„12 Euro Mindestlohn? Finden wir gut, aber…!“

Interview mit Oberneulander Landwirt Hajo Kaemena

Herr Kaemena, wie sind Sie ins neue Jahr gestartet? Kürzlich haben Sie einen Beitrag veröffentlicht, der aufhorchen ließ.
Hajo Kaemena: Wir sind sehr gut in das Jahr 2022 gekommen, vielen Dank. Wir zeigen auf unseren Social Media-Kanälen immer gerne schöne Bilder, auf denen alles gut scheint, die Sonne lacht und wir mit uns und unserer Situation zufrieden sind. Wenn aber bedrohliche Wolken aufziehen und wir uns ernste Sorgen machen, dann wollen wir das auch nicht verschweigen.

Welche Sorgen machen Sie sich?
Mit Sorgen und Problemen haben wir immer mal wieder zu kämpfen. Das ist normal, das kennen andere auch und wenn sich eine Lösung findet, ist auch bald wieder alles gut und auch im Kopf scheint die Sonne wieder. Vor den dicken Wolken, die da jetzt aufziehen, haben aber nicht nur wir Angst, die gesamte Obst- und Gemüsebaubranche in Deutschland fürchtet um ihre Zukunft.

Was ist los?
Es geht um eine eigentlich sehr gute und wertvolle Entwicklung, die des Mindestlohnes in Deutschland. Ganz klar vorweg: Wir sind für einen angemessenen Mindestlohn und waren gerade mit Blick auf unsere Erntehelfer schon immer der Meinung, dass diese für ihre oft harte und anstrengende Arbeit noch viel mehr Lohn verdienen. Gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden!

Der Lohn wird über Verkaufspreis der Produkte bezahlt?
Hajo Kaemena: Ja, genau. Hier aber wird die Sache unfair. Wir Landwirte wissen nicht mehr weiter und die meisten Verbraucher kennen die Zusammenhänge gar nicht. Gerade im Obst- und Gemüsebau sind viele Bereiche sehr handarbeitsintensiv und können nicht oder nur schwierig mechanisiert werden. Ganz besonders trifft dies auf die Ernte zu. Die Arbeitskräfte hierzu kommen in der Regel aus Osteuropa, unsere aus Polen. Der größte Anteil des Verkaufspreises für Spargel und Erdbeeren wird schon jetzt bei uns und den anderen Anbauern verwendet, um die Lohnkosten zu begleichen. Auch in vielen anderen Bereichen steigen für uns die Kosten, seit Einführung des Mindestlohnes 2015 der Anteil der Lohnkosten allerdings ganz besonders. Überwiegend daher kommen schon jetzt die steigenden Preise für heimisches Obst und Gemüse. Den nun geplanten Mindestlohn von 12,- Euro (aktuell 9,60 Euro, ab 01.01.22: 9,82 Euro, ab 01.07.22: 10,45 Euro) finden wir grundsätzlich in Ordnung und wir persönlich wollen auch gar nicht daran rütteln. Wir werden unseren Arbeitskräften den verdienten Lohn auszahlen und hoffen, dass unsere Kunden Verständnis für die steigenden Preise haben.

Worin steckt dann genau das Problem?
Ein großes Problem sehen wir in einer für uns völlig unfairen Situation, die sich nun noch verschärfen wird. In jedem Supermarkt, Discounter, ja sogar an manchem Marktstand konkurrieren wir mit der dort viel günstiger angebotenen Ware aus Billiglohnländern. Hier wird Obst und Gemüse angeboten, welches vorher über Tausende von Kilometern klimaschädlich hierher transportiert wurde,
geerntet von Arbeitskräften, die von den hier geltenden Lohn- und Sozialstandards nur träumen können.
Zudem können in manchen Ländern die Erntehelfer froh sein, wenn sie dort nachts ein festes Dach über dem Kopf haben. Von Sanitäranlagen, Heizung, Arbeitsschutzgesetzen, medizinischer Versorgung usw. ganz zu schweigen. Die Transportkosten nach Deutschland fallen bei den großen Mengen kaum ins Gewicht, auch hier wird oft ausgebeutet, wo es nur geht. Unter diesen Umständen
ist die spottbillige Produktion von Lebensmitteln ganz einfach, SO könnten wir das auch. Wollen wir aber nicht!

Wie ist die Meinung der Kunden zu dem Thema? Was hören Sie an Ihren Ständen?
Uns fragen immer mehr Kunden, warum unsere Produkte so viel teurer sind als die bei „XY“. Wir sind ja froh, wenn sie fragen, dann können wir es wenigstens erklären. Manche werden aber auch nicht fragen und stattdessen froh sein, wenn sie ein günstiges Schnäppchen erwischt haben. Unser Mitleid gilt denen, die in fernen Ländern von sehr früh bis sehr spät ihren Rücken dafür krumm machen und abends dafür weniger Lohn bekommen, als unsere Erntehelfer in der Stunde erhalten. Dadurch, dass wir direkt an Endverbraucher verkaufen, haben wir noch Vorteile und können mit unseren Kunden kommunizieren. Trotzdem wissen wir bald nicht mehr, was wir unserem Verkaufspersonal noch für Argumente „zur Verteidigung“ mitgeben sollen. Manch einer geht auch nur am Stand vorbei, guckt nach den Preisen, schüttelt mit dem Kopf und geht weiter. Er/sie weiß es dann ja auch oft nicht besser und denkt womöglich noch: „Jetzt wollen die wohl mit Gewalt reich werden…!“ Wollen wir nicht – versprochen! Wir wollen aber auch in Zukunft noch von unserer Arbeit leben können.

Können regionale Anbieter gegen den Druck aus Billiglohnländern bestehen?
Die Mehrheit der Obst- und Gemüseanbauer vermarktet an Großmärkte und den Lebensmitteleinzelhandel. Dieser möchte die regionale Ware zwar haben, weil ja auch immer mehr Kunden danach fragen. Und gleichzeitig will er den deutschen Anbauern aber immer öfter nur den Preis be-zahlen, für den er auch die Ware aus dem Ausland bekommt. Wenn das so weitergeht, haben deutsche Anbauer bald keine Chance mehr, mit ihrer harten Arbeit Gewinn zu erwirtschaften. In der Folge geben immer mehr Betriebe auf und die Produktion wird ins Ausland verlagert.

Also bringt der Mindestlohn hier nichts?
So schön der steigende Mindestlohn auch ist – die Leute, die das Obst und Gemüse dann geerntet haben, profitieren nicht mehr davon. Die hier in Deutschland erzeugten Lebensmittel entsprechen den höchsten Anforderungen bei den Anbaubedingungen und kommen klimafreundlich auf kürzesten Wegen zu den Verbrauchern. Als preisbewusster Kunde sollte man sich gut überlegen, ob man darauf in Zukunft verzichten möchte.

Was wünschen Sie sich?
Unsere Forderung an die Entscheider in der Politik ist, dass Obst und Gemüse bzw. Lebensmittel insgesamt, die in Deutschland verkauft werden, auch zu deutschen Lohn- und Sozialstandards produziert werden müssen.
Da das womöglich wegen freier Märkte nicht umsetzbar ist, muss den Verbrauchern viel deutlicher gemacht werden, unter welchen
unmenschlichen, klimaschädlichen und Natur zerstörenden Bedingungen ein Großteil der Lebensmittel produziert wird, das uns deutsche Landwirte mal eben so mit dem tollen Angebotspreis dumm dastehen lässt. Nur dann haben wir gleiche und faire Bedingungen für alle und nur dann haben wir auch keine Angst vor einem steigenden Mindestlohn.
Und dann kommt das Essen auch in Zukunft aus der Nachbarschaft und man kann vor Ort gucken und beim Bauern fragen, was er da macht. Fragen Sie ihn gerne mal, er freut sich auf Sie – solange er noch da ist…!

Foto: Hof Kaemena