Grundsteuerreform: „Von Fachleuten beraten lassen“

Interview mit Ingmar Vergau, Geschäftsführer Haus & Grund Landesverband Bremen e.V.

Die anstehende Grundsteuerreform verunsichert noch zahlreiche Immobilienbesitzer. Das Oberneuland Magazin sprach daher mit dem Experten Ingmar Vergau, Geschäftsführer von Haus & Grund Landesverband Bremen e.V..

Dauerthema Grundsteuerreform: Die Finanzämter der Länder haben nun eine Fristenverlängerung bis zum 31. Januar 2023 beschlossen. Aus Ihrer Sicht eine richtige Entscheidung und ist die Verlängerung ausreichend?

Ingmar Vergau: Aufgrund der Tatsache, dass lediglich rund 20 % der Erklärungspflichtigen bis zum 30.09.2022 ihre Erklärung abgegeben hatten, war eine Fristverlängerung aus unserer Sicht unumgänglich. Wir hätten uns selbstverständlich gewünscht, dass die Frist bis zum 30. Juni 2023 verlängert wird, um wirklich jedem die Möglichkeit zu geben, die Erklärung sorgfältig abzugeben. Gerade in Bundesländern wie in Bremen und Bremerhaven, wo das Bundesmodell gilt.

In vielen Artikeln zum Thema Grundsteuer ist zu lesen, dass die Eingabe OHNE Expertenbeistand schwer möglich ist. Ist diese Einschätzung Ihres Erachtens richtig und wenn ja, wo liegen die Schwierigkeiten?

Ingmar Vergau: Viele Menschen sind mit den Anforderungen, die die Grundsteuererklärung an sie stellt, überfordert. Wir empfehlen für die Erklärung, wenn möglich, den Beistand von Experten zu nutzen. Insbesondere in Bremen und Bremerhaven, wo genau das erwähnte Bundesmodell gilt, müssen sich die zur Erklärung Verpflichteten viele Gedanken machen und entsprechende Unterlagen zusammentragen.
Sei es über die Lage des Grundstücks, die Gemarkung, Flur und Flurstück des Grundvermögens, den Bodenrichtwert, die Eigentumsverhältnisse, den Grundsteuerbescheid, das Aktenzeichen des Einheitswertes, die Grundstücksart (z.B. unbebaut, Wohngrundstück, andere Bebauung), sei es die Fläche des Grundstücks und Fläche der einzelnen Wohnungen (bei mehreren Wohnungen jeweils getrennt pro Wohneinheit), die Anzahl der Garagen und Stellplätze, die Miteigentumsanteile, bei Teileigentum nach Wohnungseigentumsrecht oder die Nutzungsart (Wohneinheit, Gewerbeeinheit) und das mögliche Gebäudealter. Die Gefahr, dass sich hier Fehler einschleichen, ist natürlich nicht unerheblich.

Welches sind die am häufigsten gestellten Fragen der Haus & Grund-Mitglieder an Ihre Experten?

Ingmar Vergau: Die Fragen sind sehr vielfältig und je nach Gebäudetyp unterschiedlich. Häufig kommen jedoch auch Fragen, woher die einzelnen Unterlagen und Informationen zu beziehen sind.

Viele sprechen von der Unsicherheit, die richtigen Daten anzugeben (z.B. exakte Wohnfläche, Miteigentumsanteile etc.). Empfehlen Sie den Grundstückseigentümern lieber einen Experten für die Eingabe zu kontaktieren?

Ingmar Vergau: Die Formulare bei ELSTER, über die man die Angaben einreichen kann, sind in vielen Punkten nicht wirklich einfach auszufüllen. Vieles erschließt sich den Ausfüllenden nicht, weil zentrale Begriffe unscharf sind, selbst Steuerberater stoßen da gelegentlich an ihre Grenzen.

Es ist ebenfalls zu lesen, dass nach Erhalt der Grundsteuerwertbescheide eine Überprüfung über deren Richtigkeit durchgeführt werden sollte. Worauf sollte der Eigentümer bei der Überprüfung besonders achten?

Ingmar Vergau: Selbst wenn die Eigentümerin oder der Eigentümer die Abgabe der Erklärung geschafft und vollzogen hat und vom Finanzamt wenig später den Grundsteuerwertbescheid erhält, kann sie oder er daraus immer noch nicht erkennen, wie viel Grundsteuer gezahlt werden muss. Wir gehen davon aus, dass der Grundsteuerwert in einigen, wenn nicht sogar in vielen Fällen zu hoch berechnet sein wird. Deshalb sollte man den Grundsteuerwertbescheid genau prüfen. Alleine diese Prüfung ist nicht ohne. Im Zweifel sollte gegen den Grundsteuerwertbescheid Einspruch eingelegt werden, wenn er gegenüber dem Einheitswertbescheid deutlich erhöht beziehungsweise zu hoch oder anderweitig unschlüssig erscheint. Eine generelle Empfehlung, ab welcher Höhe „zu hoch“ ist, kann nicht abgegeben werden. Sollte in Reaktion auf den Einspruch ein ungünstigerer Bescheid gegenüber dem ursprünglichen Grundsteuerwertbescheid drohen, muss die Finanzverwaltung darüber informieren. Der Einspruch kann dann gegebenenfalls noch zurückgezogen werden.

Wie lange hat der Steuerpflichtige Zeit, nach Erhalt des Bescheids einen Einspruch zu formulieren? Und wie sollte er den Einspruch durchführen?

Ingmar Vergau: Die Einspruchsfrist für die Steuerzahler beträgt lediglich einen Monat. Wird die Frist verpasst, steht die Grundsteuerlast auf die Immobilie für die nächsten sieben Jahre fest. Und das könnten teure sieben Jahre werden. Aus diesem Grunde raten wir sofort Einspruch einzulegen. Eine Begründung kann nachgereicht werden. Dies muss dann aber auch zeitnah beziehungsweise spätestens auf entsprechende Anforderung des Finanzamtes geschehen. Ansätze für eine Begründung können zum Beispiel „objektive“ Fehler im Bescheid, wie etwa falsche Angaben zu Flächen, beim Modell in Bremen und Bremerhaven eine unkorrekte Bodenrichtwertzone oder die falsche Grundstücksart sein.
Ähnlich verhält es sich beim Ansatz der pauschalen Nettokaltmiete. Auch hier sieht der Gesetzgeber keine Abweichungsmöglichkeit durch Nachweis tatsächlich geringerer ortsüblicher Mieten oder einer abweichenden Mietniveaustufe vor. Deshalb sollte auch in diesem Fall bei der Begründung generell auf die Unangemessenheit des von Gesetzes wegen angesetzten Mietwertes, gegebenenfalls unterlegt mit Fakten, aber ohne rechtliche Wertung, hingewiesen werden. Ein Gutachten zum Nachweis eines tatsächlich geringeren Wertes – wie bei der Erbschaftsteuer möglich – ist beim in Bremen und Bremerhaven angewandten Bundesmodell nicht zugelassen.
Wichtig ist jedoch, dass im Zweifelsfalle Einspruch eingelegt wird. Aus unserer Sicht ist das die einzige Möglichkeit, vernünftig mit dieser bürgerfeindlichen Einspruchsfrist umzugehen. Durch den Einspruch wird der Fristablauf gestoppt und der Steuerpflichtige bekommt mehr Zeit zur Prüfung, und um reagieren zu können, sollten Teile der Regelung in den kommenden Jahren von Gerichten wieder kassiert werden. Wie ein solcher Einspruch eingereicht werden kann, erfahren die Haus & Grund-Mitglieder in unserer Rechtsberatung.
Wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, muss einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Klage vor dem Finanzgericht erhoben werden. Ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens im Rahmen der Einspruchsbearbeitung wird u.E. aktuell nicht erfolgreich sein. Hintergrund ist, dass dafür ein Aktenzeichen eines Revisions- oder Bundesverfassungsgerichtsverfahrens vorliegen muss. Auch ein Antrag auf Vorläufigkeit des Bescheides wird keinen Erfolg haben. Hierfür müssen die ent-sprechenden Gründe nach der Abgabenordnung vorliegen, zum Beispiel ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, was aktuell nicht der Fall ist.
Haus & Grund Deutschland wird zusammen mit dem Bund der Steuerzahler ein gegen das Grundsteuer-Bundesmodell gerichtetes Musterverfahren führen. Wir sammeln hier bereits heute Musterfälle unserer Mitglieder, um den oder die geeigneten Fälle vor Gericht zu bringen.

Welche Beratungsstelle kann der Steuerpflichtige aufsuchen?

Ingmar Vergau: Neben Haus & Grund beraten natürlich auch Steuerberater und Rechtsanwälte zu den Themen rund um die Grundsteuererklärung und den Grundsteuerwertbescheid.

Gibt es im Internet dazu Hilfestellungen?

Ingmar Vergau:

https://www.finanzen.bremen.de/steuern/grundsteuerreform-92715 bietet Hilfe an. Man kann aber auch direkt per E-Mail unter grundsteuer@finanzen.bremen.de Hilfe anfordern.

Welchen heißen Tipp (oder Tipps) rund um die Grundsteuerreform haben Sie für unsere Oberneuland Magazin-Leser?

Ingmar Vergau: Man sollte die Daten für die Grundsteuererklärung so genau wie möglich ermitteln. Im Zweifel und wenn man sich mit dem ELSTER-Programm nicht anfreunden kann, sollte man die Steuererklärung lieber händisch ausfüllen. Formulare bekommt man beim Finanzamt. Unterstützung gibt es über das Bürgertelefon unter 0421-36190909.

Der wichtigste Tipp ist jedoch, die oben genannte Einspruchsfrist nicht zu versäumen und sich von Fachleuten beraten zu lassen.