Endlich wieder Weide
Öffentlicher Weideaustrieb
Zum zweiten Mal eröffnete die Landwirtschaftskammer Bremen die Weidesaison der Bremer rinderhaltenden Betriebe mit einem öffentlichen Weideaustrieb. Der fand in diesem Jahr auf dem Biohof Schumacher am Hollerdeich in Borgfeld statt. 25 Mutterkühe und ihre Kälber durften nach der langen Winterzeit den Stall endlich verlassen und auf das Grün am Hollerdeich. Für die Kälber war es das allererste Mal, dass sie das frische grüne Gras direkt von der Wiese fressen durften.
Der öffentliche Weideaustrieb war auch in diesem Jahr wieder mehr, als nur das Tor zur Wiese zu öffnen. Denn Ziel des öffentlichen Weideaustriebs ist es, Landwirtschaft sichtbar zu machen. Auf dem Betrieb von Friedhelm Schumacher wurde nun zum zweiten Mal ein Format umgesetzt, um der Bevölkerung Einblick in die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebs zu geben und damit Wertschätzung für die regionale Lebensmittelproduktion zu erzeugen. Dass auch in diesem Jahr wieder ein Biobetrieb für die Großveranstaltung ausgewählt wurde, sei der guten Erreichbarkeit geschuldet, sagte Hilmer Garbade, Präsident des Bremischen Bauernverbandes. Geplant sei, so Garbade, den öffentlichen Weideaustrieb zur Tradition werden zu lassen. Auf Hofrundgängen über den zertifizierten Bioland-Betrieb und an Infoständen ließen sich die Besucher über Milchviehhaltung, Tierwohl, Tiergesundheit, Biodiversität, Klima- und Naturschutz aufklären.
War es im vergangenen Jahr ein Milchviehbetrieb, der seine Türen für die Öffentlichkeit öffnete, war es in diesem Jahr ein Mutterkuhbetrieb mit Fleischrindern, kombiniert mit Pensionspferdehaltung. 180 bis 200 Rinder und 35 Pferde gehören zu Schumachers Biohof am Hollerdeich, der 150 Hektar Grünland, von denen 50 Prozent im Naturschutzgebiet liegen, bewirtschaftet, berichtete der künftige Hofnachfolger Enno Schumacher. Der öffentliche Weideaustrieb musste also auf einem laufenden Betrieb bewältigt werden. Mehr als 20 Wochen standen Mutterkühe und Kälber im modernen Laufstall auf Stroheinstreu. An diesem Aprilsonntag durfte die erste Gruppe den Stall verlassen und auf die Weide. „Weil es noch zu nass ist, kommen wir auf die anderen Flächen noch nicht drauf“, sagte Friedhelm Schumacher. Bis Mitte Mai aber werden alle 200 Rinder seines Betriebs den Laufstall verlassen haben. In diesem Jahr öffneten aus Gründen der Sicherheit Enno und Friedhelm Schumacher das Tor zur großen grünen Freiheit. Mit fröhlichen Bocksprüngen zeigten Mutterkühe und Kälber ihre Freude, bis sie endlich den Kopf in das frische Gras steckten. Tägliches Füttern und Einstreuen falle in der Sommerzeit an Arbeit weg, erklärte Enno Schumacher, der in fünfter Generation den Borgfelder Hof bewirtschaftet. Dafür aber müssten acht Rindergruppen täglich auf den rund um den Hof liegenden Weiden kontrolliert werden.
Christian Kluge, Geschäftsführer des Bremer Landwirtschaftsverbands, moderierte im Rahmen der Veranstaltung eine Podiumsrunde mit Kathrin Moosdorf, Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft, Enno Schumacher, Gastgeber und Betriebsleiter des Biohof Schumacher, Dr. Tammo Peters, Fachbereichsleiter Grünland der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Rebecca Lemb, Gebietsbetreuerin der Stiftung NordWest Natur, Dr. Ina Gröngröft, Tierärztin und Vertreterin der Weidefleisch GbR sowie Marcus Wewer, Vorstand des Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), die über Aspekte der Weidehaltung im Land Bremen informierte. Kathrin Moosdorf verwies aufgrund der sich wandelnden Landwirtschaft und Ernährung durch veränderte Rahmenbedingungen auf die Bedeutung von Dialog zwischen Landwirtschaft, Politik und Naturschutz. „Wir wollen regionale Erzeuger ganz gezielt stärken“, sagte die Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft. Zur Erhaltung und Stärkung einer ökonomisch und sozial zukunftsfähigen Landwirtschaft im Land Bremen sei das Entwicklungskonzept Landwirtschaft 2035 erarbeitet worden, so Moosdorf. Von den in Bremen ansässigen mehr als 70 rinderhaltenden Betrieben erhalten 40 die Weideprämie. Als Grünlandspezialist verwies Tammo Peters auf die große Bedeutung von Grünlandflächen als CO2-Speicher mit Klimaschutz- und Biodiversitätsfunktionen sowie als Futtergrundlage zur Umwandlung in Milch und Fleisch. Es sei eine Kulturlandschaft und ein sehr diverses System mit Gräsern und Kräutern, deren Böden 30 Prozent mehr CO2 speichern können als Äcker. Rebecca Lemb machte als Gebietsbetreuerin der Stiftung NordWest Natur deutlich, dass Natur- und Klimaschutz nicht an Landesgrenzen Halt mache und betonte die Bedeutung des Weidesystems mit seinen unterschiedlichen Lebensräumen. Aus naturschutzfachlicher Sicht seien Weiden sehr wichtig. Während des Hochwassers habe man deutlich gesehen, was Grünland als Rückhaltegebiet leisten könne. „Weidehaltung bedeutet mehr Tierwohl“, so Dr. Ina Gröngröft, Tierärztin und Vertreterin der Weidefleisch GbR. Auf der Weide könnten Rinder ihren natürlichen Bedürfnissen folgen. Das schlage sich in einer hochwertigeren Milch- und Fleischproduktion nieder. Weidehaltung bedeute aber auch Arbeit und Aufmerksamkeit und erfordere viel Zeit und Fachwissen vom Landwirt. Gröngröft betonte, dass Tierwohl und Fleischproduktion miteinander funktionieren. So plant die Weidefleisch GbR eine regionale Schlachtung vorzugsweise auf den Herkunftsbetrieben, um Tieren Stress zu ersparen. „Wir wollen Tierwohl bis zum Ende betreiben.“ Auch Marcus Wewer, Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), wies auf den Nutzen der Weidehaltung für den Verbraucher hin. Er machte unmissverständlich deutlich, dass ökologischer Landbau ohne den auf tierhaltenden Betrieben erzeugten Dünger nicht funktioniere.
Neben den Informationen war das Kinderprogramm ein wich-tiger Aspekt bei der Annäherung der Stadtbevölkerung an die Landwirtschaft. Viele Eltern nutzten die Chance, ihren Jüngsten das Landleben hautnah zu präsentieren, Kühe zu streicheln und ein Glas frische Milch zu trinken.
Text und Foto: Sabine von der Decken