Lust auf Gemüse

Alte Sorten neu entdeckt

Augen zu, Mund auf: Was Marko Seibold in Henstedt vom Feld holt, sorgt nicht nur in der Spitzengastronomie für Geschmacksexplosionen. Der Schwabe in Niedersachsen hat sich gemeinsam mit seiner Frau Christine für die Entdeckung alter Sorten und Rassen entschieden.

Wer auf Exotik steht, muss gar nicht so weit fahren: In Henstedt kultiviert Marko Seibold vergessene Gemüsesorten, lässt „Unkraut“ sprießen und erfreut damit jeden, der gern am Herd experimentiert. Auf seinen rund 2,5 Hektar Land verstecken sich bekannte und unbekannte Gemüsesorten und Kräuter, deren Namen allein die Fantasie anregen: Knollensauerklee, Crosne, Glückskleeknollen und Haferwurzeln.
Ihr Aussehen und auch ihr Geschmack macht sie zu etwas Besonderem. Wie soll man die denn essen, fragt man sich, wenn man zum ersten Mal eine Haferwurzel in den Händen hält.
„Ganz einfach: waschen, kurz abkochen und in Öl oder Butter anbraten“, sagt Marko Seibold. Wesentlich hübscher als die Haferwurzeln ist der Knollensauerklee: Rosa, gelblich, orange und fast pink liegen die Knollen frisch abgeduscht in den Erntekörben.
Und wie isst man die? „Ausprobieren“, sagt Marko Seibold und verweist an seine Frau Christine. Die habe immer leckere Ideen. Aber nicht nur sie. Denn das, was Marko Seibold unter dem Namen „Feldfrucht Seibold“ anbaut, hat sich über die Jahre zum Steckenpferd der Spitzengastronomen gemausert.
Das liegt bestimmt zum einen daran, dass die vegetarische und vegane Küche immer mehr nachgefragt wird und zum anderen an einer bewusst nachhaltigen Lebensphilosophie. Der Fokus auf Regionalität und biologischem Anbau wird für immer mehr Menschen wichtig. Das sieht man auch in den Supermärkten – „bio“ und „regional“ gibt es mittlerweile auch beim Discounter. Aber das, was in Henstedt wächst eben nicht. „Die alten Gemüsesorten lassen sich nicht maschinell ernten“, weiß Marko Seibold. Die Knollen und Wurzeln sind empfindlich und müssen per Hand geerntet werden.
Handarbeit ist das, was in Henstedt zählt. „Wir lassen der Natur Raum“, sagt der gebürtige Schwabe, der eigene Saaten erstellt. Außer bei der Aussaat werden die Flächen nicht bewässert. „Das ist manchmal schwer zu ertragen“, sagt Marko Seibold, „aber die alten Sorten sind sehr anpassungsfähig.“
Als er kürzlich eine rund 90 Zentimeter lange Pastinake ausbuddelte, staunte er nicht schlecht, wurde aber in seiner Ansicht bestätigt. Die Sorten kämpfen und suchen sich das Wasser. In den 80ern gab es einen Spruch, mit dem die Grünen Wahlkampf betrieben, den auch Richard von Weizsäcker zitierte und der sich in Henstedt Tag für Tag bestätigt: „Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur.“ Dieser Natur den nötigen Respekt zu zollen, mit aber auch von ihr zu leben, gelingt den Seibolds. Ehefrau Christine Seibold ist für die Tierhaltung auf dem Hof zuständig. Auch sie züchtet fast vergessene Rassen und ihre Tiere werden in die Landwirtschaft integriert. Ihre Schafe mähen abgesteckte Felder, die Enten fressen die Schnecken, und Unkraut gibt es nicht, dafür jede Menge Wildkräuter.
Das Faszinierende an den 2,5 Hektar in Henstedt sind die Vielfalt und die Experimentierfreude. Es gibt nicht nur eine Kohlart, sondern eine wilde Mischung. Was nicht geerntet wurde, darf weiterwachsen. So treibt der Brokkoli Blüten, die kurz in Butter geschwenkt, einen Salat krönen, wächst der weiße neben dem roten Spitzkohl und Anfang Dezember sind tatsächlich noch ein paar Erdbeeren auf dem Feld.
Der 49-Jährige kam über Umwege vom Kommunikationselektroniker, Gärtnerlehre und sonderpädagogischer Ausbildung (Werkstattleitung WfB) zur eigenen Gärtnerei. Als er entdeckte, wie gut eine Karotte schmecken kann, entschied er sich für den biologischen Anbau von Obst und Gemüse. In der „Kochfamilie“ sprach sich die außergewöhnliche Qualität seiner Lebensmittel schnell rum. Marko Seibold teilt Spitzen- und Sterneköchen von Sylt bis Zürich mit, was aktuell geerntet werden kann, diese bestellen und erst dann geht es zum Ernten. Frisch verpackt, landet die Ware am nächsten Tag in den Küchen.
Die Seibolds füllen eine Nische, in der sie kaum Konkurrenten haben. Die ärgsten Feinde sind eigentlich Mäuse und Wetter. Beides akzeptiert Marko gelassen als naturgegeben. Und was nicht geerntet wird, teilt er gern mit den Tieren.
Neben den Köchen können auch Endverbraucher bei den Seibolds einkaufen. „Allerdings haben wir keinen Hofladen und werden auch keinen eröffnen. Ich bin in erster Linie Erzeuger und kein Händler.“
Marko, der Gemüse-Meister, der Gärtner der Köche im Arche Noah Garten – wenn über Marko Seibold und seinen Biohof (www.feldfrucht-seibold.de) geschrieben wird, verlieren wir Journalisten uns gern in schmeichelnden Superlativen, was wahrscheinlich daran liegt, dass er selbst so bescheiden, natürlich und gelassen auftritt. Die Seibolds strahlen genau das aus, wonach eine ganze Generation hungert: Balance, Achtsamkeit und Angekommensein. Und das könnte daran liegen, dass sie es schaffen, ihren Traum zu leben. Auf den folgenden Seiten geben die Oberneulander Köche Inspirationen für leckere Rezepte.