Die süße Zeit des Jahres

Erdbeerzeit in Oberneuland

Abhängig von der Witterung blühten Erdbeeren bei natürlichem Anbau in Oberneuland von April bis Mai, so dass mit den ersten reifen Früchten in aller Regel ab Mai zu rechnen ist. Die Erdbeerzeit geht bis Juli, manchmal sogar bis in den August. Gute Wetterbedingungen haben die süßen Früchte in diesem Jahr schon etwas früher reifen lassen.

Süß, saftig und aromatisch ist das rote Genussfrüchtchen der Erdbeere, die keine Beere, sondern aufgrund der vielen auf der Haut sitzenden Samen eine Sammelnussfrucht ist. Ihr Geschmack wird als fruchtig, karamellig mit würzigen und grünen Noten, blumig-fruchtig und waldbeerenartig beschrieben. Mit Fragaria Polka, F. Korona, F. Malwina, F. Allegro, F. Glorielle und F. Marika wachsen auf den Oberneulander Erdbeerfeldern keine Allerweltssorten, sondern Sorten, die so richtig nach Erdbeere schmecken. Denn Geschmack ist und bleibt für Hajo Kaemena das wichtigste Anbaukriterium. Denn obwohl seine Erdbeeren weniger Ertrag bringen und sehr empfindlich sind, weicht er von seiner Sortenauswahl nicht ab. Diese alten Sorten sind weich im Fleisch, dafür aber mit kräftigem und süßem Erdbeeraroma.

Absolut Freiland und Juniobst
In diesem Jahr läuft alles viel entspannter, denn die Erdbeerfelder mussten bislang nicht einmal beregnet werden. „Die Pflanzen haben sich gut entwickelt“, sagt Kaemena im April zuversichtlich. Das an einigen Stellen hochstehende Grundwasser leitete der Landwirt in den Graben ab, so dass die Flächen gut zu befahren und zu bearbeiten waren. In Oberneuland werden Erdbeeren seit mehr als 30 Jahren noch auf die althergebrachte Art im Freiland angebaut. Kein Hochtunnel und keine Substratkultur. Laut Statistischem Landesamt nahm jedoch die Anbaufläche in Deutschland im geschützten Anbau unter Folientunnel 2023 um 6 Prozent zum Vorjahr zu. Die ertragbringende Anbaufläche im Freiland schrumpfte im gleichen Maße, weil der Ertrag je Hektar im geschützten Anbau nach Angaben der Statistik beinahe doppelt so hoch ist wie im Freiland. Das ist aber keine Option für Hajo Kaemena, er lässt der Natur ihren freien Lauf. Seine Erdbeeren sind Wind und Wetter ausgesetzt und profitieren von der natürlichen Bestäubung durch Wild- und Honigbienen sowie anderen Insekten. Umweltschützer wie auch der Oberneulander Erdbeerbauer sehen Folientunnel kritisch. Es ist nicht nur die große Menge an Plastikfolie, sondern auch, dass diese Anbauflächen Tieren und anderen Pflanzenarten entzogen werden. Wasserverbrauch, Düngereinsatz, Veränderung des Mikroklimas und der Einsatz gekaufter Hummeln für die Erdbeeren stehen ebenfalls in der Kritik. „Für mich ist das ein zu großer Eingriff in die Natur“, so Kaemena. Obwohl seine Mitbewerber deutlich früher auf den Markt kommen als der Oberneulander Erdbeerbauer, will der sich nicht verbiegen. Lieber drei Wochen warten und die Erdbeeren wachsen, durch Bienen und Wildbienen bestäubt, ohne Hilfsmittel in der Natur, als ein Ungleichgewicht der Natur in Kauf zu nehmen, so sein Credo. „Ich glaube, wir fahren ganz gut damit, müssen aber viel darüber mit den Kunden diskutieren.“ Einzige Konzession, die Hajo Kaemena macht, ist die Abdeckung der empfindlichen Erdbeerblüten mit Vliesen als Schutz Nachtfrösten.

Von der Hand in den Mund
Wenn alles gut läuft, sind die ersten Erdbeeren bereits Ende Mai am Verkaufsstand. Es gibt kaum eine andere Obstsorte, die so viel über Direktvermarktung verkauft wird wie Erdbeeren. Pflückfrisch kommen die Erdbeeren ab morgens sieben Uhr zu den Verkaufsständen, denn die Oberneulander Sorten können nicht auf Vorrat gepflückt werden. „Wir pflücken die Erdbeeren an dem Tag, an dem sie verkauft werden“, berichtet Hajo Kaemena. Frischer geht es nicht. An manchen Tagen beliefert der Oberneulander Landwirt bis zu zehn Mal jeden der Verkaufsstände mit frischen Erdbeeren vom Feld.
So wie die Erdbeerpflanzen im Takt der Natur wachsen, entwickelt sich auch jede einzelne Frucht sehr unterschiedlich. Aus diesem Grund schmeckt jede Erdbeere sehr individuell und kann mal sauer, mal süß, mal groß oder klein sein. Im Sinne der Nachhaltigkeit und des von Hof Kaemena angelegten Qualitätsstandards gibt es an den Verkaufsständen täglich neben feldfrischen Erdbeeren auch „Erdbeeren von gestern“ zu einem reduzierten Preis. Denn für die Oberneulander Erdbeerbauern Bea und Hajo Kaemena sind nicht ganz makellose Früchte mit einer kleinen Stelle qualitativ nicht schlecht, sondern genauso lecker wie die anderen roten Früchtchen.
Frischer als direkt vom Feld geht es nicht. Und leckerer auch kaum. Bei Erdbeeren ist das Juniwetter entscheidend. Im Rahmen von Nachhaltigkeit und zur Einsparung von Lohnkosten gibt es Überlegungen, die Selbstpflückezeit in den kommenden Jahren mit ihren frühen und späten Sorten weiter auszudehnen. In diesem Jahr beginnt die Selbstpflücke voraussichtlich Mitte Juni und wird je nach Wetter drei bis vier Wochen dauern. Beim Pflücken darf reichlich genascht werden. Auf den Oberneulander Erdbeerfeldern kann montags bis samstags von 8 Uhr bis 19 Uhr gepflückt werden. Sonntag haben auch die Erdbeeren frei.
Hajo Kaemena empfiehlt, sich beim Saisonmelder (www.hof- kaemena.de/newsletter/) anzumelden, um aktuelle Nachrichten darüber zu erhalten, wann die ersten Erdbeeren an den Verkaufsstand kommen und über den Beginn der Selbstpflücke. „Dann ist man von Anfang an dabei“, sagt Hajo Kaemena. Mittlerweile haben sich bereits 5.000 Interessierte für den Saisonmelder angemeldet. Zwei bis drei Tage vor dem Start schickt Hajo Kaemena die Nachricht raus. Das Selberpflücken sei unglaublich beliebt, so der Landwirt. Fällt die Bekanntgabe der Feldöffnung mit gutem Wetter zusammen, werde er regelmäßig „überrannt“. Zeitgleich öffnet auch der Kinderspielplatz, auf dem es Fahrzeuge aller Art gibt. Selbstpflücken eignet sich also sehr für einen Familienausflug.
Auf www.hof-kaemena.de sind alle vier Standorte der Kaemena-Verkaufsstände und Öffnungszeiten zu finden.

Arbeit mit der Natur, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit
In der Kultur der zweijährigen Erdbeeren spritzt Kaemena so wenig wie möglich. Er lässt das Unkraut zwischen den Reihen aber nicht mehr in Handarbeit entfernen, sondern setzt auf maschinelle Unterstützung. Im Anschluss mulcht er die Pflanzenreste unter. 2023 gab es aufgrund des guten Wetters einen enormen Aufwuchs von Kamille, die die Erdbeeren vor der starken Sonneneinstrahlung schützte. Viele Erdbeerfreunde freuten sich über die duftende Heilpflanze, die eindrücklich das wenige Spritzen zeigten. Hajo Kaemena verbuchte die positive Resonanz als Erfolg für sein „Fast-Bio-Konzept“.
Etwa 50 bis 60 Prozent des Erdbeerpreises basieren auf Lohnkosten. Aufgrund der neuerlichen Lohnkostensteigerungen für das kommende Jahr sei bereits ein Preisanstieg absehbar, so Kaemena. Preisvergleiche mit spanischen Erdbeerpreisen findet der Oberneulander Landwirt von Sonderkulturen scheinheilig, da dort die in Deutschland angelegten Standards nicht gelten. „Ich versuche Top-Qualität anzubieten, daher kann ich nicht zu den Günstigsten gehören.“ Die Option, über den Weg geringerer Qualität zu günstigeren Preisen anzubieten, kommt für den Oberneulander nicht in Frage. Zwei Tage alte Erdbeeren verkauft er nicht als „frisch“, sondern deklariert sie als „Erdbeeren von gestern“. Aufgrund seiner Sortenauswahl, die weder besonders transport- noch lagerfähig sind, sondern einfach nur geschmackvoll, wird Hajo Kaemena nie zu den günstigen Produzenten gehören. Denn Hochleistungssorten sind eher was für das Auge als für den Geschmack, den typischen Erdbeergeschmack aber gibt es vom Direkterzeuger.
Vor dem Hintergrund von Wirtschaftlichkeit, gestiegener Lohn- und Betriebsmittelkosten hat Hajo Kaemena die Anbaufläche von Erdbeeren in diesem Jahr von zehn auf sieben Hektar reduziert. Wirtschaftliche Erwägungen haben auch dazu geführt, dass Bea Kaemena eine Halbtagsbeschäftigung ergriffen hat. Aus diesem Grund können Kindergarten- und Schulprojekte nicht mehr angeboten werden.
Zum ersten Mal wird in diesem Jahr der „Tag der deutschen Erdbeere“ am 24. Mai begangen. Hajo Kaemena hätte es sinniger gefunden, diesen Tag in den Erdbeermonat Juni zu legen.

Text und Foto: Sabine von der Decken