„Wir sind nicht mehr konkurrenzfähig”
Interview mit Oberneulander Landwirten
Das Oberneuland Magazin spricht mit den Landwirten Karen und Lüder Haltermann sowie Lohnunternehmer Dirk Gieschen über den Entwurf des Aktionsprogramms Insektenschutz (API) und dessen Bedeutung für die Landwirtschaft.
Das API sieht vor, Insektenlebensräume und die Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft zu fördern. Schutzgebiete sollen als Lebensräume für Insekten gestärkt werden. Im Pflanzenschutz soll der Insektenschutz noch stärker als bisher Berücksichtigung finden. Die Anwendung von Herbiziden und von biodiversitätsschädigenden Insektiziden soll in bestimmten Schutzgebieten verboten werden. Die Einträge von Nähr- und Schadstoffen in Böden und Gewässer sollen reduziert werden. Außerdem sollen die Forschung verstärkt und Wissenslücken geschlossen werden. Schließlich wird auch eine Finanzierung zur Verfügung gestellt, um Anreize und Ausgleich zu schaffen (BMEL).
Bundesweit beträgt die vom API landwirtschaftlich genutzte Fläche 1,1 Millionen Hektar, davon gehören 6.500 Hektar zum Bundesland Bremen.
Was bedeutet der Entwurf des API für die Landwirte?
Karen Haltermann: „Das ist schwierig zu sagen, es geht von bis. Es kann Betriebe geben, die das neue Insektenschutzgesetz wenig betrifft und die damit klarkommen. Es gibt aber auch Betriebe, für die es das wirtschaftliche Aus bedeutet. Die Auswirkungen des Entwurfs zum neuen Insektenschutzgesetz sind vergleichbar mit einem Balkon, auf den der Bewohner der Wohnung ein Insektenhotel gehängt hat und den er deswegen jetzt nicht mehr nutzen darf.
Was ändert sich für Sie?
Dirk Gieschen: Die Bewirtschaftung der Flächen ändert sich, da in Natur-, Landschaftsschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Gebieten (FFH) keine Insektizide mehr eingesetzt werden dürfen. Bislang war das auf zugelassenen Flächen noch möglich. Die Erweiterung durch das Insektenschutzgesetz kommt einer kalten Enteignung gleich.
Karen Haltermann: Der Entwurf ist die Vorstufe zum Gesetz. Wird der Entwurf erst rechtskräftig, wird dem Landwirt durch die veränderte Nutzung seiner Flächen kein Ausgleich mehr bezahlt. Das ist das zentrale Thema, denn trotz der höheren Auflagen gibt es für die Landwirte keine Möglichkeiten des finanziellen Ausgleichs.
Dirk Gieschen: Aufgrund der immer höheren gesetzlichen Auflagen sind wir in Deutschland nicht mehr konkurrenzfähig mit landwirtschaftlichen Produkten aus dem Ausland, wo ganz andere Auflagen gelten. Für jeden Quadratmeter, der hier aus der Bewirtschaftung genommen wird, werden in Südamerika zwei Quadratmeter abgebrannt.
Karen Haltermann: Bremen leistet sich überproportional viele Naturschutzflächen und verzichtet damit auf Nahrungsmittelflächen. Das ist nicht unbedingt verkehrt, aber durch die Extensivierung werden immer weniger Lebensmittel produziert, die dann von woanders geholt werden müssen. Ziel jeder Landwirtschaft ist die Nahrungsmittelproduktion.
Was haben Landwirte ohnehin schon immer ohne Gesetzgebung für den Insektenschutz getan?
Karen Haltermann: Ob konventionell oder biologisch, wir haben schon immer nachhaltig gewirtschaftet. Es geht nur eine standortangepasste Nutzung, das ist hier in Oberneuland Viehhaltung. Wir haben schon immer danach gestrebt, für das Tier das Bestmögliche zu machen. Seit fünf Jahren legen wir Blühflächen an, seit 15 Jahren bauen wir Zwischenfrüchte an. Ich suche immer die Lösung, die zum Standort und dem Landwirt passt. Beispiel dafür ist unsere Milchtankstelle – der Ort für Aufklärungsarbeit. Hier haben wir Kontakt zu Nicht-Landwirten und hören, was sie denken.
Dirk Gieschen: Seit zehn Jahren findet in der Landwirtschaft bereits ein Umdenken statt, bei dem sich die ausschließlich auf Ertrag gerichtete Produktion verändert hat. Das API aber stößt Eigeninitiative und Vertragsnaturschutz um.
Lüder Haltermann: Wir machen ja schon sehr viel. Wir haben Blühfelder, seit diesem Jahr ein Storchennest, einen Turmfalken im Kuhstall und pflanzen Bäume an den Feldrändern. Ich tue das, weil es mir Freude bereitet.
Wie wird die Umsetzung kontrolliert?
Karen Haltermann: Das weiß kein Mensch – aber es findet sich sicher eine Behörde 😉 Der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln wird in Bremen vom Pflanzenschutzdienst des LMVet kontrolliert. Wir als Landwirte dürfen ohne Schulungsnachweis weder Pflanzenschutzmittel kaufen noch anwenden. Daher arbeiten wir mit einem Lohnunternehmer zusammen, der mit der neuesten Technik und Karten der Haltermannschen Flächen arbeitet. In Klein- und Hobbygärten werden wesentlich mehr Insektizide und Herbizide verwendet als in der Landwirtschaft. Auch viele Fassadenfarben enthalten diese Inhaltsstoffe.
Dirk Gieschen: Die Bewirtschaftung wird anhand von Luftbildern dokumentiert. Unsere Maschinen arbeiten mit Satellitenunterstützung, die verhindert, dass Flächen doppelt gespritzt werden. Es werden pro Hektar 120 bis 250 Liter einer höchstens 0,8%igen Spritzbrühe ausgebracht. Bei Herbiziden arbeiten wir im Grammbereich pro Hektar.
Wie war die Beteiligung der Landwirte am Gesetzentwurf? Was floss von den Vorschlägen der Landwirtschaft in den Gesetzentwurf mit ein?
Dirk Gieschen: Null.
Karen Haltermann: Von den Vorschlägen des Bauernverbandes ist nichts in den Entwurf eingeflossen, soweit ich weiß.
Was fehlt oder wäre dringend nötig?
Karen Haltermann: Dringend nötig wären Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Fachlichkeit und ein Miteinander statt eines Gegeneinander. Es wird nie der Punkt benannt, wann das Ziel erreicht ist. Wir haben eine maßlos schlechte Datenlage. Bei der Krefelder Studie wurde z.B. Insektenmasse in Naturschutzgebieten gemessen, das könnten auch Borkenkäfer sein, sagt also nichts aus über Qualität und Nützlichkeit. Die Aussage, dass beleuchtete Lichtwerbung in Naturschutzgebieten verboten ist, finde ich absurd. Wo gibt es das schon? Wir verlieren pro Tag in Deutschland einen landwirtschaftlichen Betrieb, pro Tag werden 65 Hektar landwirtschaftliche Fläche versiegelt.
Wie kann es sein, dass trotz sich stetig verringernder landwirtschaftlicher Fläche, Verbesserung von Technik und Ausbildung in der Landwirtschaft, Landwirtschaft für steigendes Insektensterben verantwortlich gemacht wird? Wir müssen auch andere Verursacher mit ins Boot nehmen, ohne dabei die Möglichkeiten in der Landwirtschaft aus den Augen zu lassen. Sonst erreichen wir unsere Ziele nicht.
Dirk Gieschen: Zurzeit haben wir in Deutschland 250.000 landwirtschaftliche Betriebe, 2040 wären es nur noch 100.000.
Was könnte man besser machen?
Karen Haltermann: Auflagen und Wirtschaftlichkeit müssen in Einklang gebracht werden, damit Landwirte in Deutschland überleben können. Gutes Beispiel ist der „Niedersächsische Weg“, einer in dieser Form bundesweit einmaligen Vereinbarung zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Politik, die zur Umsetzung konkreter Maßnahmen für einen verbesserten Natur-, Arten- und Gewässerschutz verpflichtet und dies finanziell ausgleicht.
Ich würde mir wünschen, dass kleine Initiativen, die gemeinsam von Landwirten und Bevölkerung gedacht werden, wie z.B. Blühwiesen, stärker gefördert werden. Das ist für alle Beteiligten sinnbringend.
Dirk Gieschen: Das API ist völlig sinnfrei in die Politik gegeben worden. Die guten Ansätze in Deutschland wie der „Niedersächsische Weg“ ist der Weg der Zukunft.
Das Gespräch führte Sabine v.d. Decken, Foto: Sabine v.d. Decken