Die Schule „für Kopf, Herz & Hand“

40 Jahre ÖG

Eine Schule „für Kopf, Herz und Hand“ sollte es werden, das habe die Gründerin stets betont – so berichtete es einmal ein Lehrer, der seit 1984 dabei war. Da war die Schule gleichsam noch in ihren „Kindertagen“. Jetzt, 2021, feiert das Ökumenische Gymnasium zu Bremen – kurz: das ÖG – den 40. Jahrestag seiner Gründung.

Die Schule ist ein fester Bestandteil Oberneulands und der Bildungslandschaft geworden – mit einem Ruf, der weit über Bremens
Grenzen hinaus reicht. Gerade erst wurde das Gymnasium, das an der Oberneulander Landstraße liegt, als „Jugend-forscht-
Schule 2021“ ausgezeichnet.
Mit 93 Schülerinnen und Schülern hat das ÖG vor 40 Jahren angefangen, berichtet Schulleiterin Anke Junge-Ehmke. „Vier Schulklassen waren auf drei Jahrgänge verteilt.“ Seither ist die Schulgemeinschaft stetig gewachsen – es ging sogar recht schnell: „Im Folgejahr hatte die Schule bereits 225 Schülerinnen und Schüler, zehn Jahre später waren es rund 700“, sagt Junge-Ehmke. 700 sind es auch heute noch. Die Mädchen und Jungen werden von 70 Lehrkräften unterrichtet. Die Anmeldezahlen sind positiv, ein Platz am ÖG ist begehrt. „Der neue 5. Jahrgang ist mit 95 Kindern vierzügig“, so die Schulleiterin.
Dieser Erfolg geht auf das Engagement einer außergewöhnlichen Frau zurück: Erika Opelt-Stoevesandt (1919 bis 2013), die Gründerin des ÖG. Sie gründete die Schule in einer Zeit, in der die politischen Auseinandersetzungen um die Bildungspolitik in Bremen mit erbitterter Härte geführt wurden. Die Pädagogin war „mutig, unbequem, pragmatisch und willensstark“, so eine Lehrerin, die Ende der 80er Jahre ans ÖG gekommen war.
Schon früh sei Erika Opelt-Stoevesandt „in ihrem Leben Härte abverlangt worden“. Ihren ersten Mann verlor sie im Krieg, bevor ihr zweites Kind zur Welt gekommen war. Als alleinerziehende Mutter studierte sie in Marburg Naturwissenschaften und Theologie. Nach dem Krieg sorgte sie in Bremen für die Einrichtung eines Waisenhauses, in dem Kriegswaisen eine Zuflucht bekamen – ein frühes Beispiel für die praktische, zupackende Seite ihrer christlich-humanistischen Prägung. 1950 wurde Opelt-Stoevesandt Studienreferendarin im bremischen Schuldienst. Anfang der 60er Jahre heiratete sie ihren zweiten Mann. Sie war stellvertretende Direktorin des Gymnasiums am Leibnizplatz in der Neustadt, bevor sie im Jahr 1964 Leiterin des Gymnasiums an der Kleinen Helle wurde. Opelt-Stoevesandt öffnete und modernisierte die einstige Mädchenschule. In den 70er Jahren störte sie sich an der staatlichen Bildungspolitik, an einer zunehmenden Politisierung von Lehrern und Schule in Bremen – und zudem am fehlenden Religionsunterricht. Schon 1974 veröffentlichte die Pädagogin „Überlegungen zur Einrichtung eines ökumenischen Gymnasiums in freier Trägerschaft und zur Integration körperbehinderter Schüler“. Damit war sie auch eine Vorreiterin des Inklusionsgedankens.
Von politischen Auseinandersetzungen begleitet, kam es 1981 dann zur Gründung der Schule, die Erika Opelt-Stoevesandt vorschwebte – von ihrem christlich-humanis-tischen Menschenbild durchwirkt und geprägt von einem Miteinander der Konfessionen und Religionen: Stichwort Ökumene. Selbst einen Platz für diese Schule zu finden, war im damaligen bremischen Klima nicht einfach, wird heute erzählt.
Schließlich gelang es, diese Schule in Oberneuland zu errichten und zu eröffnen. Die Gründungsdirektorin packte überall selbst mit an, wo es nötig war. „Ihren Überzeugungen blieb sie treu, das merkte jeder, der ihr begegnete“, heißt es noch heute. Opelt-Stoevesandt war schon fast 70, als sie ihr Amt an ihre Nachfolgerin Helene Keunecke übergab. Am Schulleben nahm sie weiter Anteil. Das ÖG war ihr Lebenswerk.
Grundsätze und Überzeugungen von Erika Opelt-Stoevesandt prägen die Schule nach wie vor – sichtbar wird dies beispielsweise im sozialen Engagement, das in sämtlichen Jahrgängen ein wesentliches Element des Schullebens an der Oberneulander Landstraße ist – von der Sozialwanderung bis zum Adventsbasar, dessen Erlös die Klassen traditionell spenden. Die ökumenische Ausrichtung ist die Basis der Werte-Grundlage, die das ÖG seinen Schülern vermittelt. Es geht im Grunde darum, soziale Aufgaben auf der Basis von Toleranz und Nächstenliebe wahrzunehmen. Während eines zweiwöchigen Sozialpraktikums in Jahrgang 10 zum Beispiel werfen Schülerinnen und Schüler einen Blick in verschiedene soziale Einrichtungen und werden dort selbst tätig. Dabei geht es nicht vornehmlich um den Berufseindruck – sondern darum, die gesellschaftliche Relevanz dieser Aufgaben und Berufe zu erleben und zu erkennen. Ein weiteres Beispiel: Im Zentrum des Projekts „Generationen gemeinsam“ stehen Begegnungen und Kontakte zwischen der jungen und der älteren Generation. Alle zwei Jahre organisiert die gesamte Schule einen Spendenlauf – der Erlös fließt zu einer Hälfte an eine Organisation, die die Schüler mit auswählen. Die andere Hälfte geht an die Erika-Opelt-Stoevesandt-Stiftung, die es ermöglicht, dass Kinder aus Familien mit wenig Einkommen das ÖG besuchen können und kein Schulgeld bezahlen müssen. Zehn Prozent Stipendiaten innerhalb der ÖG-Schülerschaft, das ist das Ziel. Darunter sind seit einiger Zeit auch Flüchtlinge.
„Das Ökumenische Gymnasium ist eine Schule in freier Trägerschaft, die sich am humanistischen Bildungsideal des klassischen Gymnasiums orientiert. Als christliche Schule ökumenischer Ausprägung wird neben einer umfassenden Bildung auch auf die Vermittlung christlicher Werte geachtet“, so fasst es Schulleiterin Anke Junge-Ehmke auf die Frage nach den besonderen Merkmalen von Schulkonzept und Pädagogik zusammen.
Hinzu kommt durchgängig ein Blick auf die besonderen Fertigkeiten und Fähigkeiten eines jeden einzelnen Kindes. Dazu zählen außergewöhnliche Möglichkeiten, die diese Schule bietet: „In der Oberstufe gibt es am Ökumenischen Gymnasium keine festen, vorgeschriebenen Profile. Grundkurse und Leistungskurse können in nahezu allen Fächern belegt werden.“ Auf was ist die Schule besonders stolz? Junge-Ehmke: „Das ÖG ist stolz auf die durchgängig herausragenden Abiturergebnisse, diverse Auszeichnungen in den Fremdsprachen, in den MINT-Fächern und in vielen anderen Bereichen. Das ÖG ist im Mai von der Kultusministerkonferenz als ,Jugend-forscht-Schule 2021’ ausgezeichnet worden und erhielt damit eine bundesweite Auszeichnung, die die herausragende Arbeit der Schule würdigt.“
MINT (sprich: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ist ein weiterer besonderer Schwerpunkt an der Oberneulander Landstraße 143a. Da wird geforscht und experimentiert, da kommen Astronauten zu Besuch, da gehts wieder und wieder auf spannende Exkursionen. MINT ist im Schulalltag stets präsent; das ÖG ist zudem das einzige MINT-EC-Gymnasium in Bremen. Die bundesweit beachtete Ehrung als „Jugend-forscht-Schule“ wurde als Lohn und Ansporn zugleich aufgefasst.
„Das Ökumenische Gymnasium zu Bremen in Bremen zeichnet sich aus durch eine ganzheitliche MINT-Förderung ab Klasse 5, sowohl in der Breite als auch in der Spitze“, sagte Britta Ernst, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), bei der Preisverleihung in ihrer Laudatio. „Die Schulgemeinschaft versteht sich zurecht als MINT-Familie, deren Arbeit auf Team- und Forschergeist, wertschätzender Anerkennung und einer ausgeprägten Feedback-kultur basiert. Besondere Förderung erhalten Schülerinnen und Schüler zum Beispiel im Rahmen von MINT-Klassen in den Jahrgangsstufen 5 bis 7, durch ein breites Wahlpflichtangebot in der Mittelstufe sowie Leistungskurse in allen Naturwissenschaften und Informatik.“ Und weiter: „Schülerwettbewerbe und zahlreiche Arbeitsgemeinschaften im MINT-Bereich haben einen festen Platz im Schulprogramm.“ Sie sind fest im ÖG-Schulleben verankert. Die Schülerinnen und Schüler, die daran teilnehmen, werden von den Fachlehrkräften kontinuierlich begleitet – darin liegen Anregung, Unterstützung, Ermutigung.
Carsten Pieper, Landeswettbewerbsleiter in Bremen, zur Übergabe des Titels „Jugend-forscht-Schule”: „Das ÖG hat es in diesem Jahr einfach verdient, die Stärke seines MINT-Profils deutlich und für alle sichtbar zu machen.” Das ÖG punktete vor allem mit seinem Konzept, alle Schülerinnen und Schüler einzubeziehen. Die Bandbreite der MINT-Förderung im Breiten- und Spitzenbereich
zeigten die Schüler bei der offiziellen Übergabe der Titelträger-Plakette mit den Raumfahrern von „Mission X” aus dem Unterstufen-MINT-Profil, mit „Jugend-forscht“-Preisträgern, mit den Robotikern der Mittelstufe sowie den WM-Finalteilnehmern ÖG-Pikachu (Robo-Cup).
Und auch die ÖG-Spezialisten der „Moon Camp Challenge“ und des Dechemax-Chemie-Wettbewerbs aus dem naturwissenschaftlichen Wahlpflichtbereich waren mit von der Partie. Worin liegt die besondere Bedeutung der naturwissenschaftlichen Fächer? Die Lehrkräfte des ÖG-MINT-Teams beantworten diese Frage so: „Die Kinder als unsere zukünftige Generation sind nur mit einem grundlegenden Verständnis in den Naturwissenschaften den Herausforderungen der Zukunft gewachsen. Wir erachten es als wichtig, die Kinder in der Schule für diese Herausforderungen zu sensibilisieren und vorzubereiten.“
Grundsätze wie diese – und das damit verbundene Engagement – sind es, die Eltern (auch aus etlichen anderen Stadtteilen) dazu bewegen, ihre Kinder aufs ÖG nach Oberneuland zu schicken. Frage an die Schulleiterin: Was sind die häufigsten Gründe, sich für einen Schulbesuch am ÖG zu entscheiden? Anke Junge-Ehmke: „Die Eltern schätzen die Leistungsorientierung und die große Vielfalt der pädagogischen Angebote. Gleichzeitig ist ihnen wichtig, dass es bei Bedarf Förderangebote gibt und die Kinder ihre Interessen in
diversen Arbeitsgemeinschaften vertiefen können.“
Und was schätzen Eltern und Schüler am ÖG am meisten? „Verlässlichkeit, Leis-tungsorientierung, Werteorientierung und die Tatsache, dass keine Stunde ausfällt“, sagt Schulleiterin Junge-Ehmke. Ein elf-jähriger Schüler aus Jahrgang 6 beantwortet die gleiche Frage so: „Mir gefällt, wie die Lehrer den Unterricht vorbereiten – dass es nie langweilig wird!“
Eva Schadeck, die sich gemeinsam mit Katja Schlichter als Schulelternsprecherin für das ÖG engagiert: „Schülerinnen und Eltern schätzen vor allem das große Engagement der Lehrerschaft. Die Lehrerinnen sind für uns Eltern direkt erreichbar über Mail oder Telefon. Jede Schülerin und jeder Schüler wird individuell gefördert und kann den eigenen Interessen nachgehen, sei es im Bereich MINT/Jugend forscht, Sprachen oder im Orchester und Chor. Hinzu kommt das in Bremen einzigartige Oberstufenkonzept, das es den Kindern ermöglicht, individuelle Leistungskurse entsprechend ihren Stärken und Neigungen wählen zu können.“ Katja Schlichter: „Eltern und Schüler schätzen sicher auch die direkten Wege und, dass immer Gesprächsbereitschaft mit den Lehrer*innen vorhanden ist. Außerdem ist die Schule durch die Schüleranzahl so aufgebaut, dass jeder jeden kennt.“
Warum haben Sie selbst Ihre Kinder auf dem ÖG angemeldet? Eva Schadeck: „Die Verbindung aus breiter gymnasialer Bildung mit christlicher Wertevermittlung hat für uns hauptsächlich den Ausschlag gegeben. Im Schulprofil steht: ,Wir begleiten unsere Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg, verantwortungsbewusste Persönlichkeiten zu werden.’ Und das wird auch gelebt.“ Katja Schlichter: „Wir wollten für unsere Kids eine Schule, die Werte vorlebt, eine gute Allgemeinbildung vermittelt und die in räumlicher Nähe zu unserem Zuhause ist, damit sich Freundschaften aus der Schule nachmittags vertiefen lassen.“
Das ÖG ist eine Schule, für die sich auch viele Eltern gern engagieren. Noch einmal Eva Schadeck: „Ich bin seit dem Schuljahr 2012/13 Elternsprecherin. Ich möchte mich für diese einzigartige Schule in der Bremer Bildungslandschaft engagieren, damit sie weiter erfolgreich arbeiten kann. Gerade die Schulen in freier Trägerschaft werden in Bremen oft benachteiligt. Umso wichtiger ist es, mit Elternengagement ihre Arbeit zu unterstützen und sie zu stärken.“ Und Katja Schlichter: „Ich bin seit fünf Jahren Elternsprecherin, weil ich es toll fand, dass es an unserer Schule so viele engagierte Menschen gibt. Wichtig ist mir, dass eine gute Kommunikation zwischen den einzelnen Gremien bestehen bleibt und wir konstruktive Lösungen finden. Außerdem arbeite ich gerne mit Eva zusammen…“ Viele Eltern sehen auch in den jährlich wiederkehrenden sehr guten Abi-Noten ein starkes Argument für das Ökumenische Gymnasium. Worin liegt eigentlich das Geheimnis dieser guten Ergebnisse? Schulleiterin Junge-Ehmke: „Die Schule fördert und fordert in gesundem Maße. Die Lehrkräfte und Schüler sind über die Maßen engagiert und identifizieren sich besonders stark mit ihrer Schule. Die Größe der Lerngruppen ist so gestaltet, dass die Lehrkräfte jeden Einzelnen in den Blick nehmen können.“
Und was wünscht sich das ÖG, die Schule „für Kopf, Herz und Hand“, in Zukunft von der Bremer Politik? Junge-Ehmke: „Ein wertschätzendes, konstruktives Miteinander und die Anerkennung der jahrzehntelangen hervorragenden Arbeit der Schule.“

Text und Foto: Claudia Kuzaj