Lasst Jahreszeiten und Natur in den Garten

Ende November meldete Buten und Binnen: „Bremen war im Herbst die trockenste Region Deutschlands.“ Wir wollten wissen, wie sich diese Trockenheit auf Oberneuland und Umzu auswirkt und haben uns mit Deichhauptmann Dr. Michael Schirmer am Deich getroffen.

Dr. Schirmer, kann man, jetzt im Januar, noch Folgen des trockenen Herbstes sehen?
Dr. Michael Schirmer: Auf den ersten Blick sieht man hier die Trockenheit jetzt nicht mehr. Das ist in Stadtteilen wie Arbergen und in Bremen-Nord etwas anders, diese liegen auf der sandigen Geest. Hier vor Ort sorgen Wümme und die ehemaligen Moore noch für Grundwassernachschub. Dennoch ist die Trockenheit schlimm, denn sie hat uns sozusagen überrascht. Jahrhundertelang waren wir hier im Norden bestens versorgt mit Niederschlägen. Unser Problem war eher zu viel Wasser. Wir hatten, klimatisch gesehen, paradiesische Verhältnisse. Im Sommer erreichten die Niederschlagswerte 70 bis 80 Liter pro Quadratmeter, im Winter lagen die Werte meist darunter. Das war perfekt, weil im Frühjahr und Sommer die Natur für das Wachstum wesentlich mehr Wasser als im Winter benötigt.

Dann sind diese Niederschlagswerte jetzt gesunken?
Dr. Michael Schirmer: Im Gegenteil. Wenn man die reinen Zahlen vergleicht, gibt es mehr Niederschläge im Jahr. Aber: Im Sommer fallen nur noch rund 50 bis 60 Liter pro Quadratmeter und im Winter sind es zwischen 80 und 100 Litern. Es ist ein einfaches physikalisches Phänomen, das Klimaforschern schon lange bewusst ist: Durch die höheren Temperaturen kann die Luft mehr Wasser transportieren. Auch in den hohen Alpen fällt deshalb mehr Schnee als früher. Auf lange Sicht wird unser Klima immer mediterraner: die Sommer heiß und trocken, die Winter lau und feucht.

Paradox – mehr Wasser und gleichzeitig Trockenheit?
Dr. Michael Schirmer: In den vergangenen drei Jahren konnte man das gut beobachten. Der Boden verliert durch die höheren Temperaturen an Feuchtigkeit, besonders durch Verdunstung in der Vegetationszeit. Die Phasen, in denen das für die Pflanzen erreichbare Grundwasser knapp wird, kann man immer öfter beobachten. Liegt die Temperatur tiefer, kann der Boden den Bedarf der Pflanzen besser decken. Die winterlichen Niederschläge lassen den Grundwasserspiegel zwar wieder steigen, allerdings bleibt – je nach Bodenart – ein Defizit, das im Sommer nicht mehr ausgeglichen wird.
Schon seit dem Mittelalter ist Wasser ein Thema in der Stadt. Aber ging es damals darum, mit Deichen und einem Netz aus Gräben das Land zu entwässern, kehrt sich jetzt das Blatt, und das System wird regelmäßig auch zur Zuwässerung im Grünland genutzt.

Sie müssen also das System drehen?
Dr. Michael Schirmer: Für das Grünland ja, immer öfter. Aber für die Parks der Umgebung reicht in trockenen Sommern die Grundwasserzufuhr von Wümme und Wiesen schon lange nicht mehr aus. Schon seit Jahrzehnten befördert beispielsweise das Schöpfwerk Hodenberg, in der Nähe der Milchtankstelle, Wasser aus dem Deichschlot in den gegenüberliegenden Graben. Dieser führt durch das Gut Hodenberg und mündet im zehn Kilometer langen Holler Fleet. Etwas weiter nördlich, an der Abzweigung des Ebbensieker Wegs nach Fischerhude und Hexenberg, sorgt ein Siel beim Pumpenhaus für die Versorgung von Muhles Park und Höpkens Ruh. In der Fläche aber dient dieses ausgeklügelte Netz der Gräben in erster Linie den Landwirten. Im Blockland reguliert die Nachbarschaft selbst die Wasserstände, was aber durch das pottebene Land nicht gerade einfach ist. Darin sehe ich eine der Zukunftsaufgaben: Wie wässert man optimal, werden mehr Staustufen benötigt? Dazu müssen wir das Wasserverteilsystem langfristig an den Klimawandel anpassen.

Worin sehen Sie die Schwierigkeiten?
Dr. Michael Schirmer: Die Gräben sind dank unserer ökologisch geprägten Pflege ein sehr gut funktionierendes Ökosystem mit vielen geschützten Arten. Jeder unbedachte Eingriff kann es zerstören. Da muss man bei zukünftigen Anpassungen des Wassermanagements behutsam und differenziert vorgehen.

Ökosystem ist ein gutes Stichwort: Seit ein paar Jahren versucht man auf der einen Seite die Biodiversität zu stützen, auf der anderen Seite werden durch Besiedelung Flächen versiegelt.
Dr. Michael Schirmer: Die stetige Flächenversiegelung ist tatsächlich ein großes Problem für den Wasserhaushalt. Im Blockland ist das noch nicht so offensichtlich, aber in Schwachhausen und der Innenstadt landet das Regenwasser nicht mehr in der Erde, sondern im Kanal, wird in Seehausen aufbereitet und in die Weser geleitet. Aber in Oberneuland sind die wunderbaren großen Bäume die Hauptnutzer des Regen- und des Grundwassers. Über Blätter und Geäst holen sich die Bäume nur einen Bruchteil, das meiste Wasser ziehen sie über die Wurzeln. Was entscheidenden Einfluss auf den Grundwasserstand hat. Und wenn die Grundwasserbildung durch Versiegelung weiter abnimmt, dann ist das schlecht für unsere Bäume. Ich selbst liebe große Bäume, aber deren Wasserverbrauch ist enorm, schafft richtige Beulen in der Grundwasserebene. Und entsprechend nimmt der Bewässerungsbedarf der Parks im Klimawandel dramatisch zu.

Im Sommer hört man in Oberneuland allenthalben die Wassersprenger surren – meist durch den eigenen Brunnen gespeist. Das ist dem Grundwasser ja nun auch nicht grade zuträglich.
Dr. Michael Schirmer: Stimmt. Hart gesagt ist diese Bewässerung kontraproduktiv und egozentrisch. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das Grundwasser zu schützen und zu schonen. Wir sollten uns alle mehr bemühen, im Garten Wasser zu sparen. Wer dort mehr Natur zulässt, der lernt bald, dass sich selbst ein brauner Rasen innerhalb von einer Woche Feuchtigkeit wieder erholt.
In der Forstwirtschaft hat man längst damit begonnen, Bäume zu pflanzen, die auch mit längeren Trockenperioden zurechtkommen. Gleiches sollte man bei der Pflanzenauswahl in Privatgärten beachten.
Auf den Deichen haben wir in den vergangenen Jahren damit begonnen, später und seltener zu mähen. Das hatte zum Erfolg, dass sich viel mehr Pflanzenarten ansiedeln, die Biodiversität steigt, Insekten angelockt werden und die Bienen wieder summen. Seitdem wir die erste Mahd im Juni, Juli machen, haben wir öfter Anrufe bekommen, dass es am Deich „wieder bunt wie früher“ sei.
Meine Empfehlung ist: Holt die Natur wieder in eure Gärten. Ein Wildnis-Dreieck sollte jeder gute Garten besitzen. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, die Jahreszeiten aus dem Garten auszusperren und Ressourcen zu vergeuden.

Text und Foto: Antje Scheinert