In Bremen sind die Schwämme beispielsweise bei Lestra in der Horner Heerstraße, bei Böttcher 8 in der Böttcherstraße und bei Selfair (Vor dem Steintor) zu haben.
125 Jahre alt wird Croll & Denecke mit Sitz in der Vahr im kommenden Jahr, 20 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen – deren Herkunft so vielfältig und international ist wie der Kundenstamm des Hauses; sie kommen beispielsweise aus Frankreich, Tschechien und Syrien. Anno 1897 haben Gustav Croll und Theodor Denecke die Firma gegründet. Zu dieser Zeit war Croll & Denecke mit der Idee des Schwammhandels nicht allein. Damals gab es in Deutschland noch mehr als hundert solcher Spezialfirmen, die meisten davon in Bremen. In den Jahren nach der Reichsgründung genoss Bremen durch Weserkorrektion, Zollanschluss und Hafenausbau einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Stadt wurde schnell größer, sie veränderte sich gleichsam im Tempo der Industrialisierung, hinzu kam die durch Kaiser und Bismarck befeuerte Euphorie der Gründerzeit. Dieser Zeitgeist durchwirkte auch den Alltag, der Überseehandel wuchs und wuchs. Plötzlich waren Dinge wie exotische Früchte allgemein verfügbar. Güter aus Übersee – wie Kaffee, Kakao und Bananen – waren auf einmal verlässlich und regelmäßig in reichhaltig ausgestatteten Fachgeschäften zu haben.
Stolz präsentierten Bremen und die Nordwestregion die neu erworbenen Reichtümer (und die wirtschaftliche Leis-tungskraft) anno 1890 auf der „Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung“ im Bürgerpark. Die spektakulär aufgezogene Leistungsschau öffnete vom 31. Mai bis zum 15. Oktober 1890. Sie zog schätzungsweise 1,2 Millionen Besucher an. In dieser Ausstellung wurden Waren nicht einfach gezeigt, sondern im Kontext ihrer Herkunft präsentiert. Dieser Teil der Ausstellung war dermaßen erfolgreich, dass er über den 15. Oktober hinaus verlängert wurde. Aus diesem Erfolg entwickelte sich am Ende das Übersee-Museum, das vor
gut 125 Jahren – am 15. Januar 1896 – als Städtisches Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde eröffnet wurde. Die Menschen begeisterten sich für (Natur-)Produkte aus fernen Ländern – und sie berauschten sich förmlich an deren Verfügbarkeit. Der Wert der Einfuhr von Badeschwämmen aller Art in das Deutsche Reich belief sich im Jahre 1880 beispielsweise auf 7.067.000 Mark, wie denn auch in „Mercks Warenlexikon“ von 1894 nachzulesen ist.
Von den vielen Schwammfirmen sind nur wenige übrig geblieben – die einen fanden keine Nachfolger, die anderen überstanden die Kriege nicht. Von beidem blieb Croll & Denecke verschont. Dort arbeitete der Urgroßvater von Sara und Nina Hankiewicz zunächst als Prokurist, bis er die Firma übernahm. 1928 stieg auch der Großvater mit ein, 1958 dann ihr Vater, der die Firma zum größten Schwammgroßhändler in Europa machte. „Wer 1.000 Schwämme auf einmal braucht, der muss schon zu uns kommen“, heißt es heute nicht ohne Stolz auf das über Generationen Erreichte.
Seit 2008 und 2019 gehören Nina und Sara Hankiewicz zur Geschäftsleitung. Neben dem Veredeln von Naturschwämmen in Handarbeit hat die vierte Generation mit Nina und Sara Hankiewicz die Produktpalette von Croll & Denecke um mehr als 150 nachhaltige Wellness- und Haushaltsprodukte erweitert – von der Bambuszahnbürste über den Holzmassageball bis hin zur Schrubber-Bürste mit den extra harten Sisalborsten. Und – sind für das Firmenjubiläum der Schwammspezialisten im nächsten Jahr neue Produkte geplant? „Bei uns kommt alle sechs bis acht Wochen ein neues Produkt hinzu“, sagt Sara Hankiewicz lächelnd und zeigt wieder etwas von ihrem Schreibtisch: Dieses Mal ist es eine kleine Bambus-Box mit zwei wiederverwendbaren Kosmetikstäbchen aus Silikon.

Text: Claudia Kuzaj, Foto: Karolina Kolodziejczyk/Croll & Denecke