Keimende Reime

Okay, ich habe eine Wette verloren, eine Oberneulandwette, die ich mit meinem Oberneuland Magazin-Chef gemacht habe. Ich möchte da jetzt nicht drüber sprechen.
Hätte ich gewonnen, so wäre ich jetzt der Besitzer eines Goldbarrens, eines zugegeben sehr kleinen (ein Gramm), aber immerhin.
Leider habe ich verloren. Und jetzt muss ich meine Wettschulden einlösen und in seiner Gegenwart … in seiner überaus netten
Gegenwart … ein Frühlingsgedicht schreiben. Damit nicht genug. Mir werden von ihm zwischendurch Wörter zugeworfen, die ich dann umgehend in den poetischen Text einbauen muss … also … darf.
Noch ist mir nicht klar, wie das funktionieren soll, denn ich bin kein guter Reimemacher.
OBERNEULAND. Ah, geht schon los. Um Zeit zu gewinnen, schreibe ich erst noch ein paar Zeilen und …ähm … überflüssige Wörter, die keiner braucht, die weder von Dichte noch von Schönheit geprägt sind, die mir aber Zeit zum Nachdenken geben … sollen. Diesen Prozess beende ich jetzt, weil mein Chef mich gerade … tja, zuckersü …, nein, nett anlächelt.

Oberneuland ist auch im Frühling schön,
da möchte man gerne spazieren göhn.
Singdrosseln singen hier ungedrosselt.
Es wird nicht geboß-, sondern gebosselt.

Ja, ich dachte mit einer Mischung aus Stadtteil, Bosse, Vögeln, Frühjahr habe ich schon einiges erwähnt, was typisch ist für Oberneuland. Es gibt natürlich viel mehr. Mein Chef könnte Lieder davon … aufsagen … singen ist nicht so seine … obwohl, man sollte ihn nicht schätzen … unterschätzen. Sorry. DEKORATION.
Er könnte Lieder davon dekorieren. Nein? Man sollte ihn mit Liedern dekorieren.
Auch nicht? Ach so. Verstehe. DEKORATION. Ich soll das einbauen in weitere Verse.
REZEPTE. Das auch noch? Ouh man!
Ich meine: Ouh man ist das toll! Vielleicht sollte ich an dieser Stelle bemerken, dass sich Rezepte nicht auf Dekoration reimt.
Nein? Nein.

Früher wars in Oberneuland besser,
das stimmt nicht, mal war es nass, mal nässer.
Es heißt: Im Frühjahr war alles besser,
in den Wiesen grün und im Gewässer.
Frisch und sehr saftig ist die-Kuh-Ration,
das Füttern folgt `ner langen Tradition

DEKORATION, NICHT DIE-KUH-RATION.

Oh. Tschuldigung. Da habe ich mich wohl verhört, äh, versehen, beziehungsweise verlesen. Verstehen Sie, Chef. Wie schaffen Sie es eigentlich, ohne Worte, allein mit einem Gesichtsausdruck zu sagen: „Lenken Sie nicht ab und poetisieren Sie weiter“?
Hey, und dann sind („poetisieren“) Sie dabei sogar noch witzig.

Dekoration ist den Menschen wichtig,
in O‘neuland dekoriert man richtig.
Rezepte werden hier großgeschrieben,
der Kuchen noch mit der Hand gerieben.

Ich hoffe, es wird klar, dass ich an dieser Stelle des Gedichts Reibekuchen meine.
Das steht hier stellvertretend für Hausmannskost, für schönes Landleben, für AUSFLÜGE. Ja, meinetwegen steht es auch für Ausflüge. Reibekuchen steht für vieles, vielleicht auch für Nachwuchs, den hier noch der Storch bringt. Ach so. Das war das neue Stichwort. KÜCHEN. Schon wieder zwei Stichwörter.
Das macht es jetzt auch nicht leich …
ESSTISCHE. Drei Wörter?! In vier Zeilen? Häh?
Ich meine: Ist mir ein Vergnügen.

Häufige Ausflüge ergeben Sinn,
von Oberneuland weg oder auch hin.
Küchen kann man sich hier selber backen
oder Holz für Esstische sich hacken.

So, das sollte NEBELSCHLUSSLEUCHTE jetzt aber NACKTNASENWOMBAT langsam reichen. Das sind ja jetzt BOCKWURSTWASSERKLÄRANLAGE schon vier mal vier Zeilen. Ich finde, das geht KRÖKEL-PROG-ÜMPFE als Gedicht durch.
Was … was sind das für bekna … ich meine … begnadete neue Wörter. Toll.
Chef, ich weiß nicht, ob ich das noch alles
unterbringen kann.
Hallo? Wie, Sie haben jetzt keine Zeit mehr?

Er ist weg. Er ist wirklich weg. Ich bin wieder frei. Frei zu schreiben, was ich will.
Ich sag’s Ihnen: Dichten ist nicht mein Ding. Ich habe bei den vier Strophen nur darauf geachtet, dass es immer zehn Silben sind und sich die letzten Wörter reimen, also AABB.
Den Reimrhythmus habe ich gar nicht berücksichtigt. Ich hätte gerne Goethe dazu befragt, Martin Goethe, das war ein Nachbar von mir, oder Herrn Schiller, das war ein berühmter Dichter.
Jetzt habe ich eine Idee. Ich mache es so ähnlich wie HipHop-Musiker. Ich nehme etwas von einem anderen Künstler, ändere ein paar Passagen, und dann wird das schon schön. War’s ja im Original auch. Und ich verrate einfach gar nicht, von wem ich da … ähm … inspiriert worden bin:

Er hat’s

Frühling lässt sein graues Bunt
wieder flattern durch die Hüfte;
warme, wahrlich windige Düfte
streifen ahnungsvoll den Hund.
Vögel träumen schon,
soll Nachwuchs kommen.
Horch, von vorn kein leiser Hafenton!
Frühjahr, Du hast’s drauf.
Dich hab ich genommen!

Von Winfried Hammelmann, Oberneulander, Redakteur und Autor