Erinnerungen, die bleiben…!
Dampfmühle Oberneuland
Der 19. November letzten Jahres war ein schwerer Schlag für Annemarie Behrens, die Besitzerin der Dampfmühle und letztlich für ganz Oberneuland. Das 125 Jahre alte Gebäude stand in Flammen.
Decken und Böden, das Mahlwerk und die zahlreichen Einrichtungen, noch aus der Gründerzeit, bestanden vorwiegend aus altem Holz. Schon Jahrzehnte lang wurde hier nicht mehr gemahlen. Längst gab es inmitten der historischen Gerätschaften einen erfolgreichen Handel mit Dünger, Pflanzenschutzmitteln, Sämereien, Blumenerde, Kaminholz, Propangas sowie Spezialfutter für Sport- und Zuchtpferde. Also vorwiegend landwirtschaftlicher Bedarf.
Wer sich als Kunde ein wenig Zeit ließ, schaute sich gern einmal um, was alles aus alter Zeit noch erhalten war. Blickfang war ein alter Wandschrank mit 90 Schubladen, ebenso alt wie die Dampfmühle. Den hatte Annemarie Behrens in den Neunzigerjahren von einer Samengroßhandlung in Hemelingen erworben. An solchen Dingen hängt ihr Herz. Als Bäckermeister Windhorst seinen Betrieb aufgeben musste, sorgte sie dafür, dass sein Lastenfahrrad (so würde man es heute nennen), mit dem er Brot und Brötchen ausfuhr, in der Dampfmühle unter der Decke seinen Platz fand. Der Handel mit Heizöl ergänzte das Programm des Geschäfts.
Heute stehen nur noch die Außenwände, eine musste abgestützt werden. Annemarie Behrens ist ratlos. Die Versicherung empfiehlt ihr aufgrund von Gutachten einen Abriss des Gebäudes und drängt auf eine baldige Entscheidung. Die Kosten würden sonst davonlaufen. Das Landesamt für Denkmalpflege erklärt, dass die Dampfmühle zwar als Kulturdenkmal erfasst wurde, dass aber eine „konstitutive Denkmalausweisung“ in den 80er Jahren nicht stattfand. Mit anderen Worten: Die Dampfmühle steht nicht unter Denkmalschutz. Ein Wiederaufbau des alten Gebäudes ist so gut wie ausgeschlossen. Wird an der gleichen Stelle ein neues Handelshaus entstehen? Auf jeden Fall aber muss das Geschäft weitergehen. Heizöl wird nach wie vor geliefert. Für die anderen Waren– allerdings in geringerem Umfang – wurde zunächst ein Platz schräg gegenüber im ehemaligen Spar-Markt gefunden.
Das Schicksal der Dampfmühle veranlasste uns, herauszufinden, was seit ihrer Gründung so alles geschah. Was haben uns alte Dokumente zu erzählen? Das Ergebnis ist leider recht spärlich. Etliche Bilder und Erinnerungsstücke hingen in der Mühle an der Wand. Sie fielen den Flammen zum Opfer. Lediglich in der Oberneuland-Sammlung wurden wir fündig. Auf die Idee, eine Dampfmühle zu bauen, kam der Firmengründer Hermann Behrens durch Verwandte, die nach Argentinien auswanderten, schrieb der Journalist Andreas Becker 2009 in der Zeitung. Die schickten Getreide nach Hause, das gemahlen werden musste. „Das können wir doch selber“, mag Hermann Behrens gedacht haben. Und ließ den seinerzeit modernsten Mühlenbetrieb Bremens bauen. Statt Wind als Antriebskraft nutzte er die neue Technik der Dampfmaschine. Das Haus hatte an der Rückseite einen Anbau für den Maschinenraum und den Dampfkessel. Über Transmissionen konnte die von der Dampfmaschine erzeugte Kraft bei Bedarf auf alle Mahlvorgänge übertragen werden. Hinfort hatte Oberneuland zwei Mühlen. Und die Bauern der Umgebung hatten die Auswahl. Bis 1947 lieferte die Dampfmaschine die Energie für den Betrieb des Mahlwerks. Das älteste Schriftstück ist aus dem Jahr 1916. Mitten im Ersten Weltkrieg hatte man herausgefunden, dass Mehlbeeren, die Früchte des Weißdorns, einen „ausgezeichneten Ersatz“ für Kaffeebohnen seien. Die Schulkinder sollten die Beeren sammeln. Sie bekamen zwanzig Pfennige für das Kilo. Den drei Sammlern in Bremen, die bis zum 15. Oktober die größte Menge Mehlbeeren abliefern würden, wurde eine Prämie von 100 Mark versprochen. Eine der Sammelstellen, die in dem Schreiben der Lebensmittelkommission genannt werden, ist D. Behrens, Mühle, Oberneuland.
Am 4. Januar 1928 lieferte die Dampfmühle Oberneuland-Rockwinkel 32 Zentner Koks für 83,20 Mark an die Schule. Also wurde damals schon mit Kohlen gehandelt. Sophie Hollanders schreibt in ihrem Buch „Bilder aus alten Truhen“, dass die Bauern ihr Korn zum Mahlen herbrachten und dass die Mühle eigene Fuhrwerke beschäftigte, die seit etwa 1900 nicht nur Korn und Mehl, sondern auch Milchkannen transportierten. Auf den alten Bildern sieht man noch deutlich den Schornstein der Dampfmaschine hinter dem Haus.
Im Band „Oberneuland“ über die Baudenkmale der Freien Hansestadt Bremen von 1984 berichtet Kurt Lammek, das Haus sei vom Mühlenbaumeister F. Grothmann (allerdings erst 1898) erbaut worden. Das Gebäude werde als Lager genutzt. Neben einer Abbildung folgt eine architektonische Beschreibung.
Gelegentlich fanden in der Mühle Veranstaltungen statt. So im Jahr 1999 eine Kunst-Auktion und 2012 ein Rosen-Seminar. Hans-Hermann Behrens, der Urenkel des Firmengründers, starb im Sommer 2013 infolge eines Unfalls. Unterstützt von Michael Klein führt Annemarie Behrens seither das Unternehmen weiter. Das Oberneuland Magazin war zwei Mal zu Besuch in der Dampfmühle: 1999 und 2018. Was damals im Gebäude fotografiert wurde, ist heute unwiederbringlich verloren. Gern zeigen wir einige der Abbildungen zur Erinnerung noch einmal.
Text und Foto: Eberhard Matzke