Im Juni beginnt die Zeit der Erdbeeren

Erdbeeren reifen in Oberneuland im Takt der Natur

Als allererstes heimisches Obst des Jahres hat die Erdbeere einen ganz besonderen Stellenwert in der Beliebtheitsskala und wird besonders heiß ersehnt. 2019 aßen die Deutschen pro Kopf ca. 2,8 Kilo Erdbeeren. Hajo Kaemena kultiviert in Oberneuland auf zehn Hektar seines landwirtschaftlichen Betriebs auf mehr als 300 Reihen die süßen Früchtchen. Fünf Erdbeersorten, verschiedene Anbauformen und eine mehr als 25-jährige Erfahrung ermöglichen dem Oberneulander Erdbeerbauern eine Ernte bis in den August.

Im Gegensatz zu ihren ausländischen Kollegen, deren Früchte auf Transportfähigkeit gezogen sind, haben die Oberneulander Erdbeeren ganz viel Geschmack. Denn ob eine Erdbeere gut schmeckt, hängt von vielen Faktoren ab. Am wichtigsten aber ist die Sorte, von denen es mehr als 1.000 gibt. Sie entscheidet darüber, welche und wie viele Aromastoffe die Frucht ausbildet. Mehr als 900 konnte man im Labor identifizieren. Hajo Kaemena hat für den Anbau auf seinen Oberneulander Erdbeerfeldern fünf Erdbeersorten – Fragaria Polka, F. Korona, F. Allegro, F. Glorielle und F. Malwina – ausgewählt. „Was nützen Haltbarkeit und Ertrag, wenn sie nicht schmecken“, so seine Meinung.
Die Kaemena-Erdbeeren haben es bis zum Verbraucher nicht weit. Morgens um fünf Uhr gepflückt, sind die ersten bereits um sieben Uhr an einem der vier Stände in Oberneuland, Borgfeld und Schwachhausen. Auf Vorrat pflücken geht nicht, sagt Hajo Kaemena, und so wird bedarfsorientiert gepflückt und die Stände über den Tag mehrmals mit frischen, roten Früchten beliefert, denn Erdbeeren frisch vom Feld haben die kürzesten Transportwege.

Absolute Weicheier

Bis zur Reife bedürfen Erdbeeren großer Aufmerksamkeit. Vor Kälte schützt sie ein großes Vlies, vor Sand das zwischen die Reihen gestreute Stroh und vor den Krähen ein großes Netz. Erdbeeren sind „echte Weicheier“, denn ihre Blüten sind besonders kälteempfindlich und wollen vor Nachtfrösten mit einem Vlies gut geschützt werden. Das Vlies hilft, die Bodenwärme zu halten, aber unter minus 4 Grad Celsius funktioniert diese Methode auch nicht mehr. Für Erntehelfer bedeutet die Abdeckung mit Vlies mehr Arbeitsaufwand. Deshalb verfolgt Hajo Kaemena in der Erdbeerzeit täglich den Wetterbericht.

Ein Bekenntnis zu Nachhaltigkeit

Mitbewerber verkaufen bereits Anfang Mai die ersten deutschen Erdbeeren. Diese Erdbeeren, so Kaemena, seien zwar regional, aber unter Folientunneln und auf Substrat gewachsen. „Es kann nicht sein, dass im Hofladen Plastiktüten gegen schöne Papierverpackungen aus Gründen der Nachhaltigkeit getauscht werden, auf dem Feld aber ein Vielfaches an Plastik um die Erdbeeren gepackt wird, um sie früher zur Reife zur bringen“, so seine Meinung. Auch die damit einhergehende Kultivierung von Erdbeeren auf Substrat ist für Kaemena keine Option. „Für auf Substrat gewachsene Erdbeeren brauche ich kein Landwirt zu sein, denn die können auf jedem Industriegelände oder einem stillgelegten Flugplatz gezogen werden.
Düngung und Bewässerung sind nicht mehr der Natur überlassen. Ich bin Landwirt auf meinem Land und nicht Substratwirt auf Substrat“, macht er unmissverständlich deutlich. Er will nicht losgelöst von der Natur Erdbeeren produzieren, nur um drei Wochen früher auf dem Markt sein zu können. Die verfrühte Ernte von Erdbeeren im Mai sei nicht nur mit einem Riesenaufwand verbunden, sondern verschiebe nur die Nachfrage der Verbraucher.
Zur normalen Erdbeerzeit im Juni und Juli werden vom Verbraucher bereits Kirschen und Himbeeren gewünscht und das Interesse an Erdbeeren trete in den Hintergrund. Nicht nur aufgrund des finanziellen und arbeitsintensiveren Aspekts, sondern vor allem auch aufgrund der mangelnden Nachhaltigkeit verzichtet Hajo Kaemena auf Mehrfachfolienabdeckung und die Kultivierung auf Substrat. Für ihn macht es keinen Sinn, drei Wochen früher zu ernten, obwohl sich die Nachfragen nach den süßen Früchten im Mai an den Verkaufsständen häufen. Geschmack bildet sich auch durch die Tageslichtlänge, sagte der Oberneulander Landwirt. Auch geschmackvolle Sorten könnten den bei geringerem Tageslicht nicht in dem Maße ausbilden wie Erdbeeren, die im Takt der Natur reifen. Viele Menschen hätten, da sie das gesamte Jahr im Supermarkt jedes Obst und Gemüse kaufen könnten, den Bezug zur Natur verloren. Nur so kann sich Hajo Kaemena die Nachfrage nach Spargel und Erdbeeren bereits zu Ostern erklären.

Im Takt der Natur

Laut Deutschem Wetterdienst herrschte in diesem Jahr der kälteste April seit 1977 mit Nachtfrösten noch bis Ende April. Und auch die Trockenheit machte dem Erdbeeranbau wieder zu schaffen. Schon im Mai musste Kaemena seine Felder beregnen. „Das bremst das normale Wachstum“, machte der Landwirt deutlich.
Als landwirtschaftlicher Betrieb, der ausschließlich vom Spargel- und Erdbeeranbau lebt, praktiziert Hof Kaemena ein „integriertes Verfahren“ im Bereich Pflanzenschutz. Regelmäßig kontrolliert Hajo Kaemena die Anzahl der Schädlinge auf dem Feld und entscheidet nach der Anzahl der Schädlinge über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Die finden aber nur in der Blütezeit und nicht während der Fruchtreife Verwendung, betonte Hajo Kaemena. „Daher kann man die roten Früchte auch ungewaschen essen.“ An Pflanzennährstoffen gibt Kaemena nur das dazu, was der Boden benötigt. Als Bodenvorbereitung bringt er den Pferdemist von Hof Felderhoff auf seinen Feldern aus und setzt auf Humusaufbau.
Seit vielen Jahren legt Hajo Kaemena Blühstreifen für Bienen und Hummeln an. Im vergangenen Jahr hat er außerdem im Rahmen eines „Blühpatenprojekts“ auf 1,7 Hektar seiner landwirtschaftlichen Fläche bedrohten Wildbienenarten Lebensraum eingeräumt. Bei den Oberneulandern stößt das Projekt auf großes Interesse.

Text und Foto: Sabine von der Decken