Scherereien am Deich

Schafe scheren

Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung und gleicher Schreibweise werden als Homograf bezeichnet. Hinter dieser Wortgruppe verbergen sich die klassischen Teekesselchen, was als unterhaltsames Sprachspiel für Kinder und Eltern gilt. Schererei bedeutet umgangssprachlich Unannehmlichkeit. Jedoch konnte von diesen am 27. Mai auf Hermann Behrens-Posts Schafweide am Deich nicht die Rede sein, hier ging es um wollige Scherereien.

Groß und Klein, Alt und Jung waren eingeladen, beim Schafescheren zuzusehen. Zwei Männer warteten, dass es losgeht, beide im rotkarierten Hemd. Vater Slavko Janjatović, der älteste Schafscherer Bremens und sein 18-jähriger Sohn Alexander, der jüngste Schafscherer Bremens in vierter Generation. Auf beides ist der Vater sehr stolz.
Mit 15 Jahren hat Alexander sein erstes Schaf geschoren und er macht das richtig gut. Keine Stufe, keine Verletzung ist zu sehen. „Es muss darauf geachtet werden, dass ein Scherer sein Handwerk versteht“, sagt Hermann Behrens. Der aus Serbien stammende Slavko konnte einst mit diesem Handwerk seinen Lebensunterhalt verdienen; dass das heute nicht mehr so ist, weiß Alexander. Er kann sich ein Studium in Agrarwissenschaften sehr gut vorstellen. Vater und Sohn können noch mit dem ganz alten Handwerkszeug umgehen, doch scheren sie die Schafe mit einer elektrischen Schafschermaschine.
Zuerst sind die bunten holländischen Schafe von Henning Bartels an der Reihe. Er und Slavko kennen sich seit 40 Jahren. Auf die Frage, warum er holländische Schafe hat, antwortet Bartels: „Die sind robuster.“ Ein lustiges, fünf Wochen altes, schwarz-weißes Lämmchen tollt über die Wiese: „Es ist das schönste Schaf Oberneulands“, schmunzelt Bartels. Im Winter dienen die Schafe zur Handpflege. Sind die Hände rau und rissig, heißt es bei Bartels: „Einmal Schafe kraulen, die Wolle ist schön fettig und pflegt die Haut.“
Wenn Alexander sich ein Schaf zum Scheren holt, stellen die sich immer etwas an, immerhin bringen sie bis zu 150 kg auf die Waage, und damit muss er erst einmal fertig werden. Zuerst werden die Klauen verschnitten, diese sind förmlich nach innen gerollt. Da das Schaf vorwiegend auf weichem Untergrund läuft, werden diese kaum abgelaufen. Beginnend am Kopf wird das Schaf systematisch geschoren, am schwierigsten sind die Beine. Jemand von den Besuchern möchte wissen, ob die Schafe das Scheren mögen oder eher nicht so gut finden. „Freiwillig lassen sie sich nicht scheren. Das ist, als wenn ein Teenie mit 14 Jahren zum Friseur gehen soll“, antwortet Behrens. Und vermutlich anders als der Teenie fühlt sich das Schaf ohne seine Wolle doch sichtlich wohl. Ein Schaf nach dem anderen holt sich Alexander; Slavko fragt: „Darf ich auch mal?“, worauf Alexander lachend sagt: „Du bekommst die schwierigen Schafe.“ Wirklich anstrengend ist die Aufzucht der Flaschenkinder oder Nuckel-Schafe. Seit 20 Jahren hat sich Ute Janjatović, Slavkos Frau, das zur Aufgabe gemacht. Optimalerweise sollte ein Schaf nur zwei Lämmer werfen, da es nur zwei Zitzen hat. „Bei Drillingsgeburten wird das Tier, welches die geringste Bindung zur Mutter hat, beiseitegenommen und mit der Flasche großgezogen. Da die Lämmer sehr empfindlich sind, sollte die Trinktemperatur zwischen 36 und 38 °C liegen und das Milchpulver muss genauestens abgemessen werden. Die Tiere könnten andernfalls sterben“, erklärt Ute. Weiter sagt sie: „In den ersten vier Wochen bekommen die Lämmer aller vier Stunden die Flasche, auch nachts. Das ist nicht immer lustig. Sind sie zwei Monate alt, kann Kraftfutter zugefüttert werden.“ Bis auf das Scheren einmal jährlich macht Ute alles. Dass die Schafe allesamt einen hervorragenden Gesundheits- und Fütterungszustand haben, ist für sie klar ersichtlich: „Die Tiere können sich sehen lassen, sie haben ganz ebenmäßige Wolle und sehen sehr gesund aus.“
Ein (noch) Lamm – mit einem Jahr heißen sie Heidschnucke – läuft als Einziges frei herum. Warum das so ist, erzählt Eike Behrens lachend: „Lämmi hat keine Lust auf die Horde.“ Den Kindern kann das nur recht sein, denn Lämmi lässt sich nach Herzenslust streicheln. Und das Schaf ist auch ohne Pullover noch weich. Für Hermann Behrens ist Lämmi etwas ganz Besonderes: „Das Lamm hat auf meine Hand gepasst, ich dachte damals, es überlebt nicht. Doch nun werden wir gemeinsam alt.“ Allen anwesenden Schafzüchtern ist der Tierschutz wichtig, darum achten sie darauf, dass die jungen Tiere nur einmal jährlich ein Lamm werfen. Erst die älteren Tiere sollten zweimal jährlich Lämmern.
Die Scherereien am Deich sind ein voller Erfolg, emsig laufen Familien mit Rucksäcken, Tüten und anderen Bündeln herum, denn die geschorene Wolle wird verschenkt. Auch wenn sie nicht so wertvoll wie Merinowolle ist, kann sie doch vielseitig verwendet werden.
So möchte Marlena die Wolle mit nach Hause zu ihrer großen Schwester nehmen, diese hat Kreatives damit vor. Nele ist mit Mama und Papa da, genau weiß auch sie noch nicht, was sie mit der Wolle machen möchte. Auf jeden Fall nimmt sie sie mit in die Kita und hofft dort auf Unterstützung.
Eine junge Frau mischt sich ein, es stellt sich heraus, dass sie Handarbeit und Pädagogik studiert hat und nun noch das Studium zur Erzieherin absolviert. Katharina Lückener ist spontan vorbeigekommen: „Es muss nicht immer Merino sein. Ich nehme auf jeden Fall einen großen Sack voll mit in die Kita und möchte die Wolle mit den Kindern filzen. Mehr als Wasser und Kernseife benötige ich dafür nicht“, sagt Lückener.
Besonders begehrt ist die karamellfarbene Wolle der Coburger Fuchsschafe, na gut, ein schwarzes Schaf ist auch dabei. Die vier Schafe Henry, Emilia, Ella und Mila gehören Catalina Drewes. Sie haben deutlich schmalere Köpfe als die Texelschafe, das Fell schimmert schon fast seidig.
Henry ist besonders fotogen und posiert regelrecht vor der Kamera. Für Drewes sind es Nutztiere, zu denen sie eine ganz besondere Bindung hat. Sehr zur Freude der Veranstalter zeigte sich das große Interesse an der Besuchermenge. Dabei kam auch das leibliche Wohl nicht zu kurz. So liegt es nahe, dass es Lammbratwurst und jede Menge Informationen zu weiteren Lammprodukten gab.
Die Schafe geschoren, die Lämmer im Lammkindergarten gestreichelt, Wolle eingepackt, Bratwurst gegessen, 16 Tage alte Entenküken bestaunt und was nun? Auf zum Feilschen zu Jutta Woschecks Flohmarkt! Spielzeug, Klamotten, Haushaltsgeräte, Küchenutensilien und jede Menge Reitzubehör konnten erworben werden. Ein wunderbares Fest bei strahlendem Sonnenschein in Behrens-Posts Garten.

Text und Foto: Susanne Wokurka