„Impfkönigin” Astrid Herting

Ohne sie gäbe es keinen Piks

Corona hat vieles verändert. Auch für Astrid Herting, die für einen Besuch kam – und für die Berufung bleibt.

Im Februar 2020 reist Astrid Herting gemeinsam mit ihren Kindern von Hongkong nach Bremen, um ihre Mutter zu deren 75. Geburtstag zu besuchen. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass sie nicht nach Hongkong zurückkehren wird. Seit eineinhalb Jahren ist die Diplom-Pharmazeutin nun wieder in ihrer alten Heimat Bremen, lebt im Haus ihrer Eltern in Oberneuland und arbeitet seit Dezember 2020 als leitende Apothekerin des Impfzentrum Bremen für die Johanniter-Unfall-Hilfe.
Astrid Herting ist in Oberneuland aufgewachsen und beruflich in die Fußstapfen ihres Großvaters und ihrer Eltern getreten, die früher eine Apotheke in der Neuen Vahr Nord betrieben. Nach der Grundschule, dem Ökumenischen Gymnasium, dem Schulzentrum Rockwinkel und dem Abitur am Gymnasium Horn folgt das Pharmazie-Studium in Kiel. Danach lebt und arbeitet Astrid Herting in Düsseldorf, im Raum Hannover, in Mannheim und später in der Pfalz. Als sie 2018 mit ihrer Familie nach Hongkong zieht, werden nur wenige Einrichtungsgegenstände und persönliche Sachen mitgenommen. Aber zu den Dingen, die nicht fehlen dürfen, gehören auch mehrere Ausgaben des Oberneuland Magazins, in denen über den Garten der Eltern berichtet wurde.
„Ich wollte einfach das Gefühl von Heimat mit nach China nehmen und dazu gehört natürlich auch mein Elternhaus in Oberneuland“, erinnert sich die 44-jährige Apothekerin.
Noch bevor China und das Virus Anfang 2020 in den Medien zum Dauerthema werden, sind es vor allem die Massenproteste und Ausschreitungen in Hongkong, die das Leben der Familie Herting verändern und nachhaltig einschränken. Polizeigewalt, Willkür und Angst vor die Tür zu gehen, bestimmen in dieser Zeit den Alltag. Die Schließung von Geschäften, Einrichtungen und Schulen führt dazu, dass auch die Kinder das Haus praktisch nicht mehr verlassen können. Hinzu kommt, dass die Nachrichten aus dem ca. 900 Kilometer entfernten Wuhan nichts Gutes verheißen.
„Den Geburtstag meiner Mutter wollte ich auf gar keinen Fall verpassen. Und durch die sich zuspitzende Lage in China war es klar, dass ich nach Hause fliegen muss. Ich wusste zu dem Zeitpunkt allerdings nicht, dass ich hierbleiben würde“, erinnert sich Astrid Herting. „Nun bin ich froh, wieder in Bremen sein zu können, eine Aufgabe gefunden zu haben, die mich ausfüllt, dass meine Kinder sich hier wohl und sicher fühlen – und ein fast normales Leben führen können.“
Ab März 2020 verändert sich allerdings auch in Bremen einiges. Gerade sind die Kinder in der Schule angemeldet, da müssen die neun Jahre alte Tochter und der elfjährige Sohn schon wieder ins Homeschooling. Das heißt für Astrid Herting, dass sich das Leben zunächst in einem überschaubaren Rahmen abspielt und vor allem die Organisation des Alltags im Vordergrund steht.
Anfang November 2020 bewirbt sie sich dann initiativ bei einigen Apotheken, meldet sich auch bei der Apothekerkammer als „arbeitssuchend“ und hinterlässt ihre Referenzen und Kontaktdaten. Kurz vor Weihnachten überschlagen sich dann die Ereignisse, als Astrid Herting einen Anruf der Apothekerkammer und das Angebot für die Leitung der „Apotheke“ im Impfzentrum Bremen erhält. Als Experte für Arzneimittel und somit auch für Impfstoffe stellt ein Apotheker seit jeher die Versorgung mit Impfstoffen sicher und wird deshalb auch im Impfzentrum dringend benötigt. Am 23.12. findet die Info-Veranstaltung statt und ab dem 27.12. nimmt das Impfzentrum seinen offiziellen Betrieb auf.
„Wir haben wirklich bei null angefangen, viel improvisieren müssen, da wir weder Geräte, Ausstattung noch Möbel hatten. Gestartet sind wir in einem Zelt, das in der Messehalle aufgestellt wurde und als Labor diente. Alles musste neu erdacht und entwickelt werden – und es musste schnell gehen – denn die erste und heiß ersehnte Lieferung des Impfstoffs sollte sofort durch die mobilen Impfteams an die Senioren-Einrichtungen in Bremen gehen.“
Zehn Monate später steht Bremen als „Impfmeister“ an erster Stelle der bundesweiten Statistik. Gut 25 Mitarbeiter der Apotheke, die hinter den Kulissen im Zweischicht-System sieben Tage die Woche unter der Leitung von Astrid Herting arbeiten, machen das möglich, was Anfang des Jahres eher bescheiden anfing. „Mittlerweile haben wir die Abläufe perfektioniert und eine gewisse Routine entwickelt. Flexibilität steht aber immer noch an erster Stelle. Denn einen strukturierten Arbeitsalltag wie in einer normalen Apotheke gibt es in der Halle 7 nicht.“ Dabei geht es in erster Linie darum, die unterschiedlichen Impfstoffe sensibel zu behandeln und für die
Impfungen vorzubereiten. Die richtige Kühlung des jeweiligen Impfstoffes, das Einhalten der Kühlkette beim Transport, das Auftauen, die Verdünnung und die Impfstoffzubereitung sowie die Auswahl und Handhabung der Spritzen und Kanülen und das Zeitmanagement sind wichtige Faktoren.
„In der Regel habe ich einen ganz normalen Acht-Stunden-Tag. An stressigen Tagen kann es aber schon mal vorkommen, dass ich erst am späten Abend nach Hause komme. Dann genieße ich es, zum Entspannen in den Abendhimmel zu schauen. Egal wo ich gelebt habe – nirgendwo war der Himmel so schön und dunkel, wie hier in Oberneuland.“
Astrid Herting und ihre Kinder sind in Oberneuland angekommen! Die Apothekerin hat eine ausfüllende und anspruchsvolle Aufgabe in ihrem Beruf gefunden.
Ihre Kinder haben in den Oberneulander Schulen und beim Sport im BHC neue Freundschaften geschlossen und die Eltern bzw. Großeltern Dr. Ernst-Georg und Ulrike Herrmann freuen sich, die kleine Familie zu unterstützen. Der Garten, über den damals schon im Oberneuland Magazin berichtet wurde, ist nun nicht mehr nur eine blühende Oase der Ruhe, sondern wird seit 2020 durch zahlreiche Spielgeräte und fröhliches Kinderlachen bereichert. „Ich glaube, meine Eltern erfahren durch unseren Einzug eine späte Blüte, so wie manche Pflanzen in ihrem Garten,“ lacht Astrid Herting. „Die Arbeit im Impfzentrum ist ein Fulltime-Job, der mich voll und ganz ausfüllt. Auch mein Arbeitgeber und das Kollegenteam der Johanniter-Unfall-Hilfe sind einfach großartig. Das alles zu realisieren, geht aber nur mit der Unterstützung meiner Eltern, die nun die Kinder von der Schule abholen, Essen vorbereiten, Vokabeln abfragen, Fahrdienste leisten und mir vieles abnehmen. Ohne sie wäre meine Arbeit nicht möglich. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar!“
Trotz vollständiger Impfung und regelmäßigen Tests vor Dienstbeginn ist Astrid Herting vorsichtig bei Unternehmungen oder Verabredungen. „Ich kann es mir nicht leisten auszufallen. Nach wie vor steht die Gesundheit an erster Stelle.“ Deshalb genießt sie jede freie Minute im Garten der Eltern, auf der Terrasse, ist gerne mit ihren Kindern in der Natur unterwegs oder treibt Sport. Zu ihren Hobbys zählen u.a. Schwimmen und Tennis.
Mit viel Bewegung an der frischen Luft, Fahrradfahren am Deich und Spaziergängen durch Oberneuland hält sich die alleinerziehende Mutter fit für ihre umfangreichen Aufgaben im Impfzentrum Bremen.

Text und Foto: Meike Müller