Klare Formen & zeitlose Ideen
Design-Klassiker des 20. Jahrhunderts: Originale für den Wohnbereich
Originalität und Beständigkeit, Verlässlichkeit und Qualität – all dies verbinden wir mit dem Begriff „Klassiker“. Und ganz besonders mit dem Begriff „Design-Klassiker“. In den Klassikern steckt es, das Verlässliche und das (zuweilen über Jahrzehnte) Beständige. Hinzu kommt der unnachahmliche Zauber des Originals, der Zauber der konsequent umgesetzten, bisweilen richtungsweisenden Idee.
Wer im Interior-Bereich auf Design-Klassiker setzt, verzichtet auf den Effekt kurzfristig wechselnder Moden. Stattdessen geht es um Werte wie hohe Qualität, wegweisende Funktionalität und nicht zuletzt ein auch die Sinne fesselndes Design.
All diese Eigenschaften und Qualitäten können sich in großen Möbelstücken finden – und ebenso im kleinen Deko-Accessoire. Gutes Design kennt keine Grenzen. Zum Klassiker wird, was über lange Zeit und in unterschiedlichsten räumlichen Kontexten funktioniert. Entscheidende Rollen spielen dabei die Gestalter und die Unternehmen, die Design-Lösungen ermöglichen. Auch sie „machen den Status eines Originals aus“, heißt es beispielsweise beim Hersteller Artemide. Und: „Ein Design steht immer für die eigene Denk- und Handlungsweise des Designers und des verantwortlichen Herstellers. Ihre persönliche Einstellung ist somit unmittelbar mit dem Original verknüpft.“ Jahrelange Entwicklungsarbeit, verbunden mit fachlichem Know-how, geht den gestalterischen Schöpfungen in der Regel voraus.
Das OBERNEULAND MAGAZIN präsentiert beispielhaft acht klare, (wert-)beständige und zeitlos überzeugende Design-Ideen des 20. Jahrhunderts für den Wohnbereich, die zu Klassikern geworden sind.
Beistelltisch EE61 von Egon Eiermann, 1961
Der bedeutende Nachkriegs-Architekt und Designer Egon Eiermann hat nicht allein mit seinem Atelier-, Zeichen- und Schreibtisch (siehe Design-Klassiker-Beispiel 6) für Aufsehen gesorgt. Stahlskelettbauten wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin und das Abgeordneten-Hochhaus des Bundestags in Bonn – auch als „Langer Eugen“ bekannt – sind zwei seiner charakteristischen Werke.
Zudem hat er – oftmals auch in Verbindung mit Bauprojekten – Inneneinrichtungen und Möbel entworfen. Ein filigraner Designklassiker ist zum Beispiel Eiermanns graziler Couchtisch EE61 aus dem Jahr 1961. Auch hier zeigt Eiermann sich als Meister der Reduktion – drei verstrebte Stahlrohre, zwei hauchdünne Platten: Minimalismus pur, inspiriert von den Bauhaus-Grundsätzen. Auf Studienreisen in die Vereinigten Staaten in den Jahren 1950 und 1956 hatte Eiermann Walter Gropius, Marcel Breuer, Konrad Wachsmann und Ludwig Mies van der Rohe getroffen. Der von dem Bremer Hersteller Tecnolumen neu aufgelegte Couchtisch steht für ein zeitlose gestalterische Leichtigkeit.
Schreibtischleuchte Tolomeo von Michele De Lucchi, 1987
Der Architekt und Designer Michele De Lucchi hat die Schreibtischleuchte Tolomeo im Jahr 1987 – zu einer Zeit, als der Design-Kult sich gerade ausbreitete und allerorten die Postmoderne gestalterische Kontrapunkte setzte – für den Hersteller Artemide entwickelt. Mittlerweile hat sich eine ganze Leuchtenfamilie daraus entwickelt, Tolomeo gilt als Design-Ikone. Auch hier ergibt sich der Klassiker-Status aus einer unschlagbaren Kombination von Funktionalität in Verbindung mit einer Reduzierung auf die wesentlichen Elemente.
„Die Schreibtischleuchte hat sich mit der Evolution der Leuchtmittel stetig weiterentwickelt“, so der Hersteller. „Ob als Arbeitsleuchte im Büro, als Stehleuchte im Wohnzimmer oder als Nachttischleuchte neben dem Bett – Tolomeo begeistert mit ästhetischer, funktionaler und absolut zeitloser Gestaltung.“
Tolomeo gilt als Hommage an Ptolemäus, daher der Name. Der antike griechische Mathematiker, Geograph und Astronom entwickelte einen Atlas, der die zu seinen Lebzeiten bekannte Welt komplett umfasste. Er setzte die Welt buchstäblich ins Licht, ins Licht der Wissenschaft und der Erkenntnis. Designer Michele De Lucchi hatte bei der Erfindung der Schreibtischleuchte zudem noch etwas anderes im Sinn. Die Mechanik stand im Fokus, der Italiener ließ sich dabei vom Angeln leiten. Angeln? Nun, ein traditionelles Angelgerät aus Apulien lieferte dem Designer die Idee zur Konstruktion von Tolomeo. Das Gerät heißt Trabucchi, mit seiner Konstruktion aus Seilen und Stangen lieferte es gewissermaßen die Vorlage für die Leuchte.
Möbelbausystem USM Haller von Fritz Haller, 1963
In seiner zeitlosen Klarheit ist es zu einem Synonym für Ordnung im Wohn-, Büro- und Praxisbereich geworden – das modulare Möbelbausystem USM Haller. Entstanden ist das Stahlrohr-Möbelsystem im Jahr 1963 aus einer Zusammenarbeit des USM-Unternehmensinhabers Paul Schärer und des Schweizer Architekten und Designers Fritz Haller (1924 bis 2012), der ein Möbelsystem für den USM-Büropavillon in Münsingen (Schweiz) entwerfen sollte. 1969 begann dann die Serienproduktion des USM Haller Möbelbausystems. Anpassbar, erweiterbar, veränderbar: Das waren Kernpunkte von Hallers Arbeit, an denen sich der Architekt und Gestalter in seiner Arbeit wieder und wieder orientierte.
Charakteristisch für die USM-Regale ist ihr Systemcharakter, ihre gleichsam unendliche Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit ganz nach Hallers Prinzipien. Das System ist modular aufgebaut, so dass es unterschiedlichen und veränderten Anforderungen immer wieder neu angepasst werden kann. Dadurch sind die ohnehin langlebigen Möbel ausgesprochen lange nutzbar, nachhaltiger geht es kaum. Teile aus den 60er Jahren lassen sich problemlos mit heute gekauften Elementen kombinieren.
Bei der Konstruktion dreht sich bei diesem System alles um eine kleine Kugel aus Chrom, die – eben – alles verbindet und zusammenhält. Um diese Kugel herum bilden Metallrohre die Struktur eines Moduls. Metalltablare dienen als Verkleidung, an den Kugeln werden die Module verbunden, die Möbelstrukturen wachsen in alle Richtungen – ganz so, wie sie gerade gebraucht werden. Die Verkleidungselemente der USM-Haller-Regale aus Metall werden mit Pulverlack in den Farben Graphitschwarz, Reinweiß, Rubinrot, Goldgelb, Mattsilber, Lichtgrau, Stahlblau, Grün, Enzianblau, Beige, Orange, Braun, Mittelgrau und Anthrazit beschichtet.
Sofasystem Conseta von Friedrich-Wilhelm Möller, 1964
„Viele Sofas gehen mit der Zeit. Dieses geht mit der Zeitlosigkeit“, heißt es beim Hersteller COR über das Sofa Conseta. Kann man wohl sagen. Conseta steht für Sitz- und Liegekomfort, der sich anpasst und die Zeiten überdauert. Aus diesem Grund ist es zu einem modernen Klassiker geworden.
Friedrich-Wilhelm Möller (1931 bis 1996) hatte das zukunftsweisende Polstermöbelsystem Anfang der 60er Jahre entworfen. „Flexibel wie ein Baukasten und anpassungsfähig wie ein Chamäleon“, so beschreibt der Hersteller die Grundidee des Designers, sprich: die Grundidee hinter Conseta. Und weiter: „Es war und ist die perfekte Symbiose eines ganzheitlichen Systems. Im Laufe der Jahrzehnte wuchs Conseta leise, aber mächtig zum internationalen Bestseller und Designklassiker.“ Der Name übrigens geht auf das lateinische Verb consedere zurück. Es bedeutet: zusammensitzen.
Der Möbeldesigner, Tischler, Innenarchitekt und Conseta-Schöpfer Friedrich-Wilhelm Möller stellte bei seiner Arbeit den Menschen und dessen Bedürfnisse in den Mittelpunkt – daran orientierte er sich. So entstand Conseta – ein vielseitiges und anpassungsfähiges Polstermöbelsystem, das buchstäblich Menschen zusammenbringt.
Stuhl S 661 von Günter Eberle, 1954
Formholz, das ist die Spezialität des Herstellers Thonet. „Formholz ist ein ganz besonders Holz. So leicht, stabil und formbar, wie es ist, hat es die Gestalterinnen und Gestalter der Moderne zu kühnen Entwürfen beflügelt“, heißt es bei Thonet. Und: „Formholz ist ein durch und durch modernes Material, das Produkt eines industriellen Herstellungsprozesses, bei dem die natürlichen Eigenschaften verändert, ja verbessert werden.“
Zunächst wird der Baumstamm zu einem Endlos-Furnier „abgeschält“. Anschließend wird das Furnier zugeschnitten und in mehreren Lagen kreuzweise verleimt. Dadurch sind die Zuschnitte in alle Richtungen belastbar. Anschließend werden sie unter Druck und Hitze verpresst und lassen sich dabei zu zweidimensionalen Platten oder komplexen dreidimensionalen Objekten formen – ideal für elegant gekurvte und geformte Sitzmöbel, Boots- und Flugzeugrümpfe, um nur ein paar Beispiele zu nennen. „Formholz verkörpert wie verchromtes Stahlrohr oder Beton den Enthusiasmus der Moderne, den Aufbruch in eine neue Zeit“, so formuliert man es bei Thonet.
Dafür steht auch der 1954 von Günter Eberle für Thonet entworfene Stuhl S 661, der Leichtigkeit und Schwung ins Interieur einziehen ließ. Der zeitlose Stuhl mit seiner elegant gekurvten Sitzschale aus Formholz wurde anlässlich der Mailänder Designausstellung Triennale 1954 mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielt er den Preis „Die gute Industrie-form“. Dank seiner Vielseitigkeit und seines effizienten Umgangs mit Material erweist sich der S 661 heute als so zeitgemäß wie einst – und erlebte jüngst eine Neuauflage in Buche, Eiche oder Nussbaum mit einem schlanken Gestell aus Stahlrohr.
Tisch von Egon Eiermann, 1953/65
Ein Klassiker der Möbelgestaltung, ein Meisterwerk der Reduktion, das perfekt austarierte Verhältnis von Materialeinsatz und Konstruktion. Hier gibt es kein Element zu viel, alle Konzentration gilt der Standfestigkeit und dem Zweck. Schlanke Stahlrohre, aussteifende Kreuzstreben, große Fläche – der Tisch von Egon Eiermann ist der zeitlos zweckmäßige Arbeits- und Ateliertisch, Schreib- und Zeichentisch.
Der originale Eiermann-Tisch, weltweit exklusiv nur von Richard Lampert erhältlich, ist ein veritabler und auch einzigartiger Möbelklassiker. Die reduzierte Konstruktion des Gestells zeigt ein perfekt ausbalanciertes Verhältnis zwischen Materialeinsatz, Stabilität und Standfestigkeit. Das Gestell ist in einer komplett zerlegbaren Version und auch als verschweißte Sonderanfertigung zu haben.
Egon Eiermann (1904 bis 1970) hatte zunächst keinen Klassiker im Sinn, sondern das Tischgestell – aus Metall mit schräg eingesetzter Verstrebung und in einem Stück verschweißt – 1953 für sein eigenes Büro entworfen. Der wegweisende Architekt und Designer erregte damit schnell Aufsehen: Seine Studenten wollten diesen Tisch ebenfalls haben, so überzeugend wirkte die Gestaltung – fortschrittlich, funktional, leicht, eben Eiermann pur.
Ein abgewandeltes Modell entstand dann Mitte der 60er Jahre an der Technischen Hochschule Karlsruhe, an der Eiermann lehrte. Bei der Abwandlung wurde das tragende Kreuz senkrecht mittig oder versetzt angeordnet und nicht mehr fest verschweißt. Der Möbelhersteller Richard Lampert bietet zu beiden Gestellen die passenden Tischplatten an. Die beschichteten Spanplatten sind ebenso wie die Gestelle in verschiedenen Farben erhältlich. Nachdem Richard Lampert im Jahr 1995 die Rechte für das Original erhielt, führte der Stuttgarter Möbelhersteller zur Unterscheidung den Begriff Eiermann 1 für das Original von 1953 und Eiermann 2 für die Version aus dem Jahr 1965 ein. Der im gleichen Design gehaltene Kinderschreibtisch Eiermann wird ebenfalls von Lampert gefertigt.
Holz-Affe von Kay Bojesen, 1951
Ein dänischer Designklassiker ist der fröhliche Affe des Designers Kay Bojesen, der für seine unverkennbaren (Holz-)Tierfiguren berühmt geworden ist. Dieser Entwurf stammt aus dem Jahr 1951. „Der Affe ist der lebende Beweis für Kay Bojesens Überzeugung, dass die Linien eines Produkts Fröhlichkeit ausstrahlen sollten“, heißt es beim Designhaus Rosendahl, zu dem die Marke Bojesen gehört. Und weiter: „Man erzählt sich, dass Kay Bojesen eine Hakenreihe für eine Kindermöbelausstellung entwerfen wollte, und die Idee des Affen war, dass die langen Arme die Haken auf Kinderhöhe hinunterbringen und die kurzen Beine Platz zum Aufhängen von Mütze und Schal lassen würden.“
Bei der Herstellung werde großer Wert auf die Verwendung von nachhaltigem Holz gelegt. „Der Affe wird aus Plantagen-Teakholz hergestellt. Das ist Teakholz, das eine nachhaltige Alternative zu Teakholz aus dem Regenwald ist. Dies gewährleistet einen verantwortungsvollen Holzeinschlag und verbesserte Lebensbedingungen für die Menschen in der Umgebung der Plantagen weltweit“, so der Hersteller weiter.
Kerzenhalter Festivo von Timo Sarpaneva, 1967
Der finnische Designer und Künstler Timo Sarpaneva (1926 bis 2006) hat den Kerzenhalter Festivo ursprünglich … nun ja, als Weinglas zum Eigengebrauch entworfen. Kein Weinglas wie jedes andere, versteht sich: Es sollte eine ganze Flasche Wein in ein einziges Glas hineinpassen. Ergebnis war ein Glasobjekt mit einer eisähnlichen Oberflächenstruktur, dessen Stiel und Kelch einzeln geblasen wurden. Als die Stiele in der Fabrik standen, entstand die Idee, sie einfach als Kerzenhalter zu nutzen – und damit war ein Klassiker geboren.
Der ausgesprochen festlich wirkende Kerzenhalter lässt das Licht auf ganz besondere Weise strahlen, indem es sich in seiner Eisstruktur wieder und wieder neu bricht. Der Hersteller Iittala bietet Festivo in verschiedenen Größen an. Ein Metalleinsatz hält die Kerzen fest an ihrem Platz. Die Serie Festivo „ist zu einem wahren Symbol finnischer Einrichtung geworden“, so der Hersteller. Der Designer Timo Sarpaneva hatte seit 1950 für die Glashütte Iittala gearbeitet.
Text: Claudia Kuzaj, Foto: Cor